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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der erste deutsche Herbstsalon

ich gezeigt zu haben glaube, nur eine konsequente Entwicklung des Impressio¬
nismus und keineswegs etwas so Unerhörtes, wie man auf den ersten Blick
meinen mag. Wer z.B. vergleicht, wie in den Werken der deutschen Stürmer und
Dränger des achtzehnten Jahrhunderts, die ja, ein Zeichen der Zeit, jetzt wieder
neu herausgegeben werden, die Wirklichkeit verzerrt wird, zugunsten einer Wieder¬
gabe von subjektiven oder objektiven Empfindungen, der wird die Möglichkeit
expressionistischer Arbeitsweise von vornherein zugeben. Anders steht es mit
Kubismus und Futurismus. Beide wollen Dinge ausdrücken durch eine Sprache,
die keine Allgemeingültigkeit hat. also auch nicht verstanden werden kann. Etwas
Ähnliches hatten wir vor nun bald dreißig Jahren in der französischen Lyrik.
Man denke an Mallarms, der den Worten einen so einseitig individuell zu¬
gespitzten Sinn verlieh, daß seine Gedichte für Fernerstehende geradezu unver¬
ständlich wurden. Auch bei Stephan George werden bekanntlich die Worte
weniger nach ihrem gegenständlichen Sinn, sondern nach Klängen und Assozia-
tionen, nach einem nur für den Dichter selbst verständlichen inneren Sinn
gruppiert. Man denke auch an Rimbauds berühmtes Vokalgedicht, in dem
jedem Vokal eine bestimmte Farbe, ein bestimmter Gefühlston zugesprochen wird.
Der Futurismus wurde, wie gesagt, von einem Dichter, Marinelli, ins Leben
gerufen, ist es zu verwundern, daß jene Theorien auch in der Malerei wieder¬
kehren? Eine andere Frage ist es freilich, ob die Realisierung dieser Theorien
auch möglich' ist. Möglich nicht nur für den Künstler, insofern er dadurch sein
Eigenleben ausdrückt, das ließe sich noch verteidigen, aber insofern er es
anderen zugänglich machen will. Und das scheint mir nicht der Fall zu sein,
die Künstler scheinen es nach dem Vorwort zum Herbstsalonkatalog selbst zu
empfinden. Wenn Rimbaud schreibt non, IZ blanc. I rouZe, vert, () Kien,
so wird unter hundert Lesern vielleicht nicht einer sein, der die Berechtigung
dieser Gleichungen zugibt. Und solange wir nicht einen bestimmten Farben-,
Kühen-, Flächen- und Kurvensymbolismus haben -- und wie sollten wir dazu
kommen? -- solange werden die Bilder der Kubisten und Futuristen, weil ihnen
die allgemein empfundene Notwendigkeit fehlt, alldeutig und nicht eindeutig und
damit für uns bedeutungslos fein. Denn was hilft es uns, wenn
wir vor lauter verschiedenfarbigen Drei- und Vierecken im Katalog den Titel
"Der Athlet" lesen und beim besten Willen nichts als eben unserer Empfindung
nach wahllos aneinandergefügte Drei- und Vierecke sehen. Und was helfen uns
die langen, langen Erläuterungen zu den Bildern der Futuristen; wir wollen
doch sehen und nicht lesen, und ein Bild, zu dessen Verständnis es erst langer
Erläuterungen bedarf, ist eben als Bild vom Standpunkt des unvoreingenommenen
Beschauers glatt schlecht zu nennen, ganz einerlei, ob es nun von W. von Kaul¬
bach oder Overbeck. zu deren Bildern ja auch Kommentare geschrieben wurden,
oder von Futuristen ist.

Die Sache ist auch insofern bedenklich, als das Streben nach absolut Neuem,
nach Wiedergabe des in den Grenzen der bildenden Kunst nicht Darstellbaren


Der erste deutsche Herbstsalon

ich gezeigt zu haben glaube, nur eine konsequente Entwicklung des Impressio¬
nismus und keineswegs etwas so Unerhörtes, wie man auf den ersten Blick
meinen mag. Wer z.B. vergleicht, wie in den Werken der deutschen Stürmer und
Dränger des achtzehnten Jahrhunderts, die ja, ein Zeichen der Zeit, jetzt wieder
neu herausgegeben werden, die Wirklichkeit verzerrt wird, zugunsten einer Wieder¬
gabe von subjektiven oder objektiven Empfindungen, der wird die Möglichkeit
expressionistischer Arbeitsweise von vornherein zugeben. Anders steht es mit
Kubismus und Futurismus. Beide wollen Dinge ausdrücken durch eine Sprache,
die keine Allgemeingültigkeit hat. also auch nicht verstanden werden kann. Etwas
Ähnliches hatten wir vor nun bald dreißig Jahren in der französischen Lyrik.
Man denke an Mallarms, der den Worten einen so einseitig individuell zu¬
gespitzten Sinn verlieh, daß seine Gedichte für Fernerstehende geradezu unver¬
ständlich wurden. Auch bei Stephan George werden bekanntlich die Worte
weniger nach ihrem gegenständlichen Sinn, sondern nach Klängen und Assozia-
tionen, nach einem nur für den Dichter selbst verständlichen inneren Sinn
gruppiert. Man denke auch an Rimbauds berühmtes Vokalgedicht, in dem
jedem Vokal eine bestimmte Farbe, ein bestimmter Gefühlston zugesprochen wird.
Der Futurismus wurde, wie gesagt, von einem Dichter, Marinelli, ins Leben
gerufen, ist es zu verwundern, daß jene Theorien auch in der Malerei wieder¬
kehren? Eine andere Frage ist es freilich, ob die Realisierung dieser Theorien
auch möglich' ist. Möglich nicht nur für den Künstler, insofern er dadurch sein
Eigenleben ausdrückt, das ließe sich noch verteidigen, aber insofern er es
anderen zugänglich machen will. Und das scheint mir nicht der Fall zu sein,
die Künstler scheinen es nach dem Vorwort zum Herbstsalonkatalog selbst zu
empfinden. Wenn Rimbaud schreibt non, IZ blanc. I rouZe, vert, () Kien,
so wird unter hundert Lesern vielleicht nicht einer sein, der die Berechtigung
dieser Gleichungen zugibt. Und solange wir nicht einen bestimmten Farben-,
Kühen-, Flächen- und Kurvensymbolismus haben — und wie sollten wir dazu
kommen? — solange werden die Bilder der Kubisten und Futuristen, weil ihnen
die allgemein empfundene Notwendigkeit fehlt, alldeutig und nicht eindeutig und
damit für uns bedeutungslos fein. Denn was hilft es uns, wenn
wir vor lauter verschiedenfarbigen Drei- und Vierecken im Katalog den Titel
„Der Athlet" lesen und beim besten Willen nichts als eben unserer Empfindung
nach wahllos aneinandergefügte Drei- und Vierecke sehen. Und was helfen uns
die langen, langen Erläuterungen zu den Bildern der Futuristen; wir wollen
doch sehen und nicht lesen, und ein Bild, zu dessen Verständnis es erst langer
Erläuterungen bedarf, ist eben als Bild vom Standpunkt des unvoreingenommenen
Beschauers glatt schlecht zu nennen, ganz einerlei, ob es nun von W. von Kaul¬
bach oder Overbeck. zu deren Bildern ja auch Kommentare geschrieben wurden,
oder von Futuristen ist.

Die Sache ist auch insofern bedenklich, als das Streben nach absolut Neuem,
nach Wiedergabe des in den Grenzen der bildenden Kunst nicht Darstellbaren


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[0628] Der erste deutsche Herbstsalon ich gezeigt zu haben glaube, nur eine konsequente Entwicklung des Impressio¬ nismus und keineswegs etwas so Unerhörtes, wie man auf den ersten Blick meinen mag. Wer z.B. vergleicht, wie in den Werken der deutschen Stürmer und Dränger des achtzehnten Jahrhunderts, die ja, ein Zeichen der Zeit, jetzt wieder neu herausgegeben werden, die Wirklichkeit verzerrt wird, zugunsten einer Wieder¬ gabe von subjektiven oder objektiven Empfindungen, der wird die Möglichkeit expressionistischer Arbeitsweise von vornherein zugeben. Anders steht es mit Kubismus und Futurismus. Beide wollen Dinge ausdrücken durch eine Sprache, die keine Allgemeingültigkeit hat. also auch nicht verstanden werden kann. Etwas Ähnliches hatten wir vor nun bald dreißig Jahren in der französischen Lyrik. Man denke an Mallarms, der den Worten einen so einseitig individuell zu¬ gespitzten Sinn verlieh, daß seine Gedichte für Fernerstehende geradezu unver¬ ständlich wurden. Auch bei Stephan George werden bekanntlich die Worte weniger nach ihrem gegenständlichen Sinn, sondern nach Klängen und Assozia- tionen, nach einem nur für den Dichter selbst verständlichen inneren Sinn gruppiert. Man denke auch an Rimbauds berühmtes Vokalgedicht, in dem jedem Vokal eine bestimmte Farbe, ein bestimmter Gefühlston zugesprochen wird. Der Futurismus wurde, wie gesagt, von einem Dichter, Marinelli, ins Leben gerufen, ist es zu verwundern, daß jene Theorien auch in der Malerei wieder¬ kehren? Eine andere Frage ist es freilich, ob die Realisierung dieser Theorien auch möglich' ist. Möglich nicht nur für den Künstler, insofern er dadurch sein Eigenleben ausdrückt, das ließe sich noch verteidigen, aber insofern er es anderen zugänglich machen will. Und das scheint mir nicht der Fall zu sein, die Künstler scheinen es nach dem Vorwort zum Herbstsalonkatalog selbst zu empfinden. Wenn Rimbaud schreibt non, IZ blanc. I rouZe, vert, () Kien, so wird unter hundert Lesern vielleicht nicht einer sein, der die Berechtigung dieser Gleichungen zugibt. Und solange wir nicht einen bestimmten Farben-, Kühen-, Flächen- und Kurvensymbolismus haben — und wie sollten wir dazu kommen? — solange werden die Bilder der Kubisten und Futuristen, weil ihnen die allgemein empfundene Notwendigkeit fehlt, alldeutig und nicht eindeutig und damit für uns bedeutungslos fein. Denn was hilft es uns, wenn wir vor lauter verschiedenfarbigen Drei- und Vierecken im Katalog den Titel „Der Athlet" lesen und beim besten Willen nichts als eben unserer Empfindung nach wahllos aneinandergefügte Drei- und Vierecke sehen. Und was helfen uns die langen, langen Erläuterungen zu den Bildern der Futuristen; wir wollen doch sehen und nicht lesen, und ein Bild, zu dessen Verständnis es erst langer Erläuterungen bedarf, ist eben als Bild vom Standpunkt des unvoreingenommenen Beschauers glatt schlecht zu nennen, ganz einerlei, ob es nun von W. von Kaul¬ bach oder Overbeck. zu deren Bildern ja auch Kommentare geschrieben wurden, oder von Futuristen ist. Die Sache ist auch insofern bedenklich, als das Streben nach absolut Neuem, nach Wiedergabe des in den Grenzen der bildenden Kunst nicht Darstellbaren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/628>, abgerufen am 22.07.2024.