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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Wie Lrmina Harem über das große Wasser kam

Die Alte blickte auf und lächelte ihn ruhig unter ihrem Kopfschal an.
Und fragte mit einem eigentümlich gewohnheitsmäßigen Tonfall der Stimme
nach Simon in New Uork.

Der Assistent zog die Augenbrauen in die Höhe. "Simon in New Uork!
Ja! /^II nMl Hier haben Sie New Aork! Und in einer Stunde haben
Sie Simon I" Und er schlug an eine Glocke an der Wand und setzte einen
schwarzen Trichter an das Ohr.

Eine Stunde später standen vier Herren in langen Ulstern um sie her und
hielten ihre Hände zwischen den ihren und lachten und nickten einander zu.

Sie sah zufrieden von einem zum anderen. Jak dies war Simon --
Aussuf -- Dawoud -- und Uakub! Aber sie hatten nicht mehr den langen
weichen schwarzen Bart wie ehedem -- sie hatten auch keinen Turban oder
Fez, sondern einen steifen schwarzen Hut wie eine zerschnittene Wassermelone
und es beunruhigte sie, daß sie Uakub mit Jack ansprachen. Und doch! Es
waren ihre vier Jungen, gerade wie sie sie daheim in Keile in der kleinen
Basilika durch das Haremsgitter Seite an Seite stehen gesehen hatte! -- dieselben
Stimmen, dieselben Augen -- bloß mit etwas Fremdem um den glattrasierten
Mund!

Sogleich begann sie von ihrer Reise zu erzählen: wie leicht alles gegangen
sei und wieviel schneller, als sie geglaubt! Anfangs hatte sie sich selbst weiter¬
helfen müssen und war ziemlich ratlos gewesen, bis sie endlich in einer Stadt
am Wasser einen guten und gefälligen Mann traf, der ihr gastfrei in seinem
eigenen Haus Unterkunft gewährte, bis das Schiff nach New Uork ging.
Ganze drei Monate hatte er sie bei sich wohnen gehabt! Natürlich hatte sie
ein bißchen für ihre Kost bezahlen müssen und all ihr Geld war allmählig
daraufgegangen -- genau bis auf den Betrag des Schiffsbillets, und dieses
hatte ihr Wirt selbst für sie gekauft und ungeheure Mühe gehabt, es zu
beschaffen, denn es waren ja so viele, die mit nach New Avr! wollten und
das nächste Schiff ging erst in abermals fünf Monaten!

Sie brachten sie zuerst in einem Automobil, dann im Omnibus, dann in
der Ringbahn Heini. Sie saß da und schielte durch die Scheiben und wunderte
sich, daß diese Stadt wie eine einzige lange Straße gebaut sei. Und als Simon
ihr erklärte, daß zu beiden Seiten tausend Straßen seien so wie diese, lächelte
sie und streichelte leise seine Hand. Als aber Uakub ihr stolz New Uork Heralds
und singers Wolkenkratzertürme zeigte und sie fragte, ob sie sie nicht ungeheuer
hoch fände, da nickte sie bloß flüchtig. "Wahrhaftig," sagte sie, den jüngsten
der Söhne wohlgefällig betrachtend, "Dakub ist um einen halben Kopf gewachsen,
seitdem ich ihn zuletzt sah. Und auch ihr anderen scheint mir größer geworden
zu sein!"




Wie Lrmina Harem über das große Wasser kam

Die Alte blickte auf und lächelte ihn ruhig unter ihrem Kopfschal an.
Und fragte mit einem eigentümlich gewohnheitsmäßigen Tonfall der Stimme
nach Simon in New Uork.

Der Assistent zog die Augenbrauen in die Höhe. „Simon in New Uork!
Ja! /^II nMl Hier haben Sie New Aork! Und in einer Stunde haben
Sie Simon I" Und er schlug an eine Glocke an der Wand und setzte einen
schwarzen Trichter an das Ohr.

Eine Stunde später standen vier Herren in langen Ulstern um sie her und
hielten ihre Hände zwischen den ihren und lachten und nickten einander zu.

Sie sah zufrieden von einem zum anderen. Jak dies war Simon —
Aussuf — Dawoud — und Uakub! Aber sie hatten nicht mehr den langen
weichen schwarzen Bart wie ehedem — sie hatten auch keinen Turban oder
Fez, sondern einen steifen schwarzen Hut wie eine zerschnittene Wassermelone
und es beunruhigte sie, daß sie Uakub mit Jack ansprachen. Und doch! Es
waren ihre vier Jungen, gerade wie sie sie daheim in Keile in der kleinen
Basilika durch das Haremsgitter Seite an Seite stehen gesehen hatte! — dieselben
Stimmen, dieselben Augen — bloß mit etwas Fremdem um den glattrasierten
Mund!

Sogleich begann sie von ihrer Reise zu erzählen: wie leicht alles gegangen
sei und wieviel schneller, als sie geglaubt! Anfangs hatte sie sich selbst weiter¬
helfen müssen und war ziemlich ratlos gewesen, bis sie endlich in einer Stadt
am Wasser einen guten und gefälligen Mann traf, der ihr gastfrei in seinem
eigenen Haus Unterkunft gewährte, bis das Schiff nach New Uork ging.
Ganze drei Monate hatte er sie bei sich wohnen gehabt! Natürlich hatte sie
ein bißchen für ihre Kost bezahlen müssen und all ihr Geld war allmählig
daraufgegangen — genau bis auf den Betrag des Schiffsbillets, und dieses
hatte ihr Wirt selbst für sie gekauft und ungeheure Mühe gehabt, es zu
beschaffen, denn es waren ja so viele, die mit nach New Avr! wollten und
das nächste Schiff ging erst in abermals fünf Monaten!

Sie brachten sie zuerst in einem Automobil, dann im Omnibus, dann in
der Ringbahn Heini. Sie saß da und schielte durch die Scheiben und wunderte
sich, daß diese Stadt wie eine einzige lange Straße gebaut sei. Und als Simon
ihr erklärte, daß zu beiden Seiten tausend Straßen seien so wie diese, lächelte
sie und streichelte leise seine Hand. Als aber Uakub ihr stolz New Uork Heralds
und singers Wolkenkratzertürme zeigte und sie fragte, ob sie sie nicht ungeheuer
hoch fände, da nickte sie bloß flüchtig. „Wahrhaftig," sagte sie, den jüngsten
der Söhne wohlgefällig betrachtend, „Dakub ist um einen halben Kopf gewachsen,
seitdem ich ihn zuletzt sah. Und auch ihr anderen scheint mir größer geworden
zu sein!"




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[0623] Wie Lrmina Harem über das große Wasser kam Die Alte blickte auf und lächelte ihn ruhig unter ihrem Kopfschal an. Und fragte mit einem eigentümlich gewohnheitsmäßigen Tonfall der Stimme nach Simon in New Uork. Der Assistent zog die Augenbrauen in die Höhe. „Simon in New Uork! Ja! /^II nMl Hier haben Sie New Aork! Und in einer Stunde haben Sie Simon I" Und er schlug an eine Glocke an der Wand und setzte einen schwarzen Trichter an das Ohr. Eine Stunde später standen vier Herren in langen Ulstern um sie her und hielten ihre Hände zwischen den ihren und lachten und nickten einander zu. Sie sah zufrieden von einem zum anderen. Jak dies war Simon — Aussuf — Dawoud — und Uakub! Aber sie hatten nicht mehr den langen weichen schwarzen Bart wie ehedem — sie hatten auch keinen Turban oder Fez, sondern einen steifen schwarzen Hut wie eine zerschnittene Wassermelone und es beunruhigte sie, daß sie Uakub mit Jack ansprachen. Und doch! Es waren ihre vier Jungen, gerade wie sie sie daheim in Keile in der kleinen Basilika durch das Haremsgitter Seite an Seite stehen gesehen hatte! — dieselben Stimmen, dieselben Augen — bloß mit etwas Fremdem um den glattrasierten Mund! Sogleich begann sie von ihrer Reise zu erzählen: wie leicht alles gegangen sei und wieviel schneller, als sie geglaubt! Anfangs hatte sie sich selbst weiter¬ helfen müssen und war ziemlich ratlos gewesen, bis sie endlich in einer Stadt am Wasser einen guten und gefälligen Mann traf, der ihr gastfrei in seinem eigenen Haus Unterkunft gewährte, bis das Schiff nach New Uork ging. Ganze drei Monate hatte er sie bei sich wohnen gehabt! Natürlich hatte sie ein bißchen für ihre Kost bezahlen müssen und all ihr Geld war allmählig daraufgegangen — genau bis auf den Betrag des Schiffsbillets, und dieses hatte ihr Wirt selbst für sie gekauft und ungeheure Mühe gehabt, es zu beschaffen, denn es waren ja so viele, die mit nach New Avr! wollten und das nächste Schiff ging erst in abermals fünf Monaten! Sie brachten sie zuerst in einem Automobil, dann im Omnibus, dann in der Ringbahn Heini. Sie saß da und schielte durch die Scheiben und wunderte sich, daß diese Stadt wie eine einzige lange Straße gebaut sei. Und als Simon ihr erklärte, daß zu beiden Seiten tausend Straßen seien so wie diese, lächelte sie und streichelte leise seine Hand. Als aber Uakub ihr stolz New Uork Heralds und singers Wolkenkratzertürme zeigte und sie fragte, ob sie sie nicht ungeheuer hoch fände, da nickte sie bloß flüchtig. „Wahrhaftig," sagte sie, den jüngsten der Söhne wohlgefällig betrachtend, „Dakub ist um einen halben Kopf gewachsen, seitdem ich ihn zuletzt sah. Und auch ihr anderen scheint mir größer geworden zu sein!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/623>, abgerufen am 22.07.2024.