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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliche?

[Beginn Spaltensatz]

der Verfasser selbst hervorhebt, nicht durch¬
weg Neues geben, weil manches davon schon
veröffentlicht worden ist, so behalten sie doch
durch den besonderen Zusammenhang, in den
sie hier gerückt erscheinen, ihren Wert.

Es kann nicht die Aufgabe einer Buch¬
besprechung sein, "die Rosinen ans dem
Kuchen zu nehmen", d. h. einen Auszug von
alledem zu geben, was das Werk vorzugs¬
weise interessant macht. Darum mögen einige
Hinweise genügen. Sehr verbreitet ist noch
immer die Vorstellung, daß Fürst Bismarck,
von Zorn und Rachedurst über seine Ent¬
lassung erfüllt, seit 1890 an nichts anderes
gedacht habe, als der Politik des Kaisers und
ihren Veriretern, in erster Linie seinem Nach¬
folger, Steine in den Weg zu werfen. Ob¬
wohl alle, die die politischen Ereignisse jener
Tage genauer und ohne vorgefaßte Meinungen
verfolgt haben, wissen, daß diese landläufige
Vorstellung unrichtig ist, so freuen wir uns
doch, bei Hofmann wciiere Beweisstücke zur
Berichtigung solchen Irrtums zu finden. Ins¬
besondere hat das Gefühl erlittener Kränkung
und die berechtigte Bitterkeit über die Begleit¬
erscheinungen seines Rücktritts niemals den
Kern der Gesinnungen berührt, die ihn nicht
aus Opportunismus oder Reflexion, sondern
aus tiefstem Bedürfnis seines Wesens zum
überzeugten Monarchisten machten. Wieder¬
holt gibt er Hofmann die Weisung, alles zu
vermeiden, was den Kaiser verletzen könnte
oder was eine Kritik seiner Persönlichen Mei¬
nungen bedeuten würde. "Ich kann be¬
zeugen" -- schreibt Hofmann --, "daß der
Fürst, selbst in den allerschlimmsten und bitter¬
sten Tagen, ... in seinem Gespräch mit mir
niemals ein Wort gebraucht hat, das den
Respekt vor dem Monarchen irgendwie verletzt
hätte."

Bei den Mitteilungen, die in diesem Zu¬
sammenhange gemacht werden, sei nebenbei
auf einen kleinen Irrtum hingewiesen. Wie
S. 32 erzählt wird, ließ Fürst Bismarck nach
der bekannten Moskaner Rede des Prinzen
Ludwig von Bayern, des jetzigen Königs, an
Hofmann schreiben: "Eine Besprechung der
Moskaner Angelegenheit würde einen Angriff
gegen den Prinzen Heinrich von Preußen
einschließen, und dies muß in den H. N. ver¬
mieden werden." Hiernach scheint damals

[Spaltenumbruch]

in den ersten Meldungen über den Moskaner
Vorfall die Lesart verbreitet gewesen zu sein,
daß Prinz Heinrich die Rede des Prinzen
Ludwig Provoziert habe. Hofmann scheint
dies an der bezeichneten Stelle seines Buchs
als wirkliche Tatsache vorauszusetzen. Das
ist aber ein Irrtum. Es war ein gänzlich
unpolitischer Privatmann, der Vizepräsident
des Deutschen Vereins, der durch einen un¬
korrekten Ausdruck die Erwiderung des Prinzen
Ludwig hervorrief Prinz Heinrich hat außer
einem kurzen, ganz knappen Trinkspruch auf
den Kaiser von Rußland -- wie ich als
Augen- und Ohrenzeuge des Borfalls ver¬
sichern kann --, überhaupt nicht gesprochen.

Auch seinem Nachfolger und den Stützen
des neuen Kurses trat Fürst Bismarck nicht,
wie eine weitverbreitete Legende behauptet,
von Anfang an feindselig in den Weg, son¬
dern begann mit der herben Kritik der Po¬
litik seines Nachfolgers erst, als dieser sie
herausgefordert hatte. Für diese an sich na¬
türlich bekannte Tatsache bringt Hofmann neue
und interessante Belege. Vornehmlich war
es der Umstand, daß sich der Reichskanzler
von Caprivi bei der Verteidigung des Sansi¬
barvertrages im Reichstag ans eine Randbemer¬
kung des Fürsten Bismarck stützen wollte, die er
in den Akten gefunden hatte. Das brachte den
Fürsten in Harnisch, weil er den Vorgang so
auffaßte, als wollte Caprivi seine Fehler mit
seiner (Bismarcks) Autorität decken. Es kam
dazu, daß Fürst Bismarck -- und er damals
nicht allein -- unter dem Eindruck stand, daß
allerhand Persönlichkeiten geschäftig waren,
um dem Kaiser sein Verhalten in falschen.
Lichte darzustellen und den Monarchen gegen
ihn einzunehmen. An die Behörden ergingen
kränkende Anweisungen, worin erklärt wurde,
daß die Stimme des Fürsten Bismarck nicht
mehr von Bedeutung sei. Alles das mußte
erbitternd wirken, und Fürst Bismarck war
nicht der Mann, dazu einfach zu schweigen.
Aber wie er seine Kritik begründete, wie er
sie aufgefaßt wissen wollte, wie er auch über
die Ausübung seines Abgeordnetenmandats
dachte, darüber findet sich mancherlei in Hof¬
manns Buch zu lesen. Vieles schon Be¬
kannte taucht dabei wieder deutlicher in der
Erinnerung auf: die leidige Angelegenheit
der Uriasbriefe, als der greise Fürst nach

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Maßgebliches und Unmaßgebliche?

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der Verfasser selbst hervorhebt, nicht durch¬
weg Neues geben, weil manches davon schon
veröffentlicht worden ist, so behalten sie doch
durch den besonderen Zusammenhang, in den
sie hier gerückt erscheinen, ihren Wert.

Es kann nicht die Aufgabe einer Buch¬
besprechung sein, „die Rosinen ans dem
Kuchen zu nehmen", d. h. einen Auszug von
alledem zu geben, was das Werk vorzugs¬
weise interessant macht. Darum mögen einige
Hinweise genügen. Sehr verbreitet ist noch
immer die Vorstellung, daß Fürst Bismarck,
von Zorn und Rachedurst über seine Ent¬
lassung erfüllt, seit 1890 an nichts anderes
gedacht habe, als der Politik des Kaisers und
ihren Veriretern, in erster Linie seinem Nach¬
folger, Steine in den Weg zu werfen. Ob¬
wohl alle, die die politischen Ereignisse jener
Tage genauer und ohne vorgefaßte Meinungen
verfolgt haben, wissen, daß diese landläufige
Vorstellung unrichtig ist, so freuen wir uns
doch, bei Hofmann wciiere Beweisstücke zur
Berichtigung solchen Irrtums zu finden. Ins¬
besondere hat das Gefühl erlittener Kränkung
und die berechtigte Bitterkeit über die Begleit¬
erscheinungen seines Rücktritts niemals den
Kern der Gesinnungen berührt, die ihn nicht
aus Opportunismus oder Reflexion, sondern
aus tiefstem Bedürfnis seines Wesens zum
überzeugten Monarchisten machten. Wieder¬
holt gibt er Hofmann die Weisung, alles zu
vermeiden, was den Kaiser verletzen könnte
oder was eine Kritik seiner Persönlichen Mei¬
nungen bedeuten würde. „Ich kann be¬
zeugen" — schreibt Hofmann —, „daß der
Fürst, selbst in den allerschlimmsten und bitter¬
sten Tagen, ... in seinem Gespräch mit mir
niemals ein Wort gebraucht hat, das den
Respekt vor dem Monarchen irgendwie verletzt
hätte."

Bei den Mitteilungen, die in diesem Zu¬
sammenhange gemacht werden, sei nebenbei
auf einen kleinen Irrtum hingewiesen. Wie
S. 32 erzählt wird, ließ Fürst Bismarck nach
der bekannten Moskaner Rede des Prinzen
Ludwig von Bayern, des jetzigen Königs, an
Hofmann schreiben: „Eine Besprechung der
Moskaner Angelegenheit würde einen Angriff
gegen den Prinzen Heinrich von Preußen
einschließen, und dies muß in den H. N. ver¬
mieden werden." Hiernach scheint damals

[Spaltenumbruch]

in den ersten Meldungen über den Moskaner
Vorfall die Lesart verbreitet gewesen zu sein,
daß Prinz Heinrich die Rede des Prinzen
Ludwig Provoziert habe. Hofmann scheint
dies an der bezeichneten Stelle seines Buchs
als wirkliche Tatsache vorauszusetzen. Das
ist aber ein Irrtum. Es war ein gänzlich
unpolitischer Privatmann, der Vizepräsident
des Deutschen Vereins, der durch einen un¬
korrekten Ausdruck die Erwiderung des Prinzen
Ludwig hervorrief Prinz Heinrich hat außer
einem kurzen, ganz knappen Trinkspruch auf
den Kaiser von Rußland — wie ich als
Augen- und Ohrenzeuge des Borfalls ver¬
sichern kann —, überhaupt nicht gesprochen.

Auch seinem Nachfolger und den Stützen
des neuen Kurses trat Fürst Bismarck nicht,
wie eine weitverbreitete Legende behauptet,
von Anfang an feindselig in den Weg, son¬
dern begann mit der herben Kritik der Po¬
litik seines Nachfolgers erst, als dieser sie
herausgefordert hatte. Für diese an sich na¬
türlich bekannte Tatsache bringt Hofmann neue
und interessante Belege. Vornehmlich war
es der Umstand, daß sich der Reichskanzler
von Caprivi bei der Verteidigung des Sansi¬
barvertrages im Reichstag ans eine Randbemer¬
kung des Fürsten Bismarck stützen wollte, die er
in den Akten gefunden hatte. Das brachte den
Fürsten in Harnisch, weil er den Vorgang so
auffaßte, als wollte Caprivi seine Fehler mit
seiner (Bismarcks) Autorität decken. Es kam
dazu, daß Fürst Bismarck — und er damals
nicht allein — unter dem Eindruck stand, daß
allerhand Persönlichkeiten geschäftig waren,
um dem Kaiser sein Verhalten in falschen.
Lichte darzustellen und den Monarchen gegen
ihn einzunehmen. An die Behörden ergingen
kränkende Anweisungen, worin erklärt wurde,
daß die Stimme des Fürsten Bismarck nicht
mehr von Bedeutung sei. Alles das mußte
erbitternd wirken, und Fürst Bismarck war
nicht der Mann, dazu einfach zu schweigen.
Aber wie er seine Kritik begründete, wie er
sie aufgefaßt wissen wollte, wie er auch über
die Ausübung seines Abgeordnetenmandats
dachte, darüber findet sich mancherlei in Hof¬
manns Buch zu lesen. Vieles schon Be¬
kannte taucht dabei wieder deutlicher in der
Erinnerung auf: die leidige Angelegenheit
der Uriasbriefe, als der greise Fürst nach

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[0104] Maßgebliches und Unmaßgebliche? der Verfasser selbst hervorhebt, nicht durch¬ weg Neues geben, weil manches davon schon veröffentlicht worden ist, so behalten sie doch durch den besonderen Zusammenhang, in den sie hier gerückt erscheinen, ihren Wert. Es kann nicht die Aufgabe einer Buch¬ besprechung sein, „die Rosinen ans dem Kuchen zu nehmen", d. h. einen Auszug von alledem zu geben, was das Werk vorzugs¬ weise interessant macht. Darum mögen einige Hinweise genügen. Sehr verbreitet ist noch immer die Vorstellung, daß Fürst Bismarck, von Zorn und Rachedurst über seine Ent¬ lassung erfüllt, seit 1890 an nichts anderes gedacht habe, als der Politik des Kaisers und ihren Veriretern, in erster Linie seinem Nach¬ folger, Steine in den Weg zu werfen. Ob¬ wohl alle, die die politischen Ereignisse jener Tage genauer und ohne vorgefaßte Meinungen verfolgt haben, wissen, daß diese landläufige Vorstellung unrichtig ist, so freuen wir uns doch, bei Hofmann wciiere Beweisstücke zur Berichtigung solchen Irrtums zu finden. Ins¬ besondere hat das Gefühl erlittener Kränkung und die berechtigte Bitterkeit über die Begleit¬ erscheinungen seines Rücktritts niemals den Kern der Gesinnungen berührt, die ihn nicht aus Opportunismus oder Reflexion, sondern aus tiefstem Bedürfnis seines Wesens zum überzeugten Monarchisten machten. Wieder¬ holt gibt er Hofmann die Weisung, alles zu vermeiden, was den Kaiser verletzen könnte oder was eine Kritik seiner Persönlichen Mei¬ nungen bedeuten würde. „Ich kann be¬ zeugen" — schreibt Hofmann —, „daß der Fürst, selbst in den allerschlimmsten und bitter¬ sten Tagen, ... in seinem Gespräch mit mir niemals ein Wort gebraucht hat, das den Respekt vor dem Monarchen irgendwie verletzt hätte." Bei den Mitteilungen, die in diesem Zu¬ sammenhange gemacht werden, sei nebenbei auf einen kleinen Irrtum hingewiesen. Wie S. 32 erzählt wird, ließ Fürst Bismarck nach der bekannten Moskaner Rede des Prinzen Ludwig von Bayern, des jetzigen Königs, an Hofmann schreiben: „Eine Besprechung der Moskaner Angelegenheit würde einen Angriff gegen den Prinzen Heinrich von Preußen einschließen, und dies muß in den H. N. ver¬ mieden werden." Hiernach scheint damals in den ersten Meldungen über den Moskaner Vorfall die Lesart verbreitet gewesen zu sein, daß Prinz Heinrich die Rede des Prinzen Ludwig Provoziert habe. Hofmann scheint dies an der bezeichneten Stelle seines Buchs als wirkliche Tatsache vorauszusetzen. Das ist aber ein Irrtum. Es war ein gänzlich unpolitischer Privatmann, der Vizepräsident des Deutschen Vereins, der durch einen un¬ korrekten Ausdruck die Erwiderung des Prinzen Ludwig hervorrief Prinz Heinrich hat außer einem kurzen, ganz knappen Trinkspruch auf den Kaiser von Rußland — wie ich als Augen- und Ohrenzeuge des Borfalls ver¬ sichern kann —, überhaupt nicht gesprochen. Auch seinem Nachfolger und den Stützen des neuen Kurses trat Fürst Bismarck nicht, wie eine weitverbreitete Legende behauptet, von Anfang an feindselig in den Weg, son¬ dern begann mit der herben Kritik der Po¬ litik seines Nachfolgers erst, als dieser sie herausgefordert hatte. Für diese an sich na¬ türlich bekannte Tatsache bringt Hofmann neue und interessante Belege. Vornehmlich war es der Umstand, daß sich der Reichskanzler von Caprivi bei der Verteidigung des Sansi¬ barvertrages im Reichstag ans eine Randbemer¬ kung des Fürsten Bismarck stützen wollte, die er in den Akten gefunden hatte. Das brachte den Fürsten in Harnisch, weil er den Vorgang so auffaßte, als wollte Caprivi seine Fehler mit seiner (Bismarcks) Autorität decken. Es kam dazu, daß Fürst Bismarck — und er damals nicht allein — unter dem Eindruck stand, daß allerhand Persönlichkeiten geschäftig waren, um dem Kaiser sein Verhalten in falschen. Lichte darzustellen und den Monarchen gegen ihn einzunehmen. An die Behörden ergingen kränkende Anweisungen, worin erklärt wurde, daß die Stimme des Fürsten Bismarck nicht mehr von Bedeutung sei. Alles das mußte erbitternd wirken, und Fürst Bismarck war nicht der Mann, dazu einfach zu schweigen. Aber wie er seine Kritik begründete, wie er sie aufgefaßt wissen wollte, wie er auch über die Ausübung seines Abgeordnetenmandats dachte, darüber findet sich mancherlei in Hof¬ manns Buch zu lesen. Vieles schon Be¬ kannte taucht dabei wieder deutlicher in der Erinnerung auf: die leidige Angelegenheit der Uriasbriefe, als der greise Fürst nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/104>, abgerufen am 29.12.2024.