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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Bismarck ihn nicht geschrieben hat. Und die
Praktische Bedeutung dieses Unterschieds? Sie
besteht darin, daß die Gedanken und Motive
Bismarcks, die immer nur der Erläuterung
und Begründung einer konkreten Lage galten,
durch die Art, wie sie hier verwendet wurden,
nämlich zur Begründung der generellen Haltung
einer Zeitung, etwas mehr von Schema und
Grundsatz annahmen, als Bismarcks Art ent¬
sprach. Eine Zeitung kann in ihrer Stellung¬
nahme- zu einer Frage nicht ganz die
diplomatische Beweglichkeit zeigen, wie der
Staatsmann. Wenn Fürst Bismarck davor
wurde, sich in den Dienst der österreichischen
Valkaninleressen zu stellen, so hatte er recht
unter den Umständen, unter denen er diese
Warnung aussprnch. Wenn aber eine Zeitung
von sich aus diese Warnung weitergibt in
Form eines allgemeinen Grundsatzes, den sie
für ihre politische Haltung aufstellt, so kann es
eines Tages kommen, daß das Exempel nicht
stimmt. Auch Fürst Bismarck hätte den
Grundsatz, das; Deutschland des Bundes mit
Österreich - Ungar" nicht im Sinne einer
Unterstützung der österreichischen Bnttanpolitik
wirken lassen dürfe, kaltblütig fallen lassen
in dem Augenblick, wo er sich überzeugte,
daß das Interesse Deutschlands in einer kon¬
kreten Lage ein anderes Verfahren forderte.
Das konnte z. B. dann der Fall sein, wenn
Rußland eine auf die Isolierung und
Schwächung Deutschlands gerichtete Politik
trieb und seine diesem Zweck dienenden Be¬
rechnungen auf die ganz zuversichtlich gehegte
Annahme stützte, daß Deutschland seinen
Bundesgenossen im entscheidenden Augenblick
-- unter dem Vorwand, daß Ssterreich-
Ungnrn durch seine Balkanpolitik den An¬
griff Rußlands selbst herausgefordert habe --,
im Stich lassen werde. Also der Fall,
daß das österreichische Balkauintcresse
durch eine besondere Verkettung der Um¬
stände in der europäischen Politik vorüber¬
gehend ein deutsches Interesse wurde, und
zwar ein sehr ernstes und dringendes Inter¬
esse I Dieser Fall trat in der sogenannten
böhmischen Krisis ein. Indem Fürst Bülow
sich -- anscheinend gegen die Bismarcksche
Regel -- an die Seite Österreich-Ungarns
stellte, bewahrte er Deutschland vor einer
großen Gefahr; die Meinung, es hätte das

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Gegenteil geschehen müsse", beruhte auf einer
Veikenminq der damaligen europäischen Lage
und namentlich der Ziele der Jswolskischen
Politik. Hofmann hat daher unrecht, wenn
er dem Abdruck des Hamburger Nachrichten-
Artikels vom 24 Januar 1892 bei der Stelle:
"Es (Deutschland) würde schließlich Gut und
Blut für die Wiener Balkanpolilik riskieren"
-- die Fußnote hinzufügt: "Wie es später
durch die Bülowsche Bekundung der .Nibe¬
lungentreue' geschehen ist" (Band II S. 6).
Wenn der Ausdruck "Nibelungentreue" aller¬
dings in einer festlich bewegten Stunde aus
hoheur Munde gefallen ist, und wenn Fürst
Bülow ihn einmal auch im Reichstage ak¬
zeptiert hat, so beweist das für die diplo¬
matischen Motive der deutschen Politik gar
nichts. Es Hütte gar nicht der Lage ent¬
sprochen, euer" Bülow damals öffentlich den
Schleier von denMachenschasten der europäischen
Politik weggezogen hätte. Es genügte voll¬
kommen, wenn die Öffentlichkeit durch ein
hübsches Schlagwort auf die Tatsache hinge¬
wiesen wurde, daß Deutschland trotz Kriegs¬
gefahr die Bündnistreue gehalten hatte. Daraus
aber den Schluß zu ziehen, daß Deutschland,
uneingedenk der Bismnrckschen Warnungen,
nur einer sentimentalen Wallung folgend die
Politik OsterreichUnganiS unterstützt habe,
ist unberechtigt und historisch unhaltbar.

An diesem Beispiel sollte nur gezeigt
werden, daß es -- ohne die Treue der Auf¬
zeichnungen Hofmanns anzuzweifeln doch
gelegentlich von Wert sein kann, zwischen den
von Bismarck geschriebenen und den von
ihm inspirierten Artikeln zu unterscheiden.
Das Hofmannsche Buch, das diese Unter¬
scheidung ermöglicht, ist also ein wertvolles
historisches Quellenwerk geworden. Aber
auch das, was Hofmann dem Abdruck der
Bisnmrckartikel aus eigenen Aufzeichnungen
und aus den Eindrücken seines persönliche"
Verkehrs mit dem Fürsten Bismarck voran¬
gestellt hat, ist von eigenartige!" Wert und
von besonderem Interesse. Der Verfasser er¬
zählt im Vorwort, daß er häufig darauf an¬
geredet worden sei, warum er seine Bismarck-
Memoiren nicht herausgebe; er habe kein
Recht, damit zurückzuhalten. Das ist richtig;
dieses Material durfte nicht verloren gehen.
Denn wenn diese Mitteilungen auch, was

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maßgebliches und Unmaßgebliches

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Bismarck ihn nicht geschrieben hat. Und die
Praktische Bedeutung dieses Unterschieds? Sie
besteht darin, daß die Gedanken und Motive
Bismarcks, die immer nur der Erläuterung
und Begründung einer konkreten Lage galten,
durch die Art, wie sie hier verwendet wurden,
nämlich zur Begründung der generellen Haltung
einer Zeitung, etwas mehr von Schema und
Grundsatz annahmen, als Bismarcks Art ent¬
sprach. Eine Zeitung kann in ihrer Stellung¬
nahme- zu einer Frage nicht ganz die
diplomatische Beweglichkeit zeigen, wie der
Staatsmann. Wenn Fürst Bismarck davor
wurde, sich in den Dienst der österreichischen
Valkaninleressen zu stellen, so hatte er recht
unter den Umständen, unter denen er diese
Warnung aussprnch. Wenn aber eine Zeitung
von sich aus diese Warnung weitergibt in
Form eines allgemeinen Grundsatzes, den sie
für ihre politische Haltung aufstellt, so kann es
eines Tages kommen, daß das Exempel nicht
stimmt. Auch Fürst Bismarck hätte den
Grundsatz, das; Deutschland des Bundes mit
Österreich - Ungar» nicht im Sinne einer
Unterstützung der österreichischen Bnttanpolitik
wirken lassen dürfe, kaltblütig fallen lassen
in dem Augenblick, wo er sich überzeugte,
daß das Interesse Deutschlands in einer kon¬
kreten Lage ein anderes Verfahren forderte.
Das konnte z. B. dann der Fall sein, wenn
Rußland eine auf die Isolierung und
Schwächung Deutschlands gerichtete Politik
trieb und seine diesem Zweck dienenden Be¬
rechnungen auf die ganz zuversichtlich gehegte
Annahme stützte, daß Deutschland seinen
Bundesgenossen im entscheidenden Augenblick
— unter dem Vorwand, daß Ssterreich-
Ungnrn durch seine Balkanpolitik den An¬
griff Rußlands selbst herausgefordert habe —,
im Stich lassen werde. Also der Fall,
daß das österreichische Balkauintcresse
durch eine besondere Verkettung der Um¬
stände in der europäischen Politik vorüber¬
gehend ein deutsches Interesse wurde, und
zwar ein sehr ernstes und dringendes Inter¬
esse I Dieser Fall trat in der sogenannten
böhmischen Krisis ein. Indem Fürst Bülow
sich — anscheinend gegen die Bismarcksche
Regel — an die Seite Österreich-Ungarns
stellte, bewahrte er Deutschland vor einer
großen Gefahr; die Meinung, es hätte das

[Spaltenumbruch]

Gegenteil geschehen müsse», beruhte auf einer
Veikenminq der damaligen europäischen Lage
und namentlich der Ziele der Jswolskischen
Politik. Hofmann hat daher unrecht, wenn
er dem Abdruck des Hamburger Nachrichten-
Artikels vom 24 Januar 1892 bei der Stelle:
„Es (Deutschland) würde schließlich Gut und
Blut für die Wiener Balkanpolilik riskieren"
— die Fußnote hinzufügt: „Wie es später
durch die Bülowsche Bekundung der .Nibe¬
lungentreue' geschehen ist" (Band II S. 6).
Wenn der Ausdruck „Nibelungentreue" aller¬
dings in einer festlich bewegten Stunde aus
hoheur Munde gefallen ist, und wenn Fürst
Bülow ihn einmal auch im Reichstage ak¬
zeptiert hat, so beweist das für die diplo¬
matischen Motive der deutschen Politik gar
nichts. Es Hütte gar nicht der Lage ent¬
sprochen, euer» Bülow damals öffentlich den
Schleier von denMachenschasten der europäischen
Politik weggezogen hätte. Es genügte voll¬
kommen, wenn die Öffentlichkeit durch ein
hübsches Schlagwort auf die Tatsache hinge¬
wiesen wurde, daß Deutschland trotz Kriegs¬
gefahr die Bündnistreue gehalten hatte. Daraus
aber den Schluß zu ziehen, daß Deutschland,
uneingedenk der Bismnrckschen Warnungen,
nur einer sentimentalen Wallung folgend die
Politik OsterreichUnganiS unterstützt habe,
ist unberechtigt und historisch unhaltbar.

An diesem Beispiel sollte nur gezeigt
werden, daß es — ohne die Treue der Auf¬
zeichnungen Hofmanns anzuzweifeln doch
gelegentlich von Wert sein kann, zwischen den
von Bismarck geschriebenen und den von
ihm inspirierten Artikeln zu unterscheiden.
Das Hofmannsche Buch, das diese Unter¬
scheidung ermöglicht, ist also ein wertvolles
historisches Quellenwerk geworden. Aber
auch das, was Hofmann dem Abdruck der
Bisnmrckartikel aus eigenen Aufzeichnungen
und aus den Eindrücken seines persönliche»
Verkehrs mit dem Fürsten Bismarck voran¬
gestellt hat, ist von eigenartige!» Wert und
von besonderem Interesse. Der Verfasser er¬
zählt im Vorwort, daß er häufig darauf an¬
geredet worden sei, warum er seine Bismarck-
Memoiren nicht herausgebe; er habe kein
Recht, damit zurückzuhalten. Das ist richtig;
dieses Material durfte nicht verloren gehen.
Denn wenn diese Mitteilungen auch, was

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[0103] maßgebliches und Unmaßgebliches Bismarck ihn nicht geschrieben hat. Und die Praktische Bedeutung dieses Unterschieds? Sie besteht darin, daß die Gedanken und Motive Bismarcks, die immer nur der Erläuterung und Begründung einer konkreten Lage galten, durch die Art, wie sie hier verwendet wurden, nämlich zur Begründung der generellen Haltung einer Zeitung, etwas mehr von Schema und Grundsatz annahmen, als Bismarcks Art ent¬ sprach. Eine Zeitung kann in ihrer Stellung¬ nahme- zu einer Frage nicht ganz die diplomatische Beweglichkeit zeigen, wie der Staatsmann. Wenn Fürst Bismarck davor wurde, sich in den Dienst der österreichischen Valkaninleressen zu stellen, so hatte er recht unter den Umständen, unter denen er diese Warnung aussprnch. Wenn aber eine Zeitung von sich aus diese Warnung weitergibt in Form eines allgemeinen Grundsatzes, den sie für ihre politische Haltung aufstellt, so kann es eines Tages kommen, daß das Exempel nicht stimmt. Auch Fürst Bismarck hätte den Grundsatz, das; Deutschland des Bundes mit Österreich - Ungar» nicht im Sinne einer Unterstützung der österreichischen Bnttanpolitik wirken lassen dürfe, kaltblütig fallen lassen in dem Augenblick, wo er sich überzeugte, daß das Interesse Deutschlands in einer kon¬ kreten Lage ein anderes Verfahren forderte. Das konnte z. B. dann der Fall sein, wenn Rußland eine auf die Isolierung und Schwächung Deutschlands gerichtete Politik trieb und seine diesem Zweck dienenden Be¬ rechnungen auf die ganz zuversichtlich gehegte Annahme stützte, daß Deutschland seinen Bundesgenossen im entscheidenden Augenblick — unter dem Vorwand, daß Ssterreich- Ungnrn durch seine Balkanpolitik den An¬ griff Rußlands selbst herausgefordert habe —, im Stich lassen werde. Also der Fall, daß das österreichische Balkauintcresse durch eine besondere Verkettung der Um¬ stände in der europäischen Politik vorüber¬ gehend ein deutsches Interesse wurde, und zwar ein sehr ernstes und dringendes Inter¬ esse I Dieser Fall trat in der sogenannten böhmischen Krisis ein. Indem Fürst Bülow sich — anscheinend gegen die Bismarcksche Regel — an die Seite Österreich-Ungarns stellte, bewahrte er Deutschland vor einer großen Gefahr; die Meinung, es hätte das Gegenteil geschehen müsse», beruhte auf einer Veikenminq der damaligen europäischen Lage und namentlich der Ziele der Jswolskischen Politik. Hofmann hat daher unrecht, wenn er dem Abdruck des Hamburger Nachrichten- Artikels vom 24 Januar 1892 bei der Stelle: „Es (Deutschland) würde schließlich Gut und Blut für die Wiener Balkanpolilik riskieren" — die Fußnote hinzufügt: „Wie es später durch die Bülowsche Bekundung der .Nibe¬ lungentreue' geschehen ist" (Band II S. 6). Wenn der Ausdruck „Nibelungentreue" aller¬ dings in einer festlich bewegten Stunde aus hoheur Munde gefallen ist, und wenn Fürst Bülow ihn einmal auch im Reichstage ak¬ zeptiert hat, so beweist das für die diplo¬ matischen Motive der deutschen Politik gar nichts. Es Hütte gar nicht der Lage ent¬ sprochen, euer» Bülow damals öffentlich den Schleier von denMachenschasten der europäischen Politik weggezogen hätte. Es genügte voll¬ kommen, wenn die Öffentlichkeit durch ein hübsches Schlagwort auf die Tatsache hinge¬ wiesen wurde, daß Deutschland trotz Kriegs¬ gefahr die Bündnistreue gehalten hatte. Daraus aber den Schluß zu ziehen, daß Deutschland, uneingedenk der Bismnrckschen Warnungen, nur einer sentimentalen Wallung folgend die Politik OsterreichUnganiS unterstützt habe, ist unberechtigt und historisch unhaltbar. An diesem Beispiel sollte nur gezeigt werden, daß es — ohne die Treue der Auf¬ zeichnungen Hofmanns anzuzweifeln doch gelegentlich von Wert sein kann, zwischen den von Bismarck geschriebenen und den von ihm inspirierten Artikeln zu unterscheiden. Das Hofmannsche Buch, das diese Unter¬ scheidung ermöglicht, ist also ein wertvolles historisches Quellenwerk geworden. Aber auch das, was Hofmann dem Abdruck der Bisnmrckartikel aus eigenen Aufzeichnungen und aus den Eindrücken seines persönliche» Verkehrs mit dem Fürsten Bismarck voran¬ gestellt hat, ist von eigenartige!» Wert und von besonderem Interesse. Der Verfasser er¬ zählt im Vorwort, daß er häufig darauf an¬ geredet worden sei, warum er seine Bismarck- Memoiren nicht herausgebe; er habe kein Recht, damit zurückzuhalten. Das ist richtig; dieses Material durfte nicht verloren gehen. Denn wenn diese Mitteilungen auch, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/103>, abgerufen am 01.01.2025.