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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Wie Lrmina Harem über das große Wasser kam

Denn drei Monate -- welch geringe Zeit! Und war es nicht jetzt schon,
als hätte sie ihre Söhne nahe bei sich, ja, um steht Uakub. Dussuff, Dawoud
und der älteste -- Simon! Sie standen ja wie eine Wache um sie, sie fühlte
den warmen Druck ihrer Hände in den ihren! Es waren ja ihre Kinder!
Durch tausend unsichtbare Bande mit ihr vereint! -- Ja, es war der ewige
Bund der Familie, des Heims und häuslichen Herdes, der sie zusammenhielt,
so unlösbar, daß sie einander unmöglich verlieren konnten! Und jetzt führten
diese geheimen Kräfte sie quer über das große Wasser einander in die Arme
-- durch Allahs barmherzige Gnade! Waren es nicht ihre vier Söhne
gewesen -- oder die Engel ihrer Söhne --, die sie bisher umstanden und
beschützt, die sie durch das ungeheure Wasser geführt und durch die schreckliche
Stadt, die gleich Sodoma vom Feuer verzehrt worden war! Ja, sie waren
ihr nahe! In bloß drei Monaten würde sie sie sehen!

Und sie legte sich vertrauensvoll auf den mageren Strohsack des Staats¬
gastzimmers hinter der Kellertreppe, das Signor Lombardi ihr als Herberge
angewiesen hatte, allerdings nicht ehe er sich für eine Woche im voraus bezahlt
gemacht mit einem Betrag, den sie ihn dankbaren Herzens selbst aus ihrem
Geldvorrat entnehmen ließ. --

Mr. Joseph B.Harem, MntlemÄNs tÄ^Jor alte! 5ir8t L>Ä88 akrs88makLr, hatte
sein Geschäft draußen in Brooklyn in einer Straße, die hauptsächlich von russischen,
polnischen und orientalischen Einwanderern bevölkert war. Mr. Harem hatte
sich von dieser Umgebung jedoch ziemlich emanzipiert und suchte sich seine
Kundschaft allmählich unter kleineren clork8 und 8tiop-a8Si8tant8 in Brooklrms
Handelsviertel.

Mr. Harem (er hatte des englischen Wohllauts wegen den türkischen Zu¬
namen seiner Mutter gewählt statt der unaussprechbaren Phantasienamen seines
Vaters) kam mittags heim und fand seinen Bruder und Kompagnon Simon
in äußerst erregtem Gemütszustand, mit den Armen fuchtelnd, im Zimmer um¬
herfahrend. Vergebens versuchte Josephs Gattin Eudoxia, eine junge Ameri¬
kanerin griechischer Herkunft, ihn zu beruhigen.

"Dussuf!" rief er, plötzlich arabisch sprechend, was er sonst mit Rücksicht
auf die Frau seines Bruders vermied. "Uussuf! Etwas höchst Merkwürdiges
und Furchtbares hat sich zugetragen: ein Brief von unserer Mutter ist ein-
getroffen. Sie ist auf dem Wege herüber!"

Jussuf sank auf einen Stuhl. "Jehosaphat!" brach er aus. "Vou cZon't
8Ä^ 80!"

Aber Simon zeigte ihm den Brief, dessen Adresse lautete: Simon Effendi,
New Uork, Box 1540 et. Und der Brief war unterschrieben: Ermina Harem.
Nein, hier war kein Zweifel möglich!

"Ich habe sogleich an Dawoud telegraphiert." fuhr Simon fort (Dawoud
Harem betrieb in Philadelphia ein Schneidergefchäft) "und an Dakub" (der
selben Orts einen Teppichbazar innehatte). "Sie müssen morgen frühzeitig da fein,"


Wie Lrmina Harem über das große Wasser kam

Denn drei Monate — welch geringe Zeit! Und war es nicht jetzt schon,
als hätte sie ihre Söhne nahe bei sich, ja, um steht Uakub. Dussuff, Dawoud
und der älteste — Simon! Sie standen ja wie eine Wache um sie, sie fühlte
den warmen Druck ihrer Hände in den ihren! Es waren ja ihre Kinder!
Durch tausend unsichtbare Bande mit ihr vereint! — Ja, es war der ewige
Bund der Familie, des Heims und häuslichen Herdes, der sie zusammenhielt,
so unlösbar, daß sie einander unmöglich verlieren konnten! Und jetzt führten
diese geheimen Kräfte sie quer über das große Wasser einander in die Arme
— durch Allahs barmherzige Gnade! Waren es nicht ihre vier Söhne
gewesen — oder die Engel ihrer Söhne —, die sie bisher umstanden und
beschützt, die sie durch das ungeheure Wasser geführt und durch die schreckliche
Stadt, die gleich Sodoma vom Feuer verzehrt worden war! Ja, sie waren
ihr nahe! In bloß drei Monaten würde sie sie sehen!

Und sie legte sich vertrauensvoll auf den mageren Strohsack des Staats¬
gastzimmers hinter der Kellertreppe, das Signor Lombardi ihr als Herberge
angewiesen hatte, allerdings nicht ehe er sich für eine Woche im voraus bezahlt
gemacht mit einem Betrag, den sie ihn dankbaren Herzens selbst aus ihrem
Geldvorrat entnehmen ließ. —

Mr. Joseph B.Harem, MntlemÄNs tÄ^Jor alte! 5ir8t L>Ä88 akrs88makLr, hatte
sein Geschäft draußen in Brooklyn in einer Straße, die hauptsächlich von russischen,
polnischen und orientalischen Einwanderern bevölkert war. Mr. Harem hatte
sich von dieser Umgebung jedoch ziemlich emanzipiert und suchte sich seine
Kundschaft allmählich unter kleineren clork8 und 8tiop-a8Si8tant8 in Brooklrms
Handelsviertel.

Mr. Harem (er hatte des englischen Wohllauts wegen den türkischen Zu¬
namen seiner Mutter gewählt statt der unaussprechbaren Phantasienamen seines
Vaters) kam mittags heim und fand seinen Bruder und Kompagnon Simon
in äußerst erregtem Gemütszustand, mit den Armen fuchtelnd, im Zimmer um¬
herfahrend. Vergebens versuchte Josephs Gattin Eudoxia, eine junge Ameri¬
kanerin griechischer Herkunft, ihn zu beruhigen.

„Dussuf!" rief er, plötzlich arabisch sprechend, was er sonst mit Rücksicht
auf die Frau seines Bruders vermied. „Uussuf! Etwas höchst Merkwürdiges
und Furchtbares hat sich zugetragen: ein Brief von unserer Mutter ist ein-
getroffen. Sie ist auf dem Wege herüber!"

Jussuf sank auf einen Stuhl. „Jehosaphat!" brach er aus. „Vou cZon't
8Ä^ 80!"

Aber Simon zeigte ihm den Brief, dessen Adresse lautete: Simon Effendi,
New Uork, Box 1540 et. Und der Brief war unterschrieben: Ermina Harem.
Nein, hier war kein Zweifel möglich!

„Ich habe sogleich an Dawoud telegraphiert." fuhr Simon fort (Dawoud
Harem betrieb in Philadelphia ein Schneidergefchäft) „und an Dakub" (der
selben Orts einen Teppichbazar innehatte). „Sie müssen morgen frühzeitig da fein,"


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[0621] Wie Lrmina Harem über das große Wasser kam Denn drei Monate — welch geringe Zeit! Und war es nicht jetzt schon, als hätte sie ihre Söhne nahe bei sich, ja, um steht Uakub. Dussuff, Dawoud und der älteste — Simon! Sie standen ja wie eine Wache um sie, sie fühlte den warmen Druck ihrer Hände in den ihren! Es waren ja ihre Kinder! Durch tausend unsichtbare Bande mit ihr vereint! — Ja, es war der ewige Bund der Familie, des Heims und häuslichen Herdes, der sie zusammenhielt, so unlösbar, daß sie einander unmöglich verlieren konnten! Und jetzt führten diese geheimen Kräfte sie quer über das große Wasser einander in die Arme — durch Allahs barmherzige Gnade! Waren es nicht ihre vier Söhne gewesen — oder die Engel ihrer Söhne —, die sie bisher umstanden und beschützt, die sie durch das ungeheure Wasser geführt und durch die schreckliche Stadt, die gleich Sodoma vom Feuer verzehrt worden war! Ja, sie waren ihr nahe! In bloß drei Monaten würde sie sie sehen! Und sie legte sich vertrauensvoll auf den mageren Strohsack des Staats¬ gastzimmers hinter der Kellertreppe, das Signor Lombardi ihr als Herberge angewiesen hatte, allerdings nicht ehe er sich für eine Woche im voraus bezahlt gemacht mit einem Betrag, den sie ihn dankbaren Herzens selbst aus ihrem Geldvorrat entnehmen ließ. — Mr. Joseph B.Harem, MntlemÄNs tÄ^Jor alte! 5ir8t L>Ä88 akrs88makLr, hatte sein Geschäft draußen in Brooklyn in einer Straße, die hauptsächlich von russischen, polnischen und orientalischen Einwanderern bevölkert war. Mr. Harem hatte sich von dieser Umgebung jedoch ziemlich emanzipiert und suchte sich seine Kundschaft allmählich unter kleineren clork8 und 8tiop-a8Si8tant8 in Brooklrms Handelsviertel. Mr. Harem (er hatte des englischen Wohllauts wegen den türkischen Zu¬ namen seiner Mutter gewählt statt der unaussprechbaren Phantasienamen seines Vaters) kam mittags heim und fand seinen Bruder und Kompagnon Simon in äußerst erregtem Gemütszustand, mit den Armen fuchtelnd, im Zimmer um¬ herfahrend. Vergebens versuchte Josephs Gattin Eudoxia, eine junge Ameri¬ kanerin griechischer Herkunft, ihn zu beruhigen. „Dussuf!" rief er, plötzlich arabisch sprechend, was er sonst mit Rücksicht auf die Frau seines Bruders vermied. „Uussuf! Etwas höchst Merkwürdiges und Furchtbares hat sich zugetragen: ein Brief von unserer Mutter ist ein- getroffen. Sie ist auf dem Wege herüber!" Jussuf sank auf einen Stuhl. „Jehosaphat!" brach er aus. „Vou cZon't 8Ä^ 80!" Aber Simon zeigte ihm den Brief, dessen Adresse lautete: Simon Effendi, New Uork, Box 1540 et. Und der Brief war unterschrieben: Ermina Harem. Nein, hier war kein Zweifel möglich! „Ich habe sogleich an Dawoud telegraphiert." fuhr Simon fort (Dawoud Harem betrieb in Philadelphia ein Schneidergefchäft) „und an Dakub" (der selben Orts einen Teppichbazar innehatte). „Sie müssen morgen frühzeitig da fein,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/621>, abgerufen am 02.10.2024.