Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Der Reichsgedanke an sittlichen Kräften immer mehr zum Bewußtsein. Zumal in politischer Be¬ Aus diesen Erwägungen heraus entwickelte sich in Hannover der Preußen¬ Es ist jedoch auffallend, daß die programmatischen Erklärungen ans dem *) Der Zaberner Fall beweist wohl Kraft und Bedeutung der Disziplin, beweist aber gleichzeitig, welche verheerende Wirkung die Beschränkung auf dies eine Ideal dem Vertrauens¬ verhältnis zwischen Volk und Regierung gegenüber ausübt. 13*
Der Reichsgedanke an sittlichen Kräften immer mehr zum Bewußtsein. Zumal in politischer Be¬ Aus diesen Erwägungen heraus entwickelte sich in Hannover der Preußen¬ Es ist jedoch auffallend, daß die programmatischen Erklärungen ans dem *) Der Zaberner Fall beweist wohl Kraft und Bedeutung der Disziplin, beweist aber gleichzeitig, welche verheerende Wirkung die Beschränkung auf dies eine Ideal dem Vertrauens¬ verhältnis zwischen Volk und Regierung gegenüber ausübt. 13*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327673"/> <fw type="header" place="top"> Der Reichsgedanke</fw><lb/> <p xml:id="ID_940" prev="#ID_939"> an sittlichen Kräften immer mehr zum Bewußtsein. Zumal in politischer Be¬<lb/> ziehung erweckt diese Betrachtung schwere Bedenken. Das deutsche Volk wird<lb/> von einer inneren Zerrissenheit beunruhigt, deren Wurzeln nicht klar zu erkennen<lb/> sind. In der systematischen Hetze von Demagogen können sie nicht allein liegen.<lb/> Sie müssen organische Gründe haben. Die Pflichtmomente im Volksleben haben<lb/> eine Abschwächung erfahren. Es zeigt sich, daß der Gemeinschaftsgedanke des<lb/> Reiches weniger bedeutungsvoll für den Stand unserer politischen Gesundheit<lb/> ist, und der Ausbau des Reichsgedankens auf keinem Wege ist, der vertrauens¬<lb/> freudig in die Zukunft blicken läßt. Die Besinnung auf partikulare Gemein¬<lb/> schaften scheint demgegenüber erforderlich zu sein, um einer teilweise sogar<lb/> destruktiven Wirkung des Reichsgedankens in politischer Beziehung Einhalt zu<lb/> gebieten.</p><lb/> <p xml:id="ID_941"> Aus diesen Erwägungen heraus entwickelte sich in Hannover der Preußen¬<lb/> bund, dessen Programm auch im östlichen Preußen starken Widerhall weckte.<lb/> Einem Programm der Reichsverwaltung, das anscheinend darauf hinausgeht,<lb/> demokratische Ansprüche und Möglichkeiten zu vermehren, ohne die Gewähr<lb/> innerer sittlicher Hemmungen zu bieten, soll das Programm des preußischen<lb/> Pflichtbewußtseins entgegengehalten werden. Der Preußenbund geht dazu auf<lb/> partikulare Grundlage zurück. Die innige Verbindung mit der überkommenen<lb/> Tradition, das Festhalten ihrer ideellen und materiellen Werte bedeutet auch in<lb/> der Tat die gesunde Grundlage allen Staatsbürgertums. Klassengliederungen,<lb/> organische Einfügungen in soziale Schichten gewähren innerliche und äußerliche<lb/> Bindungen. Der Preußenbund hat mit der Meinung vollauf recht, daß der<lb/> Gedanke eines einheitlichen Deutschen Reiches alle moralische Kraft verliert,<lb/> wenn es nicht gelingt, die positiven partikularen Werte und Kräfte zu erhalten<lb/> und im organischen Verbände zu stärken. Deshalb nahm der Preußentag eine<lb/> Erklärung an, in der zum Ausdruck gebracht wird, daß nur ein starkes, in der<lb/> Entwicklung seiner Kräfte durch unitarische Fesseln nicht gehindertes Preußen<lb/> feinem deutschen Berufe gerecht werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_942" next="#ID_943"> Es ist jedoch auffallend, daß die programmatischen Erklärungen ans dem<lb/> Preußentage wenig positiven Idealismus erkennen lassen. Wohl wird von den<lb/> Treitschkeschen Worten der Ehrfurcht vor Gott und den Schranken, die die<lb/> Natur den Menschen gesetzt hat, der Ehrfurcht vor dem Vaterlande, das dem<lb/> Wahnbilde einer genießenden, geldzählendcn Menschheit weichen soll, gesprochen.<lb/> Spricht man jedoch von dem Mittel, wie die moralischen Eigenschaften unseres<lb/> Volkes erhalten und die verlorenen wiederzuschaffen sind, so gilt als Hort aller<lb/> politischen Sittlichkeit dem Preußenbunde die Autorität im Staate, und als<lb/> höchstes Ideal die Schulung des Pflichtgefühls in Heer und Flotte"). Bei den</p><lb/> <note xml:id="FID_48" place="foot"> *) Der Zaberner Fall beweist wohl Kraft und Bedeutung der Disziplin, beweist aber<lb/> gleichzeitig, welche verheerende Wirkung die Beschränkung auf dies eine Ideal dem Vertrauens¬<lb/> verhältnis zwischen Volk und Regierung gegenüber ausübt.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 13*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
Der Reichsgedanke
an sittlichen Kräften immer mehr zum Bewußtsein. Zumal in politischer Be¬
ziehung erweckt diese Betrachtung schwere Bedenken. Das deutsche Volk wird
von einer inneren Zerrissenheit beunruhigt, deren Wurzeln nicht klar zu erkennen
sind. In der systematischen Hetze von Demagogen können sie nicht allein liegen.
Sie müssen organische Gründe haben. Die Pflichtmomente im Volksleben haben
eine Abschwächung erfahren. Es zeigt sich, daß der Gemeinschaftsgedanke des
Reiches weniger bedeutungsvoll für den Stand unserer politischen Gesundheit
ist, und der Ausbau des Reichsgedankens auf keinem Wege ist, der vertrauens¬
freudig in die Zukunft blicken läßt. Die Besinnung auf partikulare Gemein¬
schaften scheint demgegenüber erforderlich zu sein, um einer teilweise sogar
destruktiven Wirkung des Reichsgedankens in politischer Beziehung Einhalt zu
gebieten.
Aus diesen Erwägungen heraus entwickelte sich in Hannover der Preußen¬
bund, dessen Programm auch im östlichen Preußen starken Widerhall weckte.
Einem Programm der Reichsverwaltung, das anscheinend darauf hinausgeht,
demokratische Ansprüche und Möglichkeiten zu vermehren, ohne die Gewähr
innerer sittlicher Hemmungen zu bieten, soll das Programm des preußischen
Pflichtbewußtseins entgegengehalten werden. Der Preußenbund geht dazu auf
partikulare Grundlage zurück. Die innige Verbindung mit der überkommenen
Tradition, das Festhalten ihrer ideellen und materiellen Werte bedeutet auch in
der Tat die gesunde Grundlage allen Staatsbürgertums. Klassengliederungen,
organische Einfügungen in soziale Schichten gewähren innerliche und äußerliche
Bindungen. Der Preußenbund hat mit der Meinung vollauf recht, daß der
Gedanke eines einheitlichen Deutschen Reiches alle moralische Kraft verliert,
wenn es nicht gelingt, die positiven partikularen Werte und Kräfte zu erhalten
und im organischen Verbände zu stärken. Deshalb nahm der Preußentag eine
Erklärung an, in der zum Ausdruck gebracht wird, daß nur ein starkes, in der
Entwicklung seiner Kräfte durch unitarische Fesseln nicht gehindertes Preußen
feinem deutschen Berufe gerecht werden kann.
Es ist jedoch auffallend, daß die programmatischen Erklärungen ans dem
Preußentage wenig positiven Idealismus erkennen lassen. Wohl wird von den
Treitschkeschen Worten der Ehrfurcht vor Gott und den Schranken, die die
Natur den Menschen gesetzt hat, der Ehrfurcht vor dem Vaterlande, das dem
Wahnbilde einer genießenden, geldzählendcn Menschheit weichen soll, gesprochen.
Spricht man jedoch von dem Mittel, wie die moralischen Eigenschaften unseres
Volkes erhalten und die verlorenen wiederzuschaffen sind, so gilt als Hort aller
politischen Sittlichkeit dem Preußenbunde die Autorität im Staate, und als
höchstes Ideal die Schulung des Pflichtgefühls in Heer und Flotte"). Bei den
*) Der Zaberner Fall beweist wohl Kraft und Bedeutung der Disziplin, beweist aber
gleichzeitig, welche verheerende Wirkung die Beschränkung auf dies eine Ideal dem Vertrauens¬
verhältnis zwischen Volk und Regierung gegenüber ausübt.
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