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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Ans dem Kampfe um die Uinoreform

ziehen möchten. Selbst der Friede zwischen dem Verbände deutscher Bühnen¬
schriftsteller und der Filmindustrie, selbst die Beteiligung von Dichtern wie
Lindau, Sudermann, Fulda, Dreyer und Schauspielern wie Bassermann beim
Filmspielen hat keine "Kinokunst" zuwege gebracht. Im Gegenteil, das, was
man da zu sehen bekam, war ebenso schlecht oder sogar schlechter als die bis¬
herige Kinodramatik, die von routinierten "Kinilern"*), Kinoschauspielern wie der
Asta Nielsen und "Kinodichtern" wie Urban Gad hergestellt worden war.

Es wird heute anscheinend vielfach übersehen, daß dem Kmoorama nicht
auf literarischem Gebiete aufzuhelfen ist. Literarische Größen hat man auch
bisher schon genug für Kinostücke ausgebeutet: Shakespeare, Goethe, Schiller,
Victor Hugo usw. Die modernen Dichter werden dem Kino nie bessere, eher
vielleicht schlechtere Stoffe liefern -- das psnchopalhologische Problem im
Lindau-Filu "Der Andere" eignet sich zum Beispiel denkbar schlecht für kino¬
dramatische Darstellung --, höchstens werden sie ihm eine bessere Reklame liefern.

Die Kinokunst muß vom Schauspieler geschaffen werden, denn sie ist in
ganz einzigartiger Weise mimische Kunst. Nicht das literarische Kinodrama,
sondern die mimische Kunst des Schauspielers und das Stilgefühl des Kino¬
regisseurs können uns vielleicht zum Ziele führen. Man beschäftige sich daher
weniger mit dem Kinodrama als mit der Kinodramaturgiewenn es sich
darum handelt, die Möglichkeiten des Kinematographen künstlerisch auszunutzen.

Alle Versuche, das "Kinodrama" künstlerisch zu gestalten, leiden heute noch
an dem Mangel an guten Kinoschauspielern. Man kann nämlich mit sehr
starker Berechtigung den Satz aufstellen, daß Mimen, die als schauspielerische
Größen im szenischen Theater mit Recht gelten, aller Voraussicht nach schlechte
Kinoschauspieler sein werden. Ein Beispiel hierfür ist Bassermann, dessen
mimische Übertreibungen und Gesichtsverzerrungen im Lindau-Filu "Der Andere"
gänzlich unästhetisch und unkünstlerisch wirkten. AIs Gegenbeispiel aber könnte
man die vielgeliebte und vielgeschmähte "Duse des Kinos" anführen: Asta
Nielsen. Man mag mit dem Inhalt und der Art der Stücke, in deren Dienst
sie ihre Kunst stellt, noch so wenig einverstanden sein. Dennoch hat diese Frau
mit einem untrüglichen Instinkt das eine einzige Stilmittel erkannt, auf dem
eine Kunst im Kino aufgebaut werden kann, die pointierte, gleichzeitig aber
völlig beherrschte Bewegung, die gleich weit entfernt von Ausdrucklosigkeit einer¬
seits, von Planlosigkeit und Übertreibung anderseits ist.

Hier wirb die zukünftige Kinokunst einsetzen müssen, wenn sie etwas Wert¬
volles schaffen will. Auf der pointierter und konzentrierter Bewegung muß das
Kinodrama aufgebaut sein, aus ihrer Kultivierung durch den Schauspieler kann
allein einmal eine Kinokunst erwachsen.






*) Ich beabsichtige aber mit diesem Ausdruck nicht, die deutsche Sprache zu bereichern.
"
Vgl. Dr. M. Goldstein: "Kinodramaturgie in Heft 16 Jhg, 1913 der Grenzboten.
Ans dem Kampfe um die Uinoreform

ziehen möchten. Selbst der Friede zwischen dem Verbände deutscher Bühnen¬
schriftsteller und der Filmindustrie, selbst die Beteiligung von Dichtern wie
Lindau, Sudermann, Fulda, Dreyer und Schauspielern wie Bassermann beim
Filmspielen hat keine „Kinokunst" zuwege gebracht. Im Gegenteil, das, was
man da zu sehen bekam, war ebenso schlecht oder sogar schlechter als die bis¬
herige Kinodramatik, die von routinierten „Kinilern"*), Kinoschauspielern wie der
Asta Nielsen und „Kinodichtern" wie Urban Gad hergestellt worden war.

Es wird heute anscheinend vielfach übersehen, daß dem Kmoorama nicht
auf literarischem Gebiete aufzuhelfen ist. Literarische Größen hat man auch
bisher schon genug für Kinostücke ausgebeutet: Shakespeare, Goethe, Schiller,
Victor Hugo usw. Die modernen Dichter werden dem Kino nie bessere, eher
vielleicht schlechtere Stoffe liefern — das psnchopalhologische Problem im
Lindau-Filu „Der Andere" eignet sich zum Beispiel denkbar schlecht für kino¬
dramatische Darstellung —, höchstens werden sie ihm eine bessere Reklame liefern.

Die Kinokunst muß vom Schauspieler geschaffen werden, denn sie ist in
ganz einzigartiger Weise mimische Kunst. Nicht das literarische Kinodrama,
sondern die mimische Kunst des Schauspielers und das Stilgefühl des Kino¬
regisseurs können uns vielleicht zum Ziele führen. Man beschäftige sich daher
weniger mit dem Kinodrama als mit der Kinodramaturgiewenn es sich
darum handelt, die Möglichkeiten des Kinematographen künstlerisch auszunutzen.

Alle Versuche, das „Kinodrama" künstlerisch zu gestalten, leiden heute noch
an dem Mangel an guten Kinoschauspielern. Man kann nämlich mit sehr
starker Berechtigung den Satz aufstellen, daß Mimen, die als schauspielerische
Größen im szenischen Theater mit Recht gelten, aller Voraussicht nach schlechte
Kinoschauspieler sein werden. Ein Beispiel hierfür ist Bassermann, dessen
mimische Übertreibungen und Gesichtsverzerrungen im Lindau-Filu „Der Andere"
gänzlich unästhetisch und unkünstlerisch wirkten. AIs Gegenbeispiel aber könnte
man die vielgeliebte und vielgeschmähte „Duse des Kinos" anführen: Asta
Nielsen. Man mag mit dem Inhalt und der Art der Stücke, in deren Dienst
sie ihre Kunst stellt, noch so wenig einverstanden sein. Dennoch hat diese Frau
mit einem untrüglichen Instinkt das eine einzige Stilmittel erkannt, auf dem
eine Kunst im Kino aufgebaut werden kann, die pointierte, gleichzeitig aber
völlig beherrschte Bewegung, die gleich weit entfernt von Ausdrucklosigkeit einer¬
seits, von Planlosigkeit und Übertreibung anderseits ist.

Hier wirb die zukünftige Kinokunst einsetzen müssen, wenn sie etwas Wert¬
volles schaffen will. Auf der pointierter und konzentrierter Bewegung muß das
Kinodrama aufgebaut sein, aus ihrer Kultivierung durch den Schauspieler kann
allein einmal eine Kinokunst erwachsen.






*) Ich beabsichtige aber mit diesem Ausdruck nicht, die deutsche Sprache zu bereichern.
"
Vgl. Dr. M. Goldstein: „Kinodramaturgie in Heft 16 Jhg, 1913 der Grenzboten.
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[0144] Ans dem Kampfe um die Uinoreform ziehen möchten. Selbst der Friede zwischen dem Verbände deutscher Bühnen¬ schriftsteller und der Filmindustrie, selbst die Beteiligung von Dichtern wie Lindau, Sudermann, Fulda, Dreyer und Schauspielern wie Bassermann beim Filmspielen hat keine „Kinokunst" zuwege gebracht. Im Gegenteil, das, was man da zu sehen bekam, war ebenso schlecht oder sogar schlechter als die bis¬ herige Kinodramatik, die von routinierten „Kinilern"*), Kinoschauspielern wie der Asta Nielsen und „Kinodichtern" wie Urban Gad hergestellt worden war. Es wird heute anscheinend vielfach übersehen, daß dem Kmoorama nicht auf literarischem Gebiete aufzuhelfen ist. Literarische Größen hat man auch bisher schon genug für Kinostücke ausgebeutet: Shakespeare, Goethe, Schiller, Victor Hugo usw. Die modernen Dichter werden dem Kino nie bessere, eher vielleicht schlechtere Stoffe liefern — das psnchopalhologische Problem im Lindau-Filu „Der Andere" eignet sich zum Beispiel denkbar schlecht für kino¬ dramatische Darstellung —, höchstens werden sie ihm eine bessere Reklame liefern. Die Kinokunst muß vom Schauspieler geschaffen werden, denn sie ist in ganz einzigartiger Weise mimische Kunst. Nicht das literarische Kinodrama, sondern die mimische Kunst des Schauspielers und das Stilgefühl des Kino¬ regisseurs können uns vielleicht zum Ziele führen. Man beschäftige sich daher weniger mit dem Kinodrama als mit der Kinodramaturgiewenn es sich darum handelt, die Möglichkeiten des Kinematographen künstlerisch auszunutzen. Alle Versuche, das „Kinodrama" künstlerisch zu gestalten, leiden heute noch an dem Mangel an guten Kinoschauspielern. Man kann nämlich mit sehr starker Berechtigung den Satz aufstellen, daß Mimen, die als schauspielerische Größen im szenischen Theater mit Recht gelten, aller Voraussicht nach schlechte Kinoschauspieler sein werden. Ein Beispiel hierfür ist Bassermann, dessen mimische Übertreibungen und Gesichtsverzerrungen im Lindau-Filu „Der Andere" gänzlich unästhetisch und unkünstlerisch wirkten. AIs Gegenbeispiel aber könnte man die vielgeliebte und vielgeschmähte „Duse des Kinos" anführen: Asta Nielsen. Man mag mit dem Inhalt und der Art der Stücke, in deren Dienst sie ihre Kunst stellt, noch so wenig einverstanden sein. Dennoch hat diese Frau mit einem untrüglichen Instinkt das eine einzige Stilmittel erkannt, auf dem eine Kunst im Kino aufgebaut werden kann, die pointierte, gleichzeitig aber völlig beherrschte Bewegung, die gleich weit entfernt von Ausdrucklosigkeit einer¬ seits, von Planlosigkeit und Übertreibung anderseits ist. Hier wirb die zukünftige Kinokunst einsetzen müssen, wenn sie etwas Wert¬ volles schaffen will. Auf der pointierter und konzentrierter Bewegung muß das Kinodrama aufgebaut sein, aus ihrer Kultivierung durch den Schauspieler kann allein einmal eine Kinokunst erwachsen. *) Ich beabsichtige aber mit diesem Ausdruck nicht, die deutsche Sprache zu bereichern. " Vgl. Dr. M. Goldstein: „Kinodramaturgie in Heft 16 Jhg, 1913 der Grenzboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/144>, abgerufen am 29.12.2024.