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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gustav Lrcnsscn

Schicksal aus dem Nichts hinzustellen. Er glaubte, die Phantasie, ein wenig
Lebenserfahrung und Menschenkenntnis genügten. Und so überließ er sich denn
fröhlichen Mutes den Gebilden, die aus dem inneren Drange emporstiegen, so
gab er sich sorglos hin an die Gefühle und Gedanken, die nach Ausdruck ver¬
langten, ohne Kontrolle und Zwang über sie auszuüben. Während des
Schaffens fühlte er aber bereits deutlich genug: "So geht es nicht, so
romanhaft und althergebracht. Dies alles, was du da schreibst, ist dir ja innerlich
so fern, so fremd. Ist es das, was du geben willst, was du zu sagen hast?"

Nein, das war es nicht. An der "Sandgräfin" versicherte der Dichter sich
schnell seiner Erzählergabe. Dann schob er sie weg und versprach sich, nur dem
zu gehorchen, was er als sein Eigen empfand, wovon er wußte, daß kein
anderer es gleich ihm erlebt und gesehen hatte, darin so eingewurzelt und ein¬
gewachsen war. Hell und laut hatte die Melodie, der er nun nachging, schon
in der "Sandgräfin" aufgeschrien: das Lied von der Heimat, ihrer Schönheit
und ihrer Größe. Sie sollte im neuen Buche neu erstehen wie eine Göttin, die
fortan alle Deutschen gelten lassen müßten. Sie war aber eng verbunden mit
seinem eigenen Leben, Werden und Alltag. Und so sah er denn eine Gestalt
vor sich, die er in den Mittelpunkt der neuen Geschichte zu rücken hatte. Das
war Heim Heiderieter. Und das Buch war Frenssens erster dichterischer Roman
"Die drei Getreuen", war das erste in jedem Sinne eigene Werk des Friesen,
an dem man nicht mehr vorübergehen konnte.

Es war die große, grundlegende Beichte des Mannes. Was seine Jugend
an Wünschen und Erkenntnissen, an Not und Sehnsucht bewahrt hatte, wurde
hier Wort, Gestalt und Schicksal im Charakter und Werdegang der drei Haupt¬
gestalten: Heim Heiderieter, Andreas und Franz Strandiger. Scharf schieden
sich ihre Charaktere voneinander. Frenssen sah sie innerlich deutlich und fest
umrissen vor sich und er vermochte es jetzt, sie zu gestalten. Er herrschte jetzt
mit Bewußtheit über die technischen Fähigkeiten seines Talentes. In mancher
Szene, in manchem Heimatbilde wuchsen sie weiter heraus, in eine Sicherheit
hinein, die den besonderen Mann anzeigten. Er meldete sich auch bereits in
der Art, wie die Bauernwelt gegeben wurde. Nicht im idealistischen Tendenz-
lichte, sondern in Liebe kritisch, aus innerem Zwange und freier Neigung wcchr-
heits-, wirklichkeitsgetreu. Die Landschaft war jetzt sicherer gesehen, klarer
gezeichnet. Das Meer, nicht mehr Hintergrund, stellte sich mitten in die
Handlung. Wundervolle Silberstiftskizzen wurden entworfen, die Natur wurde
personifiziert, dämonisiert. Man spürt, wie das Erleben, das unmittelbare
Verantworten und Teilnehmer im Erzählten wirksam war, auch wenn die
Erfindung sich im Romanhaften verlor.

So war denn die Heimat einmal innerlich überwunden, aber noch nicht für
immer, noch nicht in solcher Stärke, daß der Dichter sich von ihr abwenden konnte,
anderen Aufgaben zu. Denn in den "drei Getreuen" war besonders persönliches
seelengut, subjektives Leben und Wissen. Nun galt es aber, die Welt der


Grenzboten IV 1913 S
Gustav Lrcnsscn

Schicksal aus dem Nichts hinzustellen. Er glaubte, die Phantasie, ein wenig
Lebenserfahrung und Menschenkenntnis genügten. Und so überließ er sich denn
fröhlichen Mutes den Gebilden, die aus dem inneren Drange emporstiegen, so
gab er sich sorglos hin an die Gefühle und Gedanken, die nach Ausdruck ver¬
langten, ohne Kontrolle und Zwang über sie auszuüben. Während des
Schaffens fühlte er aber bereits deutlich genug: „So geht es nicht, so
romanhaft und althergebracht. Dies alles, was du da schreibst, ist dir ja innerlich
so fern, so fremd. Ist es das, was du geben willst, was du zu sagen hast?"

Nein, das war es nicht. An der „Sandgräfin" versicherte der Dichter sich
schnell seiner Erzählergabe. Dann schob er sie weg und versprach sich, nur dem
zu gehorchen, was er als sein Eigen empfand, wovon er wußte, daß kein
anderer es gleich ihm erlebt und gesehen hatte, darin so eingewurzelt und ein¬
gewachsen war. Hell und laut hatte die Melodie, der er nun nachging, schon
in der „Sandgräfin" aufgeschrien: das Lied von der Heimat, ihrer Schönheit
und ihrer Größe. Sie sollte im neuen Buche neu erstehen wie eine Göttin, die
fortan alle Deutschen gelten lassen müßten. Sie war aber eng verbunden mit
seinem eigenen Leben, Werden und Alltag. Und so sah er denn eine Gestalt
vor sich, die er in den Mittelpunkt der neuen Geschichte zu rücken hatte. Das
war Heim Heiderieter. Und das Buch war Frenssens erster dichterischer Roman
„Die drei Getreuen", war das erste in jedem Sinne eigene Werk des Friesen,
an dem man nicht mehr vorübergehen konnte.

Es war die große, grundlegende Beichte des Mannes. Was seine Jugend
an Wünschen und Erkenntnissen, an Not und Sehnsucht bewahrt hatte, wurde
hier Wort, Gestalt und Schicksal im Charakter und Werdegang der drei Haupt¬
gestalten: Heim Heiderieter, Andreas und Franz Strandiger. Scharf schieden
sich ihre Charaktere voneinander. Frenssen sah sie innerlich deutlich und fest
umrissen vor sich und er vermochte es jetzt, sie zu gestalten. Er herrschte jetzt
mit Bewußtheit über die technischen Fähigkeiten seines Talentes. In mancher
Szene, in manchem Heimatbilde wuchsen sie weiter heraus, in eine Sicherheit
hinein, die den besonderen Mann anzeigten. Er meldete sich auch bereits in
der Art, wie die Bauernwelt gegeben wurde. Nicht im idealistischen Tendenz-
lichte, sondern in Liebe kritisch, aus innerem Zwange und freier Neigung wcchr-
heits-, wirklichkeitsgetreu. Die Landschaft war jetzt sicherer gesehen, klarer
gezeichnet. Das Meer, nicht mehr Hintergrund, stellte sich mitten in die
Handlung. Wundervolle Silberstiftskizzen wurden entworfen, die Natur wurde
personifiziert, dämonisiert. Man spürt, wie das Erleben, das unmittelbare
Verantworten und Teilnehmer im Erzählten wirksam war, auch wenn die
Erfindung sich im Romanhaften verlor.

So war denn die Heimat einmal innerlich überwunden, aber noch nicht für
immer, noch nicht in solcher Stärke, daß der Dichter sich von ihr abwenden konnte,
anderen Aufgaben zu. Denn in den „drei Getreuen" war besonders persönliches
seelengut, subjektives Leben und Wissen. Nun galt es aber, die Welt der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/77>, abgerufen am 24.08.2024.