Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
An der Wiege des Königreichs Rumänien

Bereits in meinem vorläufigen Bericht an den Ministerpräsidenten vom
28. v. Mes. habe ich die Ehre gehabt, zu melden, daß der englische Kommissär
der Ansicht des Herrn von Liebmann nicht beigetreten ist. Seine äußerst weit-
läufigen Äußerungen in den Protokollen Ur. 13 und 14, die ich die Ehre
haben werde, sobald sie aus der metallographischen Presse kommen werden, an
Euer Königlichen Majestät Ministerpräsidenten einzureichen, lassen keine Zweifel
darüber übrig, daß er dem Beispiele Lord Stratfords, die Sache auf die Spitze
zu stellen, nicht folgen mag, und aus Furcht vor der öffentlichen Meinung in Eng¬
land gern einen Mittelweg eingeschlagen möchte, der, bei allem Anschein von
Liberalität, doch gestatten würde, die Sache zu einem Ausgange zu führen, der
den Interessen Englands in dieser Frage, wie sie Lord Clarendon im Wider¬
spruch mit semen im Pariser Kongreß abgegebenen Erklärungen nunmehr auf¬
gefaßt hat, entspricht. Eine feste Ansicht ist aus den Erklärungen Sir Henry
Bulwers nicht zu entnehmen; nur das ist darin klar, daß er mit dem Benehmen
Lord Stratfords unzufrieden, und daß die gegenwärtige Krisis ihm geeignet
erschienen ist, seine persönliche Polemik gegen ihn selbst in unsern Protokollen
wieder aufzunehmen.

Der türkische Kommissär schien anfangs der Deklaration seiner österreichischen
Kollegen beitreten zu wollen. Er fing an, eine solche Beitrittserklärung vorzu¬
lesen. Als ihm indes von mir und meinen Kollegen die Tragweite des öster¬
reichischen Vorgehens auseinandergesetzt wurde, und als er sah, daß auch der
englische Kommissär dasselbe geradezu verwarf, kassierte er die Schrift und
erklärte einfach, seiner Regierung die Beurteilung der Sache vorzubehalten.

Der österreichische Kommissär ist sonach mit der im Auftrage seiner Ne¬
gierung abgegebenen Erklärung ebenso isoliert geblieben, wie in der unbedingten
Billigung aller Vorgänge in der Moldau, denn der englische Kommissär hat
dieselben direkt getadelt, und der türkische wenigstens das Bestehen gewisser
Irregularitäten zugegeben.

In der Sache selbst wird es jetzt von den weiteren Schritten in Kon¬
stantinopel abhängen, inwieweit die nunmehr vollkommen paralysierte Kommission
noch zum Wiederaufleben gebracht werden könne.

Wahrscheinlich wird die telegraphische Kunde hierüber diesem alleruuter-
tänigsten Berichte voraneilen.

(Schluß)




An der Wiege des Königreichs Rumänien

Bereits in meinem vorläufigen Bericht an den Ministerpräsidenten vom
28. v. Mes. habe ich die Ehre gehabt, zu melden, daß der englische Kommissär
der Ansicht des Herrn von Liebmann nicht beigetreten ist. Seine äußerst weit-
läufigen Äußerungen in den Protokollen Ur. 13 und 14, die ich die Ehre
haben werde, sobald sie aus der metallographischen Presse kommen werden, an
Euer Königlichen Majestät Ministerpräsidenten einzureichen, lassen keine Zweifel
darüber übrig, daß er dem Beispiele Lord Stratfords, die Sache auf die Spitze
zu stellen, nicht folgen mag, und aus Furcht vor der öffentlichen Meinung in Eng¬
land gern einen Mittelweg eingeschlagen möchte, der, bei allem Anschein von
Liberalität, doch gestatten würde, die Sache zu einem Ausgange zu führen, der
den Interessen Englands in dieser Frage, wie sie Lord Clarendon im Wider¬
spruch mit semen im Pariser Kongreß abgegebenen Erklärungen nunmehr auf¬
gefaßt hat, entspricht. Eine feste Ansicht ist aus den Erklärungen Sir Henry
Bulwers nicht zu entnehmen; nur das ist darin klar, daß er mit dem Benehmen
Lord Stratfords unzufrieden, und daß die gegenwärtige Krisis ihm geeignet
erschienen ist, seine persönliche Polemik gegen ihn selbst in unsern Protokollen
wieder aufzunehmen.

Der türkische Kommissär schien anfangs der Deklaration seiner österreichischen
Kollegen beitreten zu wollen. Er fing an, eine solche Beitrittserklärung vorzu¬
lesen. Als ihm indes von mir und meinen Kollegen die Tragweite des öster¬
reichischen Vorgehens auseinandergesetzt wurde, und als er sah, daß auch der
englische Kommissär dasselbe geradezu verwarf, kassierte er die Schrift und
erklärte einfach, seiner Regierung die Beurteilung der Sache vorzubehalten.

Der österreichische Kommissär ist sonach mit der im Auftrage seiner Ne¬
gierung abgegebenen Erklärung ebenso isoliert geblieben, wie in der unbedingten
Billigung aller Vorgänge in der Moldau, denn der englische Kommissär hat
dieselben direkt getadelt, und der türkische wenigstens das Bestehen gewisser
Irregularitäten zugegeben.

In der Sache selbst wird es jetzt von den weiteren Schritten in Kon¬
stantinopel abhängen, inwieweit die nunmehr vollkommen paralysierte Kommission
noch zum Wiederaufleben gebracht werden könne.

Wahrscheinlich wird die telegraphische Kunde hierüber diesem alleruuter-
tänigsten Berichte voraneilen.

(Schluß)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326903"/>
          <fw type="header" place="top"> An der Wiege des Königreichs Rumänien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_334"> Bereits in meinem vorläufigen Bericht an den Ministerpräsidenten vom<lb/>
28. v. Mes. habe ich die Ehre gehabt, zu melden, daß der englische Kommissär<lb/>
der Ansicht des Herrn von Liebmann nicht beigetreten ist. Seine äußerst weit-<lb/>
läufigen Äußerungen in den Protokollen Ur. 13 und 14, die ich die Ehre<lb/>
haben werde, sobald sie aus der metallographischen Presse kommen werden, an<lb/>
Euer Königlichen Majestät Ministerpräsidenten einzureichen, lassen keine Zweifel<lb/>
darüber übrig, daß er dem Beispiele Lord Stratfords, die Sache auf die Spitze<lb/>
zu stellen, nicht folgen mag, und aus Furcht vor der öffentlichen Meinung in Eng¬<lb/>
land gern einen Mittelweg eingeschlagen möchte, der, bei allem Anschein von<lb/>
Liberalität, doch gestatten würde, die Sache zu einem Ausgange zu führen, der<lb/>
den Interessen Englands in dieser Frage, wie sie Lord Clarendon im Wider¬<lb/>
spruch mit semen im Pariser Kongreß abgegebenen Erklärungen nunmehr auf¬<lb/>
gefaßt hat, entspricht. Eine feste Ansicht ist aus den Erklärungen Sir Henry<lb/>
Bulwers nicht zu entnehmen; nur das ist darin klar, daß er mit dem Benehmen<lb/>
Lord Stratfords unzufrieden, und daß die gegenwärtige Krisis ihm geeignet<lb/>
erschienen ist, seine persönliche Polemik gegen ihn selbst in unsern Protokollen<lb/>
wieder aufzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_335"> Der türkische Kommissär schien anfangs der Deklaration seiner österreichischen<lb/>
Kollegen beitreten zu wollen. Er fing an, eine solche Beitrittserklärung vorzu¬<lb/>
lesen. Als ihm indes von mir und meinen Kollegen die Tragweite des öster¬<lb/>
reichischen Vorgehens auseinandergesetzt wurde, und als er sah, daß auch der<lb/>
englische Kommissär dasselbe geradezu verwarf, kassierte er die Schrift und<lb/>
erklärte einfach, seiner Regierung die Beurteilung der Sache vorzubehalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_336"> Der österreichische Kommissär ist sonach mit der im Auftrage seiner Ne¬<lb/>
gierung abgegebenen Erklärung ebenso isoliert geblieben, wie in der unbedingten<lb/>
Billigung aller Vorgänge in der Moldau, denn der englische Kommissär hat<lb/>
dieselben direkt getadelt, und der türkische wenigstens das Bestehen gewisser<lb/>
Irregularitäten zugegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_337"> In der Sache selbst wird es jetzt von den weiteren Schritten in Kon¬<lb/>
stantinopel abhängen, inwieweit die nunmehr vollkommen paralysierte Kommission<lb/>
noch zum Wiederaufleben gebracht werden könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_338"> Wahrscheinlich wird die telegraphische Kunde hierüber diesem alleruuter-<lb/>
tänigsten Berichte voraneilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_339"> (Schluß)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0091] An der Wiege des Königreichs Rumänien Bereits in meinem vorläufigen Bericht an den Ministerpräsidenten vom 28. v. Mes. habe ich die Ehre gehabt, zu melden, daß der englische Kommissär der Ansicht des Herrn von Liebmann nicht beigetreten ist. Seine äußerst weit- läufigen Äußerungen in den Protokollen Ur. 13 und 14, die ich die Ehre haben werde, sobald sie aus der metallographischen Presse kommen werden, an Euer Königlichen Majestät Ministerpräsidenten einzureichen, lassen keine Zweifel darüber übrig, daß er dem Beispiele Lord Stratfords, die Sache auf die Spitze zu stellen, nicht folgen mag, und aus Furcht vor der öffentlichen Meinung in Eng¬ land gern einen Mittelweg eingeschlagen möchte, der, bei allem Anschein von Liberalität, doch gestatten würde, die Sache zu einem Ausgange zu führen, der den Interessen Englands in dieser Frage, wie sie Lord Clarendon im Wider¬ spruch mit semen im Pariser Kongreß abgegebenen Erklärungen nunmehr auf¬ gefaßt hat, entspricht. Eine feste Ansicht ist aus den Erklärungen Sir Henry Bulwers nicht zu entnehmen; nur das ist darin klar, daß er mit dem Benehmen Lord Stratfords unzufrieden, und daß die gegenwärtige Krisis ihm geeignet erschienen ist, seine persönliche Polemik gegen ihn selbst in unsern Protokollen wieder aufzunehmen. Der türkische Kommissär schien anfangs der Deklaration seiner österreichischen Kollegen beitreten zu wollen. Er fing an, eine solche Beitrittserklärung vorzu¬ lesen. Als ihm indes von mir und meinen Kollegen die Tragweite des öster¬ reichischen Vorgehens auseinandergesetzt wurde, und als er sah, daß auch der englische Kommissär dasselbe geradezu verwarf, kassierte er die Schrift und erklärte einfach, seiner Regierung die Beurteilung der Sache vorzubehalten. Der österreichische Kommissär ist sonach mit der im Auftrage seiner Ne¬ gierung abgegebenen Erklärung ebenso isoliert geblieben, wie in der unbedingten Billigung aller Vorgänge in der Moldau, denn der englische Kommissär hat dieselben direkt getadelt, und der türkische wenigstens das Bestehen gewisser Irregularitäten zugegeben. In der Sache selbst wird es jetzt von den weiteren Schritten in Kon¬ stantinopel abhängen, inwieweit die nunmehr vollkommen paralysierte Kommission noch zum Wiederaufleben gebracht werden könne. Wahrscheinlich wird die telegraphische Kunde hierüber diesem alleruuter- tänigsten Berichte voraneilen. (Schluß)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/91
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/91>, abgerufen am 22.07.2024.