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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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mein Reich. Ein alter, ehrlicher, leinenüberzogener Kasten steht dort, ich glaube,
er birgt den Mechanismus des Reserveruders. Zu beiden Seiten ist eine breite
Bank. Kommt der Wind von rechts, so ist die linke Bank mein Rauchsalon,
die rechte mein Kühlraum. Kommt der Wind von links, so ist es umgekehrt.
Ans dem Kasten selbst aber liege ich stundenlang und lasse den sündhaften
Leib von der Äquatorsonne durchglühen. Und so ist mein Fell denn braun
geworden, wie das eines Brastlindianers.

Übrigens bin ich ganz ungestört dahinten. Denn erstens ist ein Achterdeck
so ein eigen Ding: es schwankt in wahnsinniger Hauffe und Baisse, ist bald
zehn Meter, bald nur drei Fuß über Wasser in der himmelhohen Dünung.
Mitunter grüßt auch der Dampfspritzenstrahl einer unverschämten See herauf.
Kurz, ein Achterdeck ist kein Aufenthalt für Seekraute. Und dieses peinliche
Geschäft besorgen die zwei englischen Ehepaare, die außer mir an Passagieren
an Bord sind, schon seit Dover mit unbegreiflicher Standhaftigkeit. Nur manchmal,
bei sehr ruhiger See höre ich die eine der Frauen das Gebet einer Jungfrau
spielen; ein etwas unzeitgemäßes Beginnen. Aber in das Auf und Nieder
meines Achterdeckes wagt sich niemand. Außerdem habe ich mein Gebiet mit
einer großen deutschen Reichsflagge abgesperrt.

Ach, gönnt uns diese Tropenfaulheit. Ihr wißt nicht, wie zwischen drei-
unozmanzig südlicher und dreiundzwanzig Grad nördlicher Breite irgendein in
der Luft liegendes Gift die Glieder kühne. So, daß auch die kleinste Bewegung
zur Qual wird. Und so faulenzt denn mit Ausnahme der armen Teufel im
Maschinenraum alles. Überall in den Deckstühlen weiße Gestalten: auch Kapitän
und Offiziere machen es nicht anders, wenn sie irgend können. Und vorne
auf der Back lassen sich die Leute in den Hängematten vom frischen Passat
schaukeln. Mit geistiger Arbeit ist es auf dem Äquator ein eigen Ding. Und
Dramen in fünffüßigen Jamben, die man hier schreibt, werden nie ihren Ge¬
burtsort verleugnen. Was man auch produziert, es trägt alles den Stempel
einer stillvergnügter, milden Senilität.

Des Abends weht der frischere Wind uns die Elastizität für eine Schach¬
partie her. Mit wem? O, mit der "Santa Barbara", die irgendwo, 150
Kilometer nördlich von uns nach dem La Plata fährt. Wozu ist der Markoni-
apparat an Bord? Wir spielen Schiff gegen Schiff. Alle Offiziere von drüben
(Passagiere haben sie nicht) gegen die unseren und mich. Jeder Zug wird lange
beraten, der Kapitän als unser bester Spieler entscheidet. Es sind erbitterte
Kämpfe, die oft Tage dauern. Es liegt ein prickelnder Reiz in dem geistigen
Konnex mit Leuten, die man nie sah, die dort weit draußen, irgendwo im
Dunkeln über Kilometertiefen schweben, wie wir.

Es ist überhaupt ein eigen Ding, die Markonizelle. Der Telegraphist dort
oben kann merkwürdige Dinge erfahren, Gespräche belauschen, die kreuz und
quer über den Ozean huschen, die Schicksale bedeuten. Und oft warte ich da
oben, ob mir ein Gruß zuflattert von euch aus dem Leben, das für lange


Grenzboten IV 1913 6
Rcisebricfe

mein Reich. Ein alter, ehrlicher, leinenüberzogener Kasten steht dort, ich glaube,
er birgt den Mechanismus des Reserveruders. Zu beiden Seiten ist eine breite
Bank. Kommt der Wind von rechts, so ist die linke Bank mein Rauchsalon,
die rechte mein Kühlraum. Kommt der Wind von links, so ist es umgekehrt.
Ans dem Kasten selbst aber liege ich stundenlang und lasse den sündhaften
Leib von der Äquatorsonne durchglühen. Und so ist mein Fell denn braun
geworden, wie das eines Brastlindianers.

Übrigens bin ich ganz ungestört dahinten. Denn erstens ist ein Achterdeck
so ein eigen Ding: es schwankt in wahnsinniger Hauffe und Baisse, ist bald
zehn Meter, bald nur drei Fuß über Wasser in der himmelhohen Dünung.
Mitunter grüßt auch der Dampfspritzenstrahl einer unverschämten See herauf.
Kurz, ein Achterdeck ist kein Aufenthalt für Seekraute. Und dieses peinliche
Geschäft besorgen die zwei englischen Ehepaare, die außer mir an Passagieren
an Bord sind, schon seit Dover mit unbegreiflicher Standhaftigkeit. Nur manchmal,
bei sehr ruhiger See höre ich die eine der Frauen das Gebet einer Jungfrau
spielen; ein etwas unzeitgemäßes Beginnen. Aber in das Auf und Nieder
meines Achterdeckes wagt sich niemand. Außerdem habe ich mein Gebiet mit
einer großen deutschen Reichsflagge abgesperrt.

Ach, gönnt uns diese Tropenfaulheit. Ihr wißt nicht, wie zwischen drei-
unozmanzig südlicher und dreiundzwanzig Grad nördlicher Breite irgendein in
der Luft liegendes Gift die Glieder kühne. So, daß auch die kleinste Bewegung
zur Qual wird. Und so faulenzt denn mit Ausnahme der armen Teufel im
Maschinenraum alles. Überall in den Deckstühlen weiße Gestalten: auch Kapitän
und Offiziere machen es nicht anders, wenn sie irgend können. Und vorne
auf der Back lassen sich die Leute in den Hängematten vom frischen Passat
schaukeln. Mit geistiger Arbeit ist es auf dem Äquator ein eigen Ding. Und
Dramen in fünffüßigen Jamben, die man hier schreibt, werden nie ihren Ge¬
burtsort verleugnen. Was man auch produziert, es trägt alles den Stempel
einer stillvergnügter, milden Senilität.

Des Abends weht der frischere Wind uns die Elastizität für eine Schach¬
partie her. Mit wem? O, mit der „Santa Barbara", die irgendwo, 150
Kilometer nördlich von uns nach dem La Plata fährt. Wozu ist der Markoni-
apparat an Bord? Wir spielen Schiff gegen Schiff. Alle Offiziere von drüben
(Passagiere haben sie nicht) gegen die unseren und mich. Jeder Zug wird lange
beraten, der Kapitän als unser bester Spieler entscheidet. Es sind erbitterte
Kämpfe, die oft Tage dauern. Es liegt ein prickelnder Reiz in dem geistigen
Konnex mit Leuten, die man nie sah, die dort weit draußen, irgendwo im
Dunkeln über Kilometertiefen schweben, wie wir.

Es ist überhaupt ein eigen Ding, die Markonizelle. Der Telegraphist dort
oben kann merkwürdige Dinge erfahren, Gespräche belauschen, die kreuz und
quer über den Ozean huschen, die Schicksale bedeuten. Und oft warte ich da
oben, ob mir ein Gruß zuflattert von euch aus dem Leben, das für lange


Grenzboten IV 1913 6
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/93>, abgerufen am 03.07.2024.