Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel um den heimischen Zuständen eine Wendung zu geben, die zum Heile des Während der abgelaufenen vierzehn Tage hat die allgemeine Mißstimmung Nun ist es bei uns noch nicht üblich, daß der Monarch all werdender Post Bei einer allgemeinen, tief in den Verhältnissen begründeten Mißstimmung, Reichsspiegel um den heimischen Zuständen eine Wendung zu geben, die zum Heile des Während der abgelaufenen vierzehn Tage hat die allgemeine Mißstimmung Nun ist es bei uns noch nicht üblich, daß der Monarch all werdender Post Bei einer allgemeinen, tief in den Verhältnissen begründeten Mißstimmung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327613"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_626" prev="#ID_625"> um den heimischen Zuständen eine Wendung zu geben, die zum Heile des<lb/> Ganzen erforderlich ist. Es gibt heute kaum einen denkenden Menschen in<lb/> Deutschland, dem nicht das Wort auf der Zunge läge: „So darf es nicht<lb/> weitergehen!"</p><lb/> <p xml:id="ID_627"> Während der abgelaufenen vierzehn Tage hat die allgemeine Mißstimmung<lb/> über die augenscheinliche Schwäche der Regierungsgewalt einen eigentümlichen<lb/> Ausdruck im preußischen Herrenhause gefunden. Die konservative Partei, die<lb/> bekanntlich nicht müde wird, gegen die Möglichkeit der Einwanderung des<lb/> Parlamentarismus in unser politisches Leben zu predigen, hat unter Führung<lb/> des Grafen Uorck von Wartenburg dem preußischen Ministerpräsidenten auf dem<lb/> Wege durch das Parlament — also mit parlamentarischen Mitteln — ihr<lb/> Mißfallen zum Ausdruck gebracht, wie — wenn auch in anderer Form — im<lb/> Dezember v. I. es der Reichstag getan hat. Was ist das anderes, als ein<lb/> Versuch dein Parlamentarismus Eingang zu verschaffen? Denn ob die Partei¬<lb/> herrschaft von links oder rechts ausgeübt werden soll, ist doch für das Wesen<lb/> des Parlamentarismus unerheblich! Gewiß, man geht noch nicht soweit, dem<lb/> Herrn von Bethmann durch Obstruktion die Gesetzgebungsarbeit unmöglich zu<lb/> machen, zieht also formell auch nicht die parlamentarischen Konsequenzen. Aber<lb/> man fordert doch ziemlich unverblümt vom Könige, diesen der Partei unbequemen<lb/> Mann durch einen anderen zu ersetzen und bedient sich des Parlaments als Aus¬<lb/> drucksmittel für die Forderung.</p><lb/> <p xml:id="ID_628"> Nun ist es bei uns noch nicht üblich, daß der Monarch all werdender Post<lb/> dem Drängen der Parteien Rechnung trägt, und so darf auch ziemlich alles,<lb/> was in den letzten Tagen von einem Kanzlerwechsel geschrieben und gesprochen<lb/> wurde, zunächst ins Reich der Fabel gewiesen werden. Damit ist freilich nicht gesagt,<lb/> daß Herr von Bethmann unabsetzbar ist. In der Führung der Zaberner An¬<lb/> gelegenheit hat er, aller seiner Vorsicht zum Trotz, eine unglückliche Hand gehabt<lb/> und sich dadurch mächtige Gegner gemacht und, was noch schlimmer, Vertrauen<lb/> in einflußreichen Kreisen eingebüßt. Bleibt er also noch längere Zeit im Amt,<lb/> so werden diejenigen Kreise, die in den heutigen Zustünden eine Gefahr für<lb/> das Reich erkennen, auf den Weg der Selbsthilfe gedrängt — Dr. Rösicke hat<lb/> solches bereits auf der gestrigen Tagung des Preußenbnndes ausgesprochen —<lb/> und wir gleiten schneller und schneller in die Bahn des Parlamentarismus, trotz<lb/> Delbrücks und Bethmanns Verwahrungen dagegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_629" next="#ID_630"> Bei einer allgemeinen, tief in den Verhältnissen begründeten Mißstimmung,<lb/> die schon seit Jahren im Volke nagt, bedarf es gewöhnlich nur eines unbedeu¬<lb/> tenden äußeren Anstoßes, um die allgemeine Unzufriedenheit zu explosiven Ausbruch<lb/> zu bringen. Diesmal ist es der an sich herzlich belanglose Fall Forstner gewesen,<lb/> der sich zu dem hochpolitischen Prozeß gegen den Obersten von Reuter aus¬<lb/> gewachsen hat: ein Jena nicht nur der Neichslandenpolitik! Ein Memento und<lb/> als solches die läuternde Flamme, deren die Nation bedürfte. Mit großer<lb/> Genugtuung können wir feststellen, wie wenig die Nation infiziert ist von dem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0147]
Reichsspiegel
um den heimischen Zuständen eine Wendung zu geben, die zum Heile des
Ganzen erforderlich ist. Es gibt heute kaum einen denkenden Menschen in
Deutschland, dem nicht das Wort auf der Zunge läge: „So darf es nicht
weitergehen!"
Während der abgelaufenen vierzehn Tage hat die allgemeine Mißstimmung
über die augenscheinliche Schwäche der Regierungsgewalt einen eigentümlichen
Ausdruck im preußischen Herrenhause gefunden. Die konservative Partei, die
bekanntlich nicht müde wird, gegen die Möglichkeit der Einwanderung des
Parlamentarismus in unser politisches Leben zu predigen, hat unter Führung
des Grafen Uorck von Wartenburg dem preußischen Ministerpräsidenten auf dem
Wege durch das Parlament — also mit parlamentarischen Mitteln — ihr
Mißfallen zum Ausdruck gebracht, wie — wenn auch in anderer Form — im
Dezember v. I. es der Reichstag getan hat. Was ist das anderes, als ein
Versuch dein Parlamentarismus Eingang zu verschaffen? Denn ob die Partei¬
herrschaft von links oder rechts ausgeübt werden soll, ist doch für das Wesen
des Parlamentarismus unerheblich! Gewiß, man geht noch nicht soweit, dem
Herrn von Bethmann durch Obstruktion die Gesetzgebungsarbeit unmöglich zu
machen, zieht also formell auch nicht die parlamentarischen Konsequenzen. Aber
man fordert doch ziemlich unverblümt vom Könige, diesen der Partei unbequemen
Mann durch einen anderen zu ersetzen und bedient sich des Parlaments als Aus¬
drucksmittel für die Forderung.
Nun ist es bei uns noch nicht üblich, daß der Monarch all werdender Post
dem Drängen der Parteien Rechnung trägt, und so darf auch ziemlich alles,
was in den letzten Tagen von einem Kanzlerwechsel geschrieben und gesprochen
wurde, zunächst ins Reich der Fabel gewiesen werden. Damit ist freilich nicht gesagt,
daß Herr von Bethmann unabsetzbar ist. In der Führung der Zaberner An¬
gelegenheit hat er, aller seiner Vorsicht zum Trotz, eine unglückliche Hand gehabt
und sich dadurch mächtige Gegner gemacht und, was noch schlimmer, Vertrauen
in einflußreichen Kreisen eingebüßt. Bleibt er also noch längere Zeit im Amt,
so werden diejenigen Kreise, die in den heutigen Zustünden eine Gefahr für
das Reich erkennen, auf den Weg der Selbsthilfe gedrängt — Dr. Rösicke hat
solches bereits auf der gestrigen Tagung des Preußenbnndes ausgesprochen —
und wir gleiten schneller und schneller in die Bahn des Parlamentarismus, trotz
Delbrücks und Bethmanns Verwahrungen dagegen.
Bei einer allgemeinen, tief in den Verhältnissen begründeten Mißstimmung,
die schon seit Jahren im Volke nagt, bedarf es gewöhnlich nur eines unbedeu¬
tenden äußeren Anstoßes, um die allgemeine Unzufriedenheit zu explosiven Ausbruch
zu bringen. Diesmal ist es der an sich herzlich belanglose Fall Forstner gewesen,
der sich zu dem hochpolitischen Prozeß gegen den Obersten von Reuter aus¬
gewachsen hat: ein Jena nicht nur der Neichslandenpolitik! Ein Memento und
als solches die läuternde Flamme, deren die Nation bedürfte. Mit großer
Genugtuung können wir feststellen, wie wenig die Nation infiziert ist von dem
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