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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe

Monate versunken ist hinter nur. Ach einmal nur, als der Pik von Teneriff
auftauchte hinter Santa Kruz' blaugoldeuer Bucht, nur das eine Mal knatterten
mir die Funken zu, und da wars eine wehe Todesbotschaft. . .

Beschaulichkeit, Freunde! Ach, wir kennen sie in der Hetzjagd um den Erfolg
nicht mehr, die freundliche Frau, die noch in Urgroßvaters fröhlich-goldenen
Empirezimmern umging. Kommt her, ihr Unrastigen, hier auf unseren einsamen
Wegen trefft ihr sie noch an. Und für eine Weile stillt sie dieses pulsende
Pochen, dieses ewige Begehren, vermischt alle Bilder der Freude und des
Schmerzes. Du vergißt dich selbst in diesem Dämmern, bist weit, weit. Bist
vielleicht das rote Segel jenes Korallenfischers, bist die letzte verflatterte Schwalbe
über den Wogenkämmen. Bist alles, nur du selbst nicht. Und das ist am Ende
Balsam uns allen. Allen, nur euch nicht, ihr ewig Trefflicher und Selbst¬
gerechten, die ihr ohne Schuld und ohne Zweifel durch dieses Leben stapft, die
nichts Besseres kennt, als euch selbst. Ihr freilich könnt hier nichts gewinnen.
Gemach, auch euch schlägt die Stunde, die euch zweifeln lehrt und leiden. Und
lernt ihr es wirklich nie, so entbehrt ihr doch ewig die jauchzende Lust, die wir
uns mit tausend Schmerzen erkaufen.

Der alte, gutmütige Spötter Fontane ist mir der rechte Freund für diese
Stunden. Er, der die Farben nie zu grell mischt, der immer gleich entschuldigt,
wo er eigentlich verurteilen müßte, von dem mir neulich jemand sagte, er sei
gefährlich, weil er gar zu viel Verständnis hätte. Aber auch das ist wohl ein
weites Feld. . . .

Wenn die Sonne gesunken, die Dunkelheit gekommen ist, blitzschnell, wie
sie in den Tropen immer kommt, wenn der erste frische, kühle Wind weht, dann
erst wirst du wieder du selbst, dann erst erwachst du aus dieser sanften Be¬
täubung. Dann bist du wieder elastisch und frisch und hörst wieder die herben,
heischenden Klänge des Lebens, das du liebst. Du stehst vorne auf der Back,
läßt dich auf und nieder tragen von dein gewaltigen Rhythmus, in dem dich
das Schiff senkt und hebt. Und über die leuchtenden Wogen klingt es wie das
Steuermannslied aus dem Tristan.

Dann aber streckst du dich hin, nicht in der Gluthitze deines Zimmers,
sondern hier oben auf Deck. Und läßt den Körper umschmeicheln von
der frischen Tropennacht bis zum Morgen. Durch Tauwerk oben schwanken
die fremden Glutsterne, die auch hier über mehr Sündern scheinen, als über
Gerechten. Geradeso, wie die euern, die dort hinten im Nordosten verblichen,
versanken. . . .

Und wieder umschlingt es dich wie mit kühlen, weichen Armen, und wieder
finsteres dir heimlich zu: "Stille, törichtes, unruhiges Menschenkind. . . . Still,
so . . ., ganz still. ..."

Tropennacht. . . .

Atlantic, bei Se. Paul. Oktober.


Reisebriefe

Monate versunken ist hinter nur. Ach einmal nur, als der Pik von Teneriff
auftauchte hinter Santa Kruz' blaugoldeuer Bucht, nur das eine Mal knatterten
mir die Funken zu, und da wars eine wehe Todesbotschaft. . .

Beschaulichkeit, Freunde! Ach, wir kennen sie in der Hetzjagd um den Erfolg
nicht mehr, die freundliche Frau, die noch in Urgroßvaters fröhlich-goldenen
Empirezimmern umging. Kommt her, ihr Unrastigen, hier auf unseren einsamen
Wegen trefft ihr sie noch an. Und für eine Weile stillt sie dieses pulsende
Pochen, dieses ewige Begehren, vermischt alle Bilder der Freude und des
Schmerzes. Du vergißt dich selbst in diesem Dämmern, bist weit, weit. Bist
vielleicht das rote Segel jenes Korallenfischers, bist die letzte verflatterte Schwalbe
über den Wogenkämmen. Bist alles, nur du selbst nicht. Und das ist am Ende
Balsam uns allen. Allen, nur euch nicht, ihr ewig Trefflicher und Selbst¬
gerechten, die ihr ohne Schuld und ohne Zweifel durch dieses Leben stapft, die
nichts Besseres kennt, als euch selbst. Ihr freilich könnt hier nichts gewinnen.
Gemach, auch euch schlägt die Stunde, die euch zweifeln lehrt und leiden. Und
lernt ihr es wirklich nie, so entbehrt ihr doch ewig die jauchzende Lust, die wir
uns mit tausend Schmerzen erkaufen.

Der alte, gutmütige Spötter Fontane ist mir der rechte Freund für diese
Stunden. Er, der die Farben nie zu grell mischt, der immer gleich entschuldigt,
wo er eigentlich verurteilen müßte, von dem mir neulich jemand sagte, er sei
gefährlich, weil er gar zu viel Verständnis hätte. Aber auch das ist wohl ein
weites Feld. . . .

Wenn die Sonne gesunken, die Dunkelheit gekommen ist, blitzschnell, wie
sie in den Tropen immer kommt, wenn der erste frische, kühle Wind weht, dann
erst wirst du wieder du selbst, dann erst erwachst du aus dieser sanften Be¬
täubung. Dann bist du wieder elastisch und frisch und hörst wieder die herben,
heischenden Klänge des Lebens, das du liebst. Du stehst vorne auf der Back,
läßt dich auf und nieder tragen von dein gewaltigen Rhythmus, in dem dich
das Schiff senkt und hebt. Und über die leuchtenden Wogen klingt es wie das
Steuermannslied aus dem Tristan.

Dann aber streckst du dich hin, nicht in der Gluthitze deines Zimmers,
sondern hier oben auf Deck. Und läßt den Körper umschmeicheln von
der frischen Tropennacht bis zum Morgen. Durch Tauwerk oben schwanken
die fremden Glutsterne, die auch hier über mehr Sündern scheinen, als über
Gerechten. Geradeso, wie die euern, die dort hinten im Nordosten verblichen,
versanken. . . .

Und wieder umschlingt es dich wie mit kühlen, weichen Armen, und wieder
finsteres dir heimlich zu: „Stille, törichtes, unruhiges Menschenkind. . . . Still,
so . . ., ganz still. ..."

Tropennacht. . . .

Atlantic, bei Se. Paul. Oktober.


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[0094] Reisebriefe Monate versunken ist hinter nur. Ach einmal nur, als der Pik von Teneriff auftauchte hinter Santa Kruz' blaugoldeuer Bucht, nur das eine Mal knatterten mir die Funken zu, und da wars eine wehe Todesbotschaft. . . Beschaulichkeit, Freunde! Ach, wir kennen sie in der Hetzjagd um den Erfolg nicht mehr, die freundliche Frau, die noch in Urgroßvaters fröhlich-goldenen Empirezimmern umging. Kommt her, ihr Unrastigen, hier auf unseren einsamen Wegen trefft ihr sie noch an. Und für eine Weile stillt sie dieses pulsende Pochen, dieses ewige Begehren, vermischt alle Bilder der Freude und des Schmerzes. Du vergißt dich selbst in diesem Dämmern, bist weit, weit. Bist vielleicht das rote Segel jenes Korallenfischers, bist die letzte verflatterte Schwalbe über den Wogenkämmen. Bist alles, nur du selbst nicht. Und das ist am Ende Balsam uns allen. Allen, nur euch nicht, ihr ewig Trefflicher und Selbst¬ gerechten, die ihr ohne Schuld und ohne Zweifel durch dieses Leben stapft, die nichts Besseres kennt, als euch selbst. Ihr freilich könnt hier nichts gewinnen. Gemach, auch euch schlägt die Stunde, die euch zweifeln lehrt und leiden. Und lernt ihr es wirklich nie, so entbehrt ihr doch ewig die jauchzende Lust, die wir uns mit tausend Schmerzen erkaufen. Der alte, gutmütige Spötter Fontane ist mir der rechte Freund für diese Stunden. Er, der die Farben nie zu grell mischt, der immer gleich entschuldigt, wo er eigentlich verurteilen müßte, von dem mir neulich jemand sagte, er sei gefährlich, weil er gar zu viel Verständnis hätte. Aber auch das ist wohl ein weites Feld. . . . Wenn die Sonne gesunken, die Dunkelheit gekommen ist, blitzschnell, wie sie in den Tropen immer kommt, wenn der erste frische, kühle Wind weht, dann erst wirst du wieder du selbst, dann erst erwachst du aus dieser sanften Be¬ täubung. Dann bist du wieder elastisch und frisch und hörst wieder die herben, heischenden Klänge des Lebens, das du liebst. Du stehst vorne auf der Back, läßt dich auf und nieder tragen von dein gewaltigen Rhythmus, in dem dich das Schiff senkt und hebt. Und über die leuchtenden Wogen klingt es wie das Steuermannslied aus dem Tristan. Dann aber streckst du dich hin, nicht in der Gluthitze deines Zimmers, sondern hier oben auf Deck. Und läßt den Körper umschmeicheln von der frischen Tropennacht bis zum Morgen. Durch Tauwerk oben schwanken die fremden Glutsterne, die auch hier über mehr Sündern scheinen, als über Gerechten. Geradeso, wie die euern, die dort hinten im Nordosten verblichen, versanken. . . . Und wieder umschlingt es dich wie mit kühlen, weichen Armen, und wieder finsteres dir heimlich zu: „Stille, törichtes, unruhiges Menschenkind. . . . Still, so . . ., ganz still. ..." Tropennacht. . . . Atlantic, bei Se. Paul. Oktober.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/94>, abgerufen am 03.07.2024.