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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gustav Frenssen

Kätner, kleine Handwerker oder studierte, doch stets stolz als Bauern, als
"Asien". Und als der Dichter nach den Erfolgen des "JörnUhl" über größere
Geldsummen verfügte, war es seine erste Tat, einen Hof zu erwerben. Dort
setzte sich spornstreichs sein alter Vater fest, dort in Barke wirtschaftet heute noch
der Bruder neben dem fünfundachzigjährigen Greise.

Handwerker war der Vater. Ein fleißiger, wißbegieriger und flinker Dorf¬
tischler, der es sich im Leben sauer werden ließ, aber darauf hielt, daß seine
Söhne etwas lernten. Die Mutter war eine stille, ängstliche und grüblerische
Natur, eine schwere Schwarzseherin, die neben der wachen Heiterkeit des hellen,
gescheiten Mannes den melancholischen Ernst der nach Sinn und Inhalt des
Lebens fragenden Frau stellte. Von beiden erbte der Dichter die Haupteigen¬
schaften: den sicheren, praktischen Blick für den Alltag, das tiefe, immer wache
Gewissen für den Sonntag der Seele.

Zwischen den Häusern und Häuschen des Dorfes Barke, auf seinen Wiesen
und Feldern, hinter Hecken und Knicks wuchs der Knabe heran. Er ging
schließlich den Weg vieler Dorfjungen, die, aus armem Kreise stammend, studieren
sollen. Auf Meldorfs "hoher Schule", zu Husum, wo er Theodor Storm
nahetrat, absolvierte er das Gymnasium, die Flegel- und Entwicklungsjahre.
Ihre Unruhe trieb ihn nach der Reifeprüfung in den Süden Deutschlands; in
Tübingen lauschte der junge Student erstmalig den theologischen Weisheiten;
ein Berliner Jahr folgte; die Weltstadt quälte und bedrängte den Dörfler, der
in den Ferien fo schnell wie möglich auf seine grünen Wiesen und Triften
eilte; kaum erlebte er die brausende Gegenwartskonzentration, die Berlin aus¬
atmet. Er erledigte dann auf der Landesuniversität Kiel seine Examina und
kam bald als wohlbestallter Pfarrer in die Heimat zurück, nach Hennstedt und
später nach Hemme, beide Dörfer in Norderdithmarschen.

Jetzt setzte erst wieder jene innerliche Entwicklung ein, die seit dem Abschied
aus Husum unterbrochen war. Die Eindrücke der Fremde hatten sie abgelenkt.
In Tübingen war der junge Fuchs einsam gewesen, wie Heim Heiderieter ein
Student "der Fakultät Uhland", der "fünften Fakultät", die ihn dazu ver¬
leitete, sich schon schriftstellerisch zu versuchen. In Berlin bedrückte ihn die
Enge der Häuser und Straßen, sah er in dem großstädtischen Treiben nur eine
dröhnende Anklage, keinen triumphierenden Willen der Menschheit. In Kiel
ließ die Examensnot keine Geistesfreiheit aufkommen. Nun aber, in Hennstedt,
sah er sich dem wirklichen Leben gegenübergestellt. Zum erstenmal nicht mehr
als einer, der nach einem Berufe, nach der Überwindung von Examina, zu
streben hat, sondern als unbehinderte, selbständige Individualität, die sofort
Aufgaben erfüllen sollte. Da brach die seelische Not über ihn herein, die jeder
durchzumachen hat, der es ernst meint mit seinem Verhältnis zur Welt, zu den
Menschen und zu Gott. Das Ringen um die ethische und religiöse Welt¬
anschauung hatte Woche um Woche, bei jeder Predigt, seine Schlachten und Krisen.
Es waren ruhelose Jahre für diese Natur von einer fast wilden Ursprünglichkeit.


Gustav Frenssen

Kätner, kleine Handwerker oder studierte, doch stets stolz als Bauern, als
„Asien". Und als der Dichter nach den Erfolgen des „JörnUhl" über größere
Geldsummen verfügte, war es seine erste Tat, einen Hof zu erwerben. Dort
setzte sich spornstreichs sein alter Vater fest, dort in Barke wirtschaftet heute noch
der Bruder neben dem fünfundachzigjährigen Greise.

Handwerker war der Vater. Ein fleißiger, wißbegieriger und flinker Dorf¬
tischler, der es sich im Leben sauer werden ließ, aber darauf hielt, daß seine
Söhne etwas lernten. Die Mutter war eine stille, ängstliche und grüblerische
Natur, eine schwere Schwarzseherin, die neben der wachen Heiterkeit des hellen,
gescheiten Mannes den melancholischen Ernst der nach Sinn und Inhalt des
Lebens fragenden Frau stellte. Von beiden erbte der Dichter die Haupteigen¬
schaften: den sicheren, praktischen Blick für den Alltag, das tiefe, immer wache
Gewissen für den Sonntag der Seele.

Zwischen den Häusern und Häuschen des Dorfes Barke, auf seinen Wiesen
und Feldern, hinter Hecken und Knicks wuchs der Knabe heran. Er ging
schließlich den Weg vieler Dorfjungen, die, aus armem Kreise stammend, studieren
sollen. Auf Meldorfs „hoher Schule", zu Husum, wo er Theodor Storm
nahetrat, absolvierte er das Gymnasium, die Flegel- und Entwicklungsjahre.
Ihre Unruhe trieb ihn nach der Reifeprüfung in den Süden Deutschlands; in
Tübingen lauschte der junge Student erstmalig den theologischen Weisheiten;
ein Berliner Jahr folgte; die Weltstadt quälte und bedrängte den Dörfler, der
in den Ferien fo schnell wie möglich auf seine grünen Wiesen und Triften
eilte; kaum erlebte er die brausende Gegenwartskonzentration, die Berlin aus¬
atmet. Er erledigte dann auf der Landesuniversität Kiel seine Examina und
kam bald als wohlbestallter Pfarrer in die Heimat zurück, nach Hennstedt und
später nach Hemme, beide Dörfer in Norderdithmarschen.

Jetzt setzte erst wieder jene innerliche Entwicklung ein, die seit dem Abschied
aus Husum unterbrochen war. Die Eindrücke der Fremde hatten sie abgelenkt.
In Tübingen war der junge Fuchs einsam gewesen, wie Heim Heiderieter ein
Student „der Fakultät Uhland", der „fünften Fakultät", die ihn dazu ver¬
leitete, sich schon schriftstellerisch zu versuchen. In Berlin bedrückte ihn die
Enge der Häuser und Straßen, sah er in dem großstädtischen Treiben nur eine
dröhnende Anklage, keinen triumphierenden Willen der Menschheit. In Kiel
ließ die Examensnot keine Geistesfreiheit aufkommen. Nun aber, in Hennstedt,
sah er sich dem wirklichen Leben gegenübergestellt. Zum erstenmal nicht mehr
als einer, der nach einem Berufe, nach der Überwindung von Examina, zu
streben hat, sondern als unbehinderte, selbständige Individualität, die sofort
Aufgaben erfüllen sollte. Da brach die seelische Not über ihn herein, die jeder
durchzumachen hat, der es ernst meint mit seinem Verhältnis zur Welt, zu den
Menschen und zu Gott. Das Ringen um die ethische und religiöse Welt¬
anschauung hatte Woche um Woche, bei jeder Predigt, seine Schlachten und Krisen.
Es waren ruhelose Jahre für diese Natur von einer fast wilden Ursprünglichkeit.


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[0075] Gustav Frenssen Kätner, kleine Handwerker oder studierte, doch stets stolz als Bauern, als „Asien". Und als der Dichter nach den Erfolgen des „JörnUhl" über größere Geldsummen verfügte, war es seine erste Tat, einen Hof zu erwerben. Dort setzte sich spornstreichs sein alter Vater fest, dort in Barke wirtschaftet heute noch der Bruder neben dem fünfundachzigjährigen Greise. Handwerker war der Vater. Ein fleißiger, wißbegieriger und flinker Dorf¬ tischler, der es sich im Leben sauer werden ließ, aber darauf hielt, daß seine Söhne etwas lernten. Die Mutter war eine stille, ängstliche und grüblerische Natur, eine schwere Schwarzseherin, die neben der wachen Heiterkeit des hellen, gescheiten Mannes den melancholischen Ernst der nach Sinn und Inhalt des Lebens fragenden Frau stellte. Von beiden erbte der Dichter die Haupteigen¬ schaften: den sicheren, praktischen Blick für den Alltag, das tiefe, immer wache Gewissen für den Sonntag der Seele. Zwischen den Häusern und Häuschen des Dorfes Barke, auf seinen Wiesen und Feldern, hinter Hecken und Knicks wuchs der Knabe heran. Er ging schließlich den Weg vieler Dorfjungen, die, aus armem Kreise stammend, studieren sollen. Auf Meldorfs „hoher Schule", zu Husum, wo er Theodor Storm nahetrat, absolvierte er das Gymnasium, die Flegel- und Entwicklungsjahre. Ihre Unruhe trieb ihn nach der Reifeprüfung in den Süden Deutschlands; in Tübingen lauschte der junge Student erstmalig den theologischen Weisheiten; ein Berliner Jahr folgte; die Weltstadt quälte und bedrängte den Dörfler, der in den Ferien fo schnell wie möglich auf seine grünen Wiesen und Triften eilte; kaum erlebte er die brausende Gegenwartskonzentration, die Berlin aus¬ atmet. Er erledigte dann auf der Landesuniversität Kiel seine Examina und kam bald als wohlbestallter Pfarrer in die Heimat zurück, nach Hennstedt und später nach Hemme, beide Dörfer in Norderdithmarschen. Jetzt setzte erst wieder jene innerliche Entwicklung ein, die seit dem Abschied aus Husum unterbrochen war. Die Eindrücke der Fremde hatten sie abgelenkt. In Tübingen war der junge Fuchs einsam gewesen, wie Heim Heiderieter ein Student „der Fakultät Uhland", der „fünften Fakultät", die ihn dazu ver¬ leitete, sich schon schriftstellerisch zu versuchen. In Berlin bedrückte ihn die Enge der Häuser und Straßen, sah er in dem großstädtischen Treiben nur eine dröhnende Anklage, keinen triumphierenden Willen der Menschheit. In Kiel ließ die Examensnot keine Geistesfreiheit aufkommen. Nun aber, in Hennstedt, sah er sich dem wirklichen Leben gegenübergestellt. Zum erstenmal nicht mehr als einer, der nach einem Berufe, nach der Überwindung von Examina, zu streben hat, sondern als unbehinderte, selbständige Individualität, die sofort Aufgaben erfüllen sollte. Da brach die seelische Not über ihn herein, die jeder durchzumachen hat, der es ernst meint mit seinem Verhältnis zur Welt, zu den Menschen und zu Gott. Das Ringen um die ethische und religiöse Welt¬ anschauung hatte Woche um Woche, bei jeder Predigt, seine Schlachten und Krisen. Es waren ruhelose Jahre für diese Natur von einer fast wilden Ursprünglichkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/75>, abgerufen am 24.08.2024.