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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gustav Frenssen

könntest. Gerhart Hauptmann, Peter Rosegger -- durch Welten sind sie getrennt
von diesem Aristokraten des Volkes, von diesem Bauernsöhne und Rassenmenschen.
Als Menschen sind sie von anderer Art und erst recht als Dichter, als Künstler.
Frenssen ist der große Epiker unserer Zeit, wie sie der deutsche Norden sieht
und formt. Er gehört nicht unter das geschwätzige Volk des Südens. Ernste
Schweigsamkeit ist ihm eigen. Wenn er spricht, tut er es nicht als Bildungs¬
mensch, auch nicht als Popularisator, sondern aus dem Erleben heraus, imBewußtsein
seiner Verantwortung, im Ernste seiner gewählten Gedanken, in der Kraft seines
Blutes. Wenn er das Volk erzieht, tut er es als einsamer Ethiker, nicht im Dienste
einer überlieferten Weltanschauung, sondern Erkenntnissen gemäß, die die Natur
und der Entwicklungsstand hervorrufen. Er sieht um sich die Erde, die der Bauer
bebaut, und er wurzelt in ihr, aber er weiß, seine Augen schweifen in die Regionen,
da die Menschheit als Ganzes denkt und schafft. Und die Menschheit individualisiert
sich ihm im deutschen Volke: er ist als Dichter durch und durch national, er
kann es gar nicht anders, er vermag sich ebensowenig zu wandeln wie ein Luther,
ein Bismarck, weil er deutschen Wesens ist.

Das beweist auch sein Künstlertum. Es ist nicht angekränkelt vom roma¬
nischen Formenideal und es findet auch nicht die fremdländische Abrundung.
der man infolge von Klassizismus und Romanismus soviel Gewalt im deutschen
Kunsturteil einräumt. Frenssen strebt, innerlich getrieben, halb unbewußt, nach
der deutschen Form und er wird sie vielleicht einmal offenbaren. Darum ist ein
ewiges Hasten und Suchen in seinem künstlerischen Ausdruck. Sein Stil hatte
sich von Tradition und falscher Erziehung zu befreien, hat zu ringen mit der
Fülle der Gesichte und Gedanken, sucht den großen Rhythmus und die erhabene
Plastik, die letztmögliche Konzentration und höchste Anschaulichkeit, die das Wort
gestattet, sucht die Eindruckskrast und Bedeutung der alten Volksballaden und
Sagas, die Geschlossenheit und Größe der nordischen Natur. Und nach diesem
Ziele hin hat sich die künstlerische Form von Werk zu Werk weiterentwickelt,
nicht tendenziös und verstandesmäßig konzipiert, wohl aber sagenmäßig durch¬
gebildet und ausgeschmückt, immer in Bewegung, im Mitströmen mit allen
Elementen des Frenssenschm Pathos, der Frenssenschen Energie.

Gustav Frenssen ist noch nicht am Höhepunkt seiner Entwicklung. Für ihn
bedeutet die Jahreszahl fünfzig nur eine Zahl, keinen Abschnitt und kein Halt
machen. Er gehört zu den Naturen, die in dem Jahrzehnt, das jetzt vor ihm
liegt, ihr Bestes zu geben pflegen, und denen alles, was zuvor kam, ein Durch¬
gang, ein Aufstieg, ein Vorbereiten war. Seine nächsten Werke werden davon
zeugen. Noch reiner und unmittelbarer, noch deutlicher und gewaltiger werden
sie dartun, was dieser Mann, der männlichsten einer im Herzen und im Willen,
im Fühlen und im Denken, unserer Zeit ist. Darum kein Nörgeln und Makeln
an diesem ehrlichen Streben und überragenden Können, erwiesen in einer Folge
von unnachahmbaren Werken. Anschluß an die große Gesinnung, die aus der
ganzen Persönlichkeit leuchtet: das sei das Gelübde zu seinem Ehrentage.




Gustav Frenssen

könntest. Gerhart Hauptmann, Peter Rosegger — durch Welten sind sie getrennt
von diesem Aristokraten des Volkes, von diesem Bauernsöhne und Rassenmenschen.
Als Menschen sind sie von anderer Art und erst recht als Dichter, als Künstler.
Frenssen ist der große Epiker unserer Zeit, wie sie der deutsche Norden sieht
und formt. Er gehört nicht unter das geschwätzige Volk des Südens. Ernste
Schweigsamkeit ist ihm eigen. Wenn er spricht, tut er es nicht als Bildungs¬
mensch, auch nicht als Popularisator, sondern aus dem Erleben heraus, imBewußtsein
seiner Verantwortung, im Ernste seiner gewählten Gedanken, in der Kraft seines
Blutes. Wenn er das Volk erzieht, tut er es als einsamer Ethiker, nicht im Dienste
einer überlieferten Weltanschauung, sondern Erkenntnissen gemäß, die die Natur
und der Entwicklungsstand hervorrufen. Er sieht um sich die Erde, die der Bauer
bebaut, und er wurzelt in ihr, aber er weiß, seine Augen schweifen in die Regionen,
da die Menschheit als Ganzes denkt und schafft. Und die Menschheit individualisiert
sich ihm im deutschen Volke: er ist als Dichter durch und durch national, er
kann es gar nicht anders, er vermag sich ebensowenig zu wandeln wie ein Luther,
ein Bismarck, weil er deutschen Wesens ist.

Das beweist auch sein Künstlertum. Es ist nicht angekränkelt vom roma¬
nischen Formenideal und es findet auch nicht die fremdländische Abrundung.
der man infolge von Klassizismus und Romanismus soviel Gewalt im deutschen
Kunsturteil einräumt. Frenssen strebt, innerlich getrieben, halb unbewußt, nach
der deutschen Form und er wird sie vielleicht einmal offenbaren. Darum ist ein
ewiges Hasten und Suchen in seinem künstlerischen Ausdruck. Sein Stil hatte
sich von Tradition und falscher Erziehung zu befreien, hat zu ringen mit der
Fülle der Gesichte und Gedanken, sucht den großen Rhythmus und die erhabene
Plastik, die letztmögliche Konzentration und höchste Anschaulichkeit, die das Wort
gestattet, sucht die Eindruckskrast und Bedeutung der alten Volksballaden und
Sagas, die Geschlossenheit und Größe der nordischen Natur. Und nach diesem
Ziele hin hat sich die künstlerische Form von Werk zu Werk weiterentwickelt,
nicht tendenziös und verstandesmäßig konzipiert, wohl aber sagenmäßig durch¬
gebildet und ausgeschmückt, immer in Bewegung, im Mitströmen mit allen
Elementen des Frenssenschm Pathos, der Frenssenschen Energie.

Gustav Frenssen ist noch nicht am Höhepunkt seiner Entwicklung. Für ihn
bedeutet die Jahreszahl fünfzig nur eine Zahl, keinen Abschnitt und kein Halt
machen. Er gehört zu den Naturen, die in dem Jahrzehnt, das jetzt vor ihm
liegt, ihr Bestes zu geben pflegen, und denen alles, was zuvor kam, ein Durch¬
gang, ein Aufstieg, ein Vorbereiten war. Seine nächsten Werke werden davon
zeugen. Noch reiner und unmittelbarer, noch deutlicher und gewaltiger werden
sie dartun, was dieser Mann, der männlichsten einer im Herzen und im Willen,
im Fühlen und im Denken, unserer Zeit ist. Darum kein Nörgeln und Makeln
an diesem ehrlichen Streben und überragenden Können, erwiesen in einer Folge
von unnachahmbaren Werken. Anschluß an die große Gesinnung, die aus der
ganzen Persönlichkeit leuchtet: das sei das Gelübde zu seinem Ehrentage.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/81>, abgerufen am 23.07.2024.