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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gustav Avnssen

"Hilligenlei." Es barg zugleich die Tragik von Frenssens nordischem Wesen in
sich. Langsam reift der Germane, langsam war auch Frenssen gewachsen, noch
nicht ausgereift. Seine Entwicklung war, obwohl er es glaubte, noch nicht in
sommerliche Zeit getreten; die Erntestunde für seine Weltanschauung war noch
nicht gekommen. Jene restlose Größe und Klarheit, die er schon von feiner
Weltanschauung erreicht meinte, fehlte noch. Sie blieb noch subjektiv. Und
fo fiel der Parteien Haß und Wut über das Werk her, das dichterisch zum
Teil das Schönste birgt, was der Dichter geschaffen hat, Tief verwundet zog
Frenssen sich zurück. Er hatte den ehrlichsten und reinsten Willen gezeigt. Da¬
für konnte er zum mindesten Gerechtigkeit verlangen. Die kennt aber die öffentliche
Meinung nicht! Sie sah nicht, wie "Hilligenlei" abermals ein Dokument war für das
Wesen der Gegenwart. Was dort ein einzelner auf sich nahm und gestaltete, es
ging durch ganz Deutschland, daran nahmen alle Geister, die sich regen und
entwickeln, persönlichsten Anteil. Und die Resultate, die geboten wurden, brachten
vorwärts, nicht rückwärts auf dem Wege zu einer deutschen Religion, zu einer
deutschen Sittlichkeit. Der Zorn, der in dem Romane loderte, war der edelsten
einer und der Optimismus, der aus dem Werke hervorbrach, war von so
sieghafter Schönheit, daß er Tausende in seinen Bann zwang und noch zwingt.

Frenssen hatte es, trotz ästhetischer und menschlicher Fehler, doch recht ge¬
macht mit "Hilligenlei". Er hatte deutsches Neuland gezeigt, wie es die Gegen¬
wart wünscht und schafft, er hatte die Not der deutscheu Seele dargeboten, die
leiden muß, weil sie ehrlich ist und der Welt immer den geistigen Gehalt
vermittelt oder gar geschaffen hatte. Im Bewußtsein des Adels seiner Tat
konnte der Dichter seinen Kopf noch höher tragen, als ihm der Erfolg des
"Jörn Abt" schon gebot. Denn durch "Hilligenlei" wurde der deutsche Michel
abermals wachgerüttelt, damit er nicht ganz in die Macht von Kasten und
Parteien, Cliquen und Fremdlingen geriet.

Um den deutschen Michel war es dem Dichter ja fortan immer zu tun.
Erkannte er eine große Not, die am Mark des deutschen Vaterlandes fraß, so
ergriff ihn stark und unaufhaltsam der Zorn, der wie eine Blutwelle über ihm
hinschoß, ihn zwang, seine Stimme gegen diese Not zu erheben, weil er wußte,
wie sehr er gehört wurde. Als in den Jahren der Kämpfe in Südwest die
Deutschen in der Heimat nur Augen hatten für die Schlachten zwischen Russen
und Japanern im fremden Osten, da hob er seinen Finger und wies auf diese
Schmach hin, wie sehr die Deutschen ihr eigenes Blut verließen und verrieten.
"Peter Moors Fahrt nach Südwest", die Ilias der deutschen Kolonien, wurde
die dritte große nationale Tat des Dichters. Sie findet ihren schönsten Lohn, denn
die Erzählung ist drauf und dran, ein deutsches Volksbuch im alten Sinne zu werden!

Die Kampfepoche im Leben des Dichters ebbte nun ab. Ruhe trat um ihn ein.
Er lebte sich ein in seiner Blankeneser Welt. Hier sah er das materielle Deutschland
der Welt gegenübergestellt. Und hier sah er Deutschland, wie es in der Gegen¬
wart schafft, hier sah er, wodurch es in der Gegenwart groß ist. Dieses


ö*
Gustav Avnssen

„Hilligenlei." Es barg zugleich die Tragik von Frenssens nordischem Wesen in
sich. Langsam reift der Germane, langsam war auch Frenssen gewachsen, noch
nicht ausgereift. Seine Entwicklung war, obwohl er es glaubte, noch nicht in
sommerliche Zeit getreten; die Erntestunde für seine Weltanschauung war noch
nicht gekommen. Jene restlose Größe und Klarheit, die er schon von feiner
Weltanschauung erreicht meinte, fehlte noch. Sie blieb noch subjektiv. Und
fo fiel der Parteien Haß und Wut über das Werk her, das dichterisch zum
Teil das Schönste birgt, was der Dichter geschaffen hat, Tief verwundet zog
Frenssen sich zurück. Er hatte den ehrlichsten und reinsten Willen gezeigt. Da¬
für konnte er zum mindesten Gerechtigkeit verlangen. Die kennt aber die öffentliche
Meinung nicht! Sie sah nicht, wie „Hilligenlei" abermals ein Dokument war für das
Wesen der Gegenwart. Was dort ein einzelner auf sich nahm und gestaltete, es
ging durch ganz Deutschland, daran nahmen alle Geister, die sich regen und
entwickeln, persönlichsten Anteil. Und die Resultate, die geboten wurden, brachten
vorwärts, nicht rückwärts auf dem Wege zu einer deutschen Religion, zu einer
deutschen Sittlichkeit. Der Zorn, der in dem Romane loderte, war der edelsten
einer und der Optimismus, der aus dem Werke hervorbrach, war von so
sieghafter Schönheit, daß er Tausende in seinen Bann zwang und noch zwingt.

Frenssen hatte es, trotz ästhetischer und menschlicher Fehler, doch recht ge¬
macht mit „Hilligenlei". Er hatte deutsches Neuland gezeigt, wie es die Gegen¬
wart wünscht und schafft, er hatte die Not der deutscheu Seele dargeboten, die
leiden muß, weil sie ehrlich ist und der Welt immer den geistigen Gehalt
vermittelt oder gar geschaffen hatte. Im Bewußtsein des Adels seiner Tat
konnte der Dichter seinen Kopf noch höher tragen, als ihm der Erfolg des
„Jörn Abt" schon gebot. Denn durch „Hilligenlei" wurde der deutsche Michel
abermals wachgerüttelt, damit er nicht ganz in die Macht von Kasten und
Parteien, Cliquen und Fremdlingen geriet.

Um den deutschen Michel war es dem Dichter ja fortan immer zu tun.
Erkannte er eine große Not, die am Mark des deutschen Vaterlandes fraß, so
ergriff ihn stark und unaufhaltsam der Zorn, der wie eine Blutwelle über ihm
hinschoß, ihn zwang, seine Stimme gegen diese Not zu erheben, weil er wußte,
wie sehr er gehört wurde. Als in den Jahren der Kämpfe in Südwest die
Deutschen in der Heimat nur Augen hatten für die Schlachten zwischen Russen
und Japanern im fremden Osten, da hob er seinen Finger und wies auf diese
Schmach hin, wie sehr die Deutschen ihr eigenes Blut verließen und verrieten.
„Peter Moors Fahrt nach Südwest", die Ilias der deutschen Kolonien, wurde
die dritte große nationale Tat des Dichters. Sie findet ihren schönsten Lohn, denn
die Erzählung ist drauf und dran, ein deutsches Volksbuch im alten Sinne zu werden!

Die Kampfepoche im Leben des Dichters ebbte nun ab. Ruhe trat um ihn ein.
Er lebte sich ein in seiner Blankeneser Welt. Hier sah er das materielle Deutschland
der Welt gegenübergestellt. Und hier sah er Deutschland, wie es in der Gegen¬
wart schafft, hier sah er, wodurch es in der Gegenwart groß ist. Dieses


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[0079] Gustav Avnssen „Hilligenlei." Es barg zugleich die Tragik von Frenssens nordischem Wesen in sich. Langsam reift der Germane, langsam war auch Frenssen gewachsen, noch nicht ausgereift. Seine Entwicklung war, obwohl er es glaubte, noch nicht in sommerliche Zeit getreten; die Erntestunde für seine Weltanschauung war noch nicht gekommen. Jene restlose Größe und Klarheit, die er schon von feiner Weltanschauung erreicht meinte, fehlte noch. Sie blieb noch subjektiv. Und fo fiel der Parteien Haß und Wut über das Werk her, das dichterisch zum Teil das Schönste birgt, was der Dichter geschaffen hat, Tief verwundet zog Frenssen sich zurück. Er hatte den ehrlichsten und reinsten Willen gezeigt. Da¬ für konnte er zum mindesten Gerechtigkeit verlangen. Die kennt aber die öffentliche Meinung nicht! Sie sah nicht, wie „Hilligenlei" abermals ein Dokument war für das Wesen der Gegenwart. Was dort ein einzelner auf sich nahm und gestaltete, es ging durch ganz Deutschland, daran nahmen alle Geister, die sich regen und entwickeln, persönlichsten Anteil. Und die Resultate, die geboten wurden, brachten vorwärts, nicht rückwärts auf dem Wege zu einer deutschen Religion, zu einer deutschen Sittlichkeit. Der Zorn, der in dem Romane loderte, war der edelsten einer und der Optimismus, der aus dem Werke hervorbrach, war von so sieghafter Schönheit, daß er Tausende in seinen Bann zwang und noch zwingt. Frenssen hatte es, trotz ästhetischer und menschlicher Fehler, doch recht ge¬ macht mit „Hilligenlei". Er hatte deutsches Neuland gezeigt, wie es die Gegen¬ wart wünscht und schafft, er hatte die Not der deutscheu Seele dargeboten, die leiden muß, weil sie ehrlich ist und der Welt immer den geistigen Gehalt vermittelt oder gar geschaffen hatte. Im Bewußtsein des Adels seiner Tat konnte der Dichter seinen Kopf noch höher tragen, als ihm der Erfolg des „Jörn Abt" schon gebot. Denn durch „Hilligenlei" wurde der deutsche Michel abermals wachgerüttelt, damit er nicht ganz in die Macht von Kasten und Parteien, Cliquen und Fremdlingen geriet. Um den deutschen Michel war es dem Dichter ja fortan immer zu tun. Erkannte er eine große Not, die am Mark des deutschen Vaterlandes fraß, so ergriff ihn stark und unaufhaltsam der Zorn, der wie eine Blutwelle über ihm hinschoß, ihn zwang, seine Stimme gegen diese Not zu erheben, weil er wußte, wie sehr er gehört wurde. Als in den Jahren der Kämpfe in Südwest die Deutschen in der Heimat nur Augen hatten für die Schlachten zwischen Russen und Japanern im fremden Osten, da hob er seinen Finger und wies auf diese Schmach hin, wie sehr die Deutschen ihr eigenes Blut verließen und verrieten. „Peter Moors Fahrt nach Südwest", die Ilias der deutschen Kolonien, wurde die dritte große nationale Tat des Dichters. Sie findet ihren schönsten Lohn, denn die Erzählung ist drauf und dran, ein deutsches Volksbuch im alten Sinne zu werden! Die Kampfepoche im Leben des Dichters ebbte nun ab. Ruhe trat um ihn ein. Er lebte sich ein in seiner Blankeneser Welt. Hier sah er das materielle Deutschland der Welt gegenübergestellt. Und hier sah er Deutschland, wie es in der Gegen¬ wart schafft, hier sah er, wodurch es in der Gegenwart groß ist. Dieses ö*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/79>, abgerufen am 24.07.2024.