Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Der Reichsgedanke ganzen Verhandlungen des Preußenbundes tritt aber niemand auf, der eine Der Preußenbund geht aber weiter und versündigt sich gegen sein Allen Ausgangspunkten des Preußenbundes gegenüber sei betont, daß es Deshalb ist es gerade solchen Stellungnahmen gegenüber dringend erforder¬ Der Reichsgedanke ganzen Verhandlungen des Preußenbundes tritt aber niemand auf, der eine Der Preußenbund geht aber weiter und versündigt sich gegen sein Allen Ausgangspunkten des Preußenbundes gegenüber sei betont, daß es Deshalb ist es gerade solchen Stellungnahmen gegenüber dringend erforder¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327674"/> <fw type="header" place="top"> Der Reichsgedanke</fw><lb/> <p xml:id="ID_943" prev="#ID_942"> ganzen Verhandlungen des Preußenbundes tritt aber niemand auf, der eine<lb/> Erziehung des Volkes zu staatsbürgerlicher Reife fordert. Es wird von der<lb/> Unreife der Wählermassen gesprochen, es wird von der Unreife der parla¬<lb/> mentarischen Vertretung im Reich gesprochen, aber es wird kein Wort über das<lb/> Mittel dagegen gesagt. Es ist durchaus eine Wendung zum Bösen zu nennen,<lb/> wenn in der Autorität das erste und letzte Ideal des modernen deutschen Staats¬<lb/> bürgertums erblickt werden soll. Man besinne sich doch, wohin man treibt.<lb/> Man spricht vom Mittelstand und dessen Vernachlässigung. Glaubt denn jemand<lb/> im Preußenbund ernsthaft, daß solcher Appell im gewerblichen Mittelstand inneren<lb/> Widerhall findet? Autoritätsglauben und Disziplin bessern ja auch keine politische<lb/> Unreife. Dafür dürften die Weltgeschichte und die Geschichte Deutschlands ein¬<lb/> wandfreie Beweise genug liefern.</p><lb/> <p xml:id="ID_944"> Der Preußenbund geht aber weiter und versündigt sich gegen sein<lb/> eigenstes Prinzip. Als im Herrenhaus der Antrag des Grafen Dort an¬<lb/> genommen wurde, wurde dem Ministerpräsidenten ein Mißtrauensvotum aus¬<lb/> gesprochen. Es wurde damit ein demokratisches Aktionsmittel versucht, wie es<lb/> der Preußenbund beim Reichstage aufs schärfste verurteilt. Hinter diesem<lb/> Antrage steht offiziell oder nichtoffiziell der Preußenbund. Er erklärt sich jeden¬<lb/> falls mit solchem Vorgehen solidarisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_945"> Allen Ausgangspunkten des Preußenbundes gegenüber sei betont, daß es<lb/> durchaus unbestritten bleibt, ja vielmehr eine heilige Überzeugung sehr vieler<lb/> deutscher' Patrioten bildet, daß die Erkenntnis der Einbußen an sittlichen Werten,<lb/> an Idealismus im Volksleben überhaupt, zu einem Kreuzzug gegen alles<lb/> Destruktive führen muß, wenn überhaupt noch Positives gewollt werden soll. Es<lb/> bedeutet die unmittelbarste Aufgabe aller derjenigen, die sich politisch verantwortlich<lb/> fühlen, für Stärkung der ideellen Güter unseres Volkes Sorge zu tragen. Es ist<lb/> deshalb durchaus nötig, auf Tradition und Geschichte zurückzugehen. Vom<lb/> Preußenbunde wird jedoch statt organischer Entwicklung der Tradition nur Re¬<lb/> aktion verlangt. Und mit Obstruktion auf demokratischer Basis wird der Kanzler,<lb/> der die Schwere der bisher ungelösten Aufgabe, Annal und Partikularismus<lb/> organisch zu verbinden, voll empfindet, aber in ehrlichster Weise behandeln will,<lb/> systematisch affrontiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_946" next="#ID_947"> Deshalb ist es gerade solchen Stellungnahmen gegenüber dringend erforder¬<lb/> lich, daß auf Steins Programm und auf seine ethische und ideale Auffassung<lb/> des deutschen Staatsbürgertums zurückgegangen wird. Steins Programm war<lb/> konservativ im besten Sinne, indem es für Traditionen politische Garantien<lb/> schaffen wollte, aber auch liberal und fortschrittlich im besten Sinne, da es<lb/> Entwicklungen ermöglichte. Die Worte „liberal" und „Fortschritt" gelten heute<lb/> in gewisser Weise als verwandt mit Verflachung und Entbindung von Verant¬<lb/> wortung. Stein seinerseits wollte die Vermehrung der staatsbürgerlichen Rechte<lb/> mit der Vermehrung der staatsbürgerlichen Verantwortung verbinden. Überall<lb/> bei seinen Reformen war das Ziel klar, jedes Einzelglied des staatlichen Orga-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0208]
Der Reichsgedanke
ganzen Verhandlungen des Preußenbundes tritt aber niemand auf, der eine
Erziehung des Volkes zu staatsbürgerlicher Reife fordert. Es wird von der
Unreife der Wählermassen gesprochen, es wird von der Unreife der parla¬
mentarischen Vertretung im Reich gesprochen, aber es wird kein Wort über das
Mittel dagegen gesagt. Es ist durchaus eine Wendung zum Bösen zu nennen,
wenn in der Autorität das erste und letzte Ideal des modernen deutschen Staats¬
bürgertums erblickt werden soll. Man besinne sich doch, wohin man treibt.
Man spricht vom Mittelstand und dessen Vernachlässigung. Glaubt denn jemand
im Preußenbund ernsthaft, daß solcher Appell im gewerblichen Mittelstand inneren
Widerhall findet? Autoritätsglauben und Disziplin bessern ja auch keine politische
Unreife. Dafür dürften die Weltgeschichte und die Geschichte Deutschlands ein¬
wandfreie Beweise genug liefern.
Der Preußenbund geht aber weiter und versündigt sich gegen sein
eigenstes Prinzip. Als im Herrenhaus der Antrag des Grafen Dort an¬
genommen wurde, wurde dem Ministerpräsidenten ein Mißtrauensvotum aus¬
gesprochen. Es wurde damit ein demokratisches Aktionsmittel versucht, wie es
der Preußenbund beim Reichstage aufs schärfste verurteilt. Hinter diesem
Antrage steht offiziell oder nichtoffiziell der Preußenbund. Er erklärt sich jeden¬
falls mit solchem Vorgehen solidarisch.
Allen Ausgangspunkten des Preußenbundes gegenüber sei betont, daß es
durchaus unbestritten bleibt, ja vielmehr eine heilige Überzeugung sehr vieler
deutscher' Patrioten bildet, daß die Erkenntnis der Einbußen an sittlichen Werten,
an Idealismus im Volksleben überhaupt, zu einem Kreuzzug gegen alles
Destruktive führen muß, wenn überhaupt noch Positives gewollt werden soll. Es
bedeutet die unmittelbarste Aufgabe aller derjenigen, die sich politisch verantwortlich
fühlen, für Stärkung der ideellen Güter unseres Volkes Sorge zu tragen. Es ist
deshalb durchaus nötig, auf Tradition und Geschichte zurückzugehen. Vom
Preußenbunde wird jedoch statt organischer Entwicklung der Tradition nur Re¬
aktion verlangt. Und mit Obstruktion auf demokratischer Basis wird der Kanzler,
der die Schwere der bisher ungelösten Aufgabe, Annal und Partikularismus
organisch zu verbinden, voll empfindet, aber in ehrlichster Weise behandeln will,
systematisch affrontiert.
Deshalb ist es gerade solchen Stellungnahmen gegenüber dringend erforder¬
lich, daß auf Steins Programm und auf seine ethische und ideale Auffassung
des deutschen Staatsbürgertums zurückgegangen wird. Steins Programm war
konservativ im besten Sinne, indem es für Traditionen politische Garantien
schaffen wollte, aber auch liberal und fortschrittlich im besten Sinne, da es
Entwicklungen ermöglichte. Die Worte „liberal" und „Fortschritt" gelten heute
in gewisser Weise als verwandt mit Verflachung und Entbindung von Verant¬
wortung. Stein seinerseits wollte die Vermehrung der staatsbürgerlichen Rechte
mit der Vermehrung der staatsbürgerlichen Verantwortung verbinden. Überall
bei seinen Reformen war das Ziel klar, jedes Einzelglied des staatlichen Orga-
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