Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie Lrmina Harem über das große lvasscr kam

Messina erreichten. Ihre Miene kam ihm respektabel vor, trotz ihres ärmlichen
Äußeren. Sie hatte wenigstens nicht das böse Auge, wie so viele dieser ver¬
dammten Araber! Er erzählte in der Messe von ihr und nannte sie "la Norma" --
"die Großmutter". Und diesen Namen behielt sie, solange sie an Bord war.

La Norma suchte sofort den Schatten auf und saß da hinter dem Eisschrank
des Stewards auf ihrem großen Bündel, das in einen Teppich aus ihrer Kammer
daheim in Keile eingewickelt war. Die Hände im Schoß gefaltet, sah sie
träumend hinaus auf das große Wasser, das soviel breiter war als selbst der
Nil. Hier gab es keine Felucken und Daharbiehs und weder das gute tägliche
Rieseln aus den zu den Shardufbrunnen wandernden Tonkrügen, noch den süße
Gesang der sich drehenden Sakiehräder während des Rundganges der weißen
Wasserbüffel. Hier war nur öde See; aber da drüben -- da war New Aork
und Simon --. ja, Simon und Uufsuf. Uakub und Dawoud. ihre vier Jungen,
die sie verlassen hatten und nun Schneider waren und KuMne und Gallabiehs
nähten für die Leute in New Aork!

Zwölf Jahre hatte sie allein gewohnt in dem Häuschen, das ihr Mann,
ein umherreisender Teppichhändler, als Harun eingerichtet hatte für die Kinder
und sie. Dort hatte sie alle diese Jahre gelebt, verwitwet und kinderlos, taub
für das Geschwätz der Nachbarinnen, bloß in Erwartung der vier Briefe, die
alljährlich zu ihr herüberkamen aus jenem fremden Lande: New Uorkl

Jeden dieser Briefe hatte sie, sorgfältig in ein Tuch verpackt, zu dem
Gassenschreiber in Keile getragen. Und Saud Farag Effendi hatte seine zwei
Piaster Gebühr in Empfang genommen und dann den Brief mit ausgestreckten:
Arm vor die Augen gehalten. Und nachdem er die Brille über die graue
Stirnlocke hinaufgeschoben, hatte er mit dem einen Auge, das Allah ihm gelassen,
lesen können, was in dem Briefe stand: daß Aakub oder Simon oder Dawoud
oder Dussuf sie herzlich grüße und daß es ihnen wohl ergehe; und daß viel
Geld dort zu verdienen sei für Schneider und Teppichnäher. Und daß sie bloß
wünschten, sie einmal wiederzusehen und daß sie Allah (dessen Name gesegnet
sei) bäten, ihre teuere Mutter einmal über das Wasser zu ihnen zu führen, wo
alles soviel besser sei als daheim, wenn auch höchst wunderlich und merkwürdig,
aber wo alle Brüder seien und jeder viele, viele Dollars verdienen könne, was
viel mehr sei als ein ägyptischer Schilling daheim.

So kamen die Briefe Jahr um Jahr und in jedem schrieben ihre Söhne,
nun müsse sie bald, sehr bald kommen! Denn die Arbeit sei so gut, daß es
ihnen nicht möglich sei, selbst zu ihr zu reisen, gerade in der allerbesten Zeit.

Nachdem sie nun in diesen vielen Jahren die Briefe der Söhne genugsam
erwogen hatte, beschloß sie eines Tages, Simon in New Aork aufzusuchen. Es war
ja schon so lange her, seit die Söhne sie gebeten hatten, zu kommen und es
fiel ihr ein. daß sie leicht ungeduldig werden konnten. Sobald sie ihren Ent¬
schluß gefaßt, ging sie quer über die Gasse zu ihrem Vetter mütterlicherseits,
der an die Fellahs der Umgegend Geld verlieh. Sie fragte ihn, ob er alles,


Wie Lrmina Harem über das große lvasscr kam

Messina erreichten. Ihre Miene kam ihm respektabel vor, trotz ihres ärmlichen
Äußeren. Sie hatte wenigstens nicht das böse Auge, wie so viele dieser ver¬
dammten Araber! Er erzählte in der Messe von ihr und nannte sie „la Norma" —
„die Großmutter". Und diesen Namen behielt sie, solange sie an Bord war.

La Norma suchte sofort den Schatten auf und saß da hinter dem Eisschrank
des Stewards auf ihrem großen Bündel, das in einen Teppich aus ihrer Kammer
daheim in Keile eingewickelt war. Die Hände im Schoß gefaltet, sah sie
träumend hinaus auf das große Wasser, das soviel breiter war als selbst der
Nil. Hier gab es keine Felucken und Daharbiehs und weder das gute tägliche
Rieseln aus den zu den Shardufbrunnen wandernden Tonkrügen, noch den süße
Gesang der sich drehenden Sakiehräder während des Rundganges der weißen
Wasserbüffel. Hier war nur öde See; aber da drüben — da war New Aork
und Simon —. ja, Simon und Uufsuf. Uakub und Dawoud. ihre vier Jungen,
die sie verlassen hatten und nun Schneider waren und KuMne und Gallabiehs
nähten für die Leute in New Aork!

Zwölf Jahre hatte sie allein gewohnt in dem Häuschen, das ihr Mann,
ein umherreisender Teppichhändler, als Harun eingerichtet hatte für die Kinder
und sie. Dort hatte sie alle diese Jahre gelebt, verwitwet und kinderlos, taub
für das Geschwätz der Nachbarinnen, bloß in Erwartung der vier Briefe, die
alljährlich zu ihr herüberkamen aus jenem fremden Lande: New Uorkl

Jeden dieser Briefe hatte sie, sorgfältig in ein Tuch verpackt, zu dem
Gassenschreiber in Keile getragen. Und Saud Farag Effendi hatte seine zwei
Piaster Gebühr in Empfang genommen und dann den Brief mit ausgestreckten:
Arm vor die Augen gehalten. Und nachdem er die Brille über die graue
Stirnlocke hinaufgeschoben, hatte er mit dem einen Auge, das Allah ihm gelassen,
lesen können, was in dem Briefe stand: daß Aakub oder Simon oder Dawoud
oder Dussuf sie herzlich grüße und daß es ihnen wohl ergehe; und daß viel
Geld dort zu verdienen sei für Schneider und Teppichnäher. Und daß sie bloß
wünschten, sie einmal wiederzusehen und daß sie Allah (dessen Name gesegnet
sei) bäten, ihre teuere Mutter einmal über das Wasser zu ihnen zu führen, wo
alles soviel besser sei als daheim, wenn auch höchst wunderlich und merkwürdig,
aber wo alle Brüder seien und jeder viele, viele Dollars verdienen könne, was
viel mehr sei als ein ägyptischer Schilling daheim.

So kamen die Briefe Jahr um Jahr und in jedem schrieben ihre Söhne,
nun müsse sie bald, sehr bald kommen! Denn die Arbeit sei so gut, daß es
ihnen nicht möglich sei, selbst zu ihr zu reisen, gerade in der allerbesten Zeit.

Nachdem sie nun in diesen vielen Jahren die Briefe der Söhne genugsam
erwogen hatte, beschloß sie eines Tages, Simon in New Aork aufzusuchen. Es war
ja schon so lange her, seit die Söhne sie gebeten hatten, zu kommen und es
fiel ihr ein. daß sie leicht ungeduldig werden konnten. Sobald sie ihren Ent¬
schluß gefaßt, ging sie quer über die Gasse zu ihrem Vetter mütterlicherseits,
der an die Fellahs der Umgegend Geld verlieh. Sie fragte ihn, ob er alles,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327429"/>
          <fw type="header" place="top"> Wie Lrmina Harem über das große lvasscr kam</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2451" prev="#ID_2450"> Messina erreichten. Ihre Miene kam ihm respektabel vor, trotz ihres ärmlichen<lb/>
Äußeren. Sie hatte wenigstens nicht das böse Auge, wie so viele dieser ver¬<lb/>
dammten Araber! Er erzählte in der Messe von ihr und nannte sie &#x201E;la Norma" &#x2014;<lb/>
&#x201E;die Großmutter". Und diesen Namen behielt sie, solange sie an Bord war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2452"> La Norma suchte sofort den Schatten auf und saß da hinter dem Eisschrank<lb/>
des Stewards auf ihrem großen Bündel, das in einen Teppich aus ihrer Kammer<lb/>
daheim in Keile eingewickelt war. Die Hände im Schoß gefaltet, sah sie<lb/>
träumend hinaus auf das große Wasser, das soviel breiter war als selbst der<lb/>
Nil. Hier gab es keine Felucken und Daharbiehs und weder das gute tägliche<lb/>
Rieseln aus den zu den Shardufbrunnen wandernden Tonkrügen, noch den süße<lb/>
Gesang der sich drehenden Sakiehräder während des Rundganges der weißen<lb/>
Wasserbüffel. Hier war nur öde See; aber da drüben &#x2014; da war New Aork<lb/>
und Simon &#x2014;. ja, Simon und Uufsuf. Uakub und Dawoud. ihre vier Jungen,<lb/>
die sie verlassen hatten und nun Schneider waren und KuMne und Gallabiehs<lb/>
nähten für die Leute in New Aork!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2453"> Zwölf Jahre hatte sie allein gewohnt in dem Häuschen, das ihr Mann,<lb/>
ein umherreisender Teppichhändler, als Harun eingerichtet hatte für die Kinder<lb/>
und sie. Dort hatte sie alle diese Jahre gelebt, verwitwet und kinderlos, taub<lb/>
für das Geschwätz der Nachbarinnen, bloß in Erwartung der vier Briefe, die<lb/>
alljährlich zu ihr herüberkamen aus jenem fremden Lande: New Uorkl</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2454"> Jeden dieser Briefe hatte sie, sorgfältig in ein Tuch verpackt, zu dem<lb/>
Gassenschreiber in Keile getragen. Und Saud Farag Effendi hatte seine zwei<lb/>
Piaster Gebühr in Empfang genommen und dann den Brief mit ausgestreckten:<lb/>
Arm vor die Augen gehalten. Und nachdem er die Brille über die graue<lb/>
Stirnlocke hinaufgeschoben, hatte er mit dem einen Auge, das Allah ihm gelassen,<lb/>
lesen können, was in dem Briefe stand: daß Aakub oder Simon oder Dawoud<lb/>
oder Dussuf sie herzlich grüße und daß es ihnen wohl ergehe; und daß viel<lb/>
Geld dort zu verdienen sei für Schneider und Teppichnäher. Und daß sie bloß<lb/>
wünschten, sie einmal wiederzusehen und daß sie Allah (dessen Name gesegnet<lb/>
sei) bäten, ihre teuere Mutter einmal über das Wasser zu ihnen zu führen, wo<lb/>
alles soviel besser sei als daheim, wenn auch höchst wunderlich und merkwürdig,<lb/>
aber wo alle Brüder seien und jeder viele, viele Dollars verdienen könne, was<lb/>
viel mehr sei als ein ägyptischer Schilling daheim.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2455"> So kamen die Briefe Jahr um Jahr und in jedem schrieben ihre Söhne,<lb/>
nun müsse sie bald, sehr bald kommen! Denn die Arbeit sei so gut, daß es<lb/>
ihnen nicht möglich sei, selbst zu ihr zu reisen, gerade in der allerbesten Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2456" next="#ID_2457"> Nachdem sie nun in diesen vielen Jahren die Briefe der Söhne genugsam<lb/>
erwogen hatte, beschloß sie eines Tages, Simon in New Aork aufzusuchen. Es war<lb/>
ja schon so lange her, seit die Söhne sie gebeten hatten, zu kommen und es<lb/>
fiel ihr ein. daß sie leicht ungeduldig werden konnten. Sobald sie ihren Ent¬<lb/>
schluß gefaßt, ging sie quer über die Gasse zu ihrem Vetter mütterlicherseits,<lb/>
der an die Fellahs der Umgegend Geld verlieh.  Sie fragte ihn, ob er alles,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0617] Wie Lrmina Harem über das große lvasscr kam Messina erreichten. Ihre Miene kam ihm respektabel vor, trotz ihres ärmlichen Äußeren. Sie hatte wenigstens nicht das böse Auge, wie so viele dieser ver¬ dammten Araber! Er erzählte in der Messe von ihr und nannte sie „la Norma" — „die Großmutter". Und diesen Namen behielt sie, solange sie an Bord war. La Norma suchte sofort den Schatten auf und saß da hinter dem Eisschrank des Stewards auf ihrem großen Bündel, das in einen Teppich aus ihrer Kammer daheim in Keile eingewickelt war. Die Hände im Schoß gefaltet, sah sie träumend hinaus auf das große Wasser, das soviel breiter war als selbst der Nil. Hier gab es keine Felucken und Daharbiehs und weder das gute tägliche Rieseln aus den zu den Shardufbrunnen wandernden Tonkrügen, noch den süße Gesang der sich drehenden Sakiehräder während des Rundganges der weißen Wasserbüffel. Hier war nur öde See; aber da drüben — da war New Aork und Simon —. ja, Simon und Uufsuf. Uakub und Dawoud. ihre vier Jungen, die sie verlassen hatten und nun Schneider waren und KuMne und Gallabiehs nähten für die Leute in New Aork! Zwölf Jahre hatte sie allein gewohnt in dem Häuschen, das ihr Mann, ein umherreisender Teppichhändler, als Harun eingerichtet hatte für die Kinder und sie. Dort hatte sie alle diese Jahre gelebt, verwitwet und kinderlos, taub für das Geschwätz der Nachbarinnen, bloß in Erwartung der vier Briefe, die alljährlich zu ihr herüberkamen aus jenem fremden Lande: New Uorkl Jeden dieser Briefe hatte sie, sorgfältig in ein Tuch verpackt, zu dem Gassenschreiber in Keile getragen. Und Saud Farag Effendi hatte seine zwei Piaster Gebühr in Empfang genommen und dann den Brief mit ausgestreckten: Arm vor die Augen gehalten. Und nachdem er die Brille über die graue Stirnlocke hinaufgeschoben, hatte er mit dem einen Auge, das Allah ihm gelassen, lesen können, was in dem Briefe stand: daß Aakub oder Simon oder Dawoud oder Dussuf sie herzlich grüße und daß es ihnen wohl ergehe; und daß viel Geld dort zu verdienen sei für Schneider und Teppichnäher. Und daß sie bloß wünschten, sie einmal wiederzusehen und daß sie Allah (dessen Name gesegnet sei) bäten, ihre teuere Mutter einmal über das Wasser zu ihnen zu führen, wo alles soviel besser sei als daheim, wenn auch höchst wunderlich und merkwürdig, aber wo alle Brüder seien und jeder viele, viele Dollars verdienen könne, was viel mehr sei als ein ägyptischer Schilling daheim. So kamen die Briefe Jahr um Jahr und in jedem schrieben ihre Söhne, nun müsse sie bald, sehr bald kommen! Denn die Arbeit sei so gut, daß es ihnen nicht möglich sei, selbst zu ihr zu reisen, gerade in der allerbesten Zeit. Nachdem sie nun in diesen vielen Jahren die Briefe der Söhne genugsam erwogen hatte, beschloß sie eines Tages, Simon in New Aork aufzusuchen. Es war ja schon so lange her, seit die Söhne sie gebeten hatten, zu kommen und es fiel ihr ein. daß sie leicht ungeduldig werden konnten. Sobald sie ihren Ent¬ schluß gefaßt, ging sie quer über die Gasse zu ihrem Vetter mütterlicherseits, der an die Fellahs der Umgegend Geld verlieh. Sie fragte ihn, ob er alles,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/617
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/617>, abgerufen am 24.08.2024.