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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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T>er geplante Kanaltunnel zwischen Frankreich und England

3. den Tunnel unter Wasser zu setzen.

In einem der vorgenannten drei Fälle ist das betreffende Land nicht ver¬
pflichtet, dem anderen Lande oder deren Betriebsgesellschaft für den entstehenden
Schaden irgendwelchen Ersatz zu leisten.

Diese Vorschläge fanden nicht die Zustimmung des englischen Parlamentes
und warten heutigen Tages noch auf ihre Verwirklichung. Insofern war jedoch
die Tunnelfrage inzwischen gefördert worden, als im Jahre 1875 die South
Eastern Nailway Company vom Parlament die Erlaubnis erwirkt hatte, bei
Dover an der Shakespeare Cliff eine Versuchsgallerie von 2 Kilometer Länge
herzustellen, die 1600 Meter unter dem Meere hinläuft. Die zu diesem Zweck
mit Hilfe der South Eastern Railway Company gebildete "submarine Com¬
pany" verfügte über ein Anfangskapital von rund einer halben Million Mark.

In gleicher Weise war man auf französischer Seite vorgegangen, wo eben¬
falls, nach Bildung einer Gesellschaft mit einen, Kapital von 2 Millionen Franken,
bei Sangatte eine Versuchsgallerie, die 1849 Meter unter das Meer reicht,
hergestellt wurde. Alle diese Arbeiten mit ihren Maschinenanlagen sind bis auf
den heutigen Tag instandgehalten worden, und man kann sagen, daß in jedem
Augenblick die Arbeit weitergeführt werden kann, falls die britische Regierung
ihre Eiwilligung dazu gibt.

Die auf beiden Seiten gemachten Bohrversuche und das Studium der
geologischen Verhältnisse des Meeresgrundes zwischen den geplanten Endpunkten
der Bahnlinie eröffneten die günstigsten Aussichten für den Tunnelbau. An
beiden Küsten ist das Kreidemassiv vollkommen gleichmäßig gestaltet. Da nun
die Trennung der britischen Inseln vom Festland durch Überflutung des Kon¬
tinentalsockels infolge positiver Niveauverschiebung (Senkung des Landes) vor
sich gegangen ist, so ist als sicher anzunehmen, daß die Gestaltung des Meeres¬
bodens derjenigen des beiderseitigen Küstengebietes entspricht.

Die oberste Schicht wird aus Kreide, die mit Kiesel durchsetzt ist, gebildet;
weiter unten ist die Kreide mit Lehm vermischt, und anschließend folgt eine sehr
feste, gleichmäßige Schicht von lehmiger Kreide, die auch für die Zement¬
gewinnung von Bedeutung ist. Die Kreide ist sehr leicht zu bearbeiten und
gleichzeitig fest genug gegen die Gefahr des Einstürzensz die in ihr enthaltene
Lehmmischung macht sie aber für Wasser undurchdringlich. Die Höhe dieser
Erdschicht wird durchschnittlich auf 60 Meter geschätzt. Man kann sich also
keine günstigeren geologischen Verhältnisse für einen Tunnelbau denken.

Allerdings scheinen die verschiedenen Schichten nicht überall wagerecht
gelagert zu sein, sondern teilweise eine wellenförmige Gestalt anzunehmen. Will
man also die Träne stets in gleichem Abstand von den weniger günstigen Erd¬
schichten über der grauen Kreideschicht führen, so sind Steigungen und Gefälle
nicht zu vermeiden. Die anfangs in dieser Hinsicht gehegten Befürchtungen
sind aber neuerdings infolge der Möglichkeit des elektrischen Betriebes der Bahn
geschwunden.


T>er geplante Kanaltunnel zwischen Frankreich und England

3. den Tunnel unter Wasser zu setzen.

In einem der vorgenannten drei Fälle ist das betreffende Land nicht ver¬
pflichtet, dem anderen Lande oder deren Betriebsgesellschaft für den entstehenden
Schaden irgendwelchen Ersatz zu leisten.

Diese Vorschläge fanden nicht die Zustimmung des englischen Parlamentes
und warten heutigen Tages noch auf ihre Verwirklichung. Insofern war jedoch
die Tunnelfrage inzwischen gefördert worden, als im Jahre 1875 die South
Eastern Nailway Company vom Parlament die Erlaubnis erwirkt hatte, bei
Dover an der Shakespeare Cliff eine Versuchsgallerie von 2 Kilometer Länge
herzustellen, die 1600 Meter unter dem Meere hinläuft. Die zu diesem Zweck
mit Hilfe der South Eastern Railway Company gebildete „submarine Com¬
pany" verfügte über ein Anfangskapital von rund einer halben Million Mark.

In gleicher Weise war man auf französischer Seite vorgegangen, wo eben¬
falls, nach Bildung einer Gesellschaft mit einen, Kapital von 2 Millionen Franken,
bei Sangatte eine Versuchsgallerie, die 1849 Meter unter das Meer reicht,
hergestellt wurde. Alle diese Arbeiten mit ihren Maschinenanlagen sind bis auf
den heutigen Tag instandgehalten worden, und man kann sagen, daß in jedem
Augenblick die Arbeit weitergeführt werden kann, falls die britische Regierung
ihre Eiwilligung dazu gibt.

Die auf beiden Seiten gemachten Bohrversuche und das Studium der
geologischen Verhältnisse des Meeresgrundes zwischen den geplanten Endpunkten
der Bahnlinie eröffneten die günstigsten Aussichten für den Tunnelbau. An
beiden Küsten ist das Kreidemassiv vollkommen gleichmäßig gestaltet. Da nun
die Trennung der britischen Inseln vom Festland durch Überflutung des Kon¬
tinentalsockels infolge positiver Niveauverschiebung (Senkung des Landes) vor
sich gegangen ist, so ist als sicher anzunehmen, daß die Gestaltung des Meeres¬
bodens derjenigen des beiderseitigen Küstengebietes entspricht.

Die oberste Schicht wird aus Kreide, die mit Kiesel durchsetzt ist, gebildet;
weiter unten ist die Kreide mit Lehm vermischt, und anschließend folgt eine sehr
feste, gleichmäßige Schicht von lehmiger Kreide, die auch für die Zement¬
gewinnung von Bedeutung ist. Die Kreide ist sehr leicht zu bearbeiten und
gleichzeitig fest genug gegen die Gefahr des Einstürzensz die in ihr enthaltene
Lehmmischung macht sie aber für Wasser undurchdringlich. Die Höhe dieser
Erdschicht wird durchschnittlich auf 60 Meter geschätzt. Man kann sich also
keine günstigeren geologischen Verhältnisse für einen Tunnelbau denken.

Allerdings scheinen die verschiedenen Schichten nicht überall wagerecht
gelagert zu sein, sondern teilweise eine wellenförmige Gestalt anzunehmen. Will
man also die Träne stets in gleichem Abstand von den weniger günstigen Erd¬
schichten über der grauen Kreideschicht führen, so sind Steigungen und Gefälle
nicht zu vermeiden. Die anfangs in dieser Hinsicht gehegten Befürchtungen
sind aber neuerdings infolge der Möglichkeit des elektrischen Betriebes der Bahn
geschwunden.


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[0126] T>er geplante Kanaltunnel zwischen Frankreich und England 3. den Tunnel unter Wasser zu setzen. In einem der vorgenannten drei Fälle ist das betreffende Land nicht ver¬ pflichtet, dem anderen Lande oder deren Betriebsgesellschaft für den entstehenden Schaden irgendwelchen Ersatz zu leisten. Diese Vorschläge fanden nicht die Zustimmung des englischen Parlamentes und warten heutigen Tages noch auf ihre Verwirklichung. Insofern war jedoch die Tunnelfrage inzwischen gefördert worden, als im Jahre 1875 die South Eastern Nailway Company vom Parlament die Erlaubnis erwirkt hatte, bei Dover an der Shakespeare Cliff eine Versuchsgallerie von 2 Kilometer Länge herzustellen, die 1600 Meter unter dem Meere hinläuft. Die zu diesem Zweck mit Hilfe der South Eastern Railway Company gebildete „submarine Com¬ pany" verfügte über ein Anfangskapital von rund einer halben Million Mark. In gleicher Weise war man auf französischer Seite vorgegangen, wo eben¬ falls, nach Bildung einer Gesellschaft mit einen, Kapital von 2 Millionen Franken, bei Sangatte eine Versuchsgallerie, die 1849 Meter unter das Meer reicht, hergestellt wurde. Alle diese Arbeiten mit ihren Maschinenanlagen sind bis auf den heutigen Tag instandgehalten worden, und man kann sagen, daß in jedem Augenblick die Arbeit weitergeführt werden kann, falls die britische Regierung ihre Eiwilligung dazu gibt. Die auf beiden Seiten gemachten Bohrversuche und das Studium der geologischen Verhältnisse des Meeresgrundes zwischen den geplanten Endpunkten der Bahnlinie eröffneten die günstigsten Aussichten für den Tunnelbau. An beiden Küsten ist das Kreidemassiv vollkommen gleichmäßig gestaltet. Da nun die Trennung der britischen Inseln vom Festland durch Überflutung des Kon¬ tinentalsockels infolge positiver Niveauverschiebung (Senkung des Landes) vor sich gegangen ist, so ist als sicher anzunehmen, daß die Gestaltung des Meeres¬ bodens derjenigen des beiderseitigen Küstengebietes entspricht. Die oberste Schicht wird aus Kreide, die mit Kiesel durchsetzt ist, gebildet; weiter unten ist die Kreide mit Lehm vermischt, und anschließend folgt eine sehr feste, gleichmäßige Schicht von lehmiger Kreide, die auch für die Zement¬ gewinnung von Bedeutung ist. Die Kreide ist sehr leicht zu bearbeiten und gleichzeitig fest genug gegen die Gefahr des Einstürzensz die in ihr enthaltene Lehmmischung macht sie aber für Wasser undurchdringlich. Die Höhe dieser Erdschicht wird durchschnittlich auf 60 Meter geschätzt. Man kann sich also keine günstigeren geologischen Verhältnisse für einen Tunnelbau denken. Allerdings scheinen die verschiedenen Schichten nicht überall wagerecht gelagert zu sein, sondern teilweise eine wellenförmige Gestalt anzunehmen. Will man also die Träne stets in gleichem Abstand von den weniger günstigen Erd¬ schichten über der grauen Kreideschicht führen, so sind Steigungen und Gefälle nicht zu vermeiden. Die anfangs in dieser Hinsicht gehegten Befürchtungen sind aber neuerdings infolge der Möglichkeit des elektrischen Betriebes der Bahn geschwunden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/126>, abgerufen am 01.01.2025.