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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Mie Lrmina L^alten über das große Wasser kam

Turban um die Knabenköpfe, jeder mit seinem kleinen Messingbecken, das er
klirrend über der Räucherpfanne zusammenschlug, so oft Abu Girgis drinnen
hinter dem allerheiligsten Vorhang die Namen des Höchsten nannte.

Nun aber waren sie von ihr fortgereist -- längst -- alle Vier -- Simon,
der Älteste zuletzt. Und jetzt war sie auf dem Wege zu ihnen -- über das
große Wasser!

Der italienische Dampfer der --Alexandria-Linie beschreibt seine
Route ziemlich planmäßig, -- insoweit irgend etwas Italienisch-Ägyptisches
Plan hat! Wenigstens war sie ohne Mühe an Bord gekommen. Ein Steward
hatte den großen Beutel Piaster und Schillinge, den sie am Gürtel trug, gegen
italienische Lire umgewechselt. Er war entschlossen, sich für seine Mühe bezahlt
zu machen, indem er ihr drei Pfund zu wenig gab. Als er aber sah, daß sie
das Geld gar nicht nachzahlte, wurde er wankend, ob er noch zwei Pfund Profit
nehmen oder ihr zwei Pfund von den dreien zurückgeben solle. Aber noch
während er sich bedachte, steckte seine Hand ihr unwillkürlich die ganzen drei
Pfund zu, und er wußte selbst kaum, ob er sich über seine Uneigennützigkeit
freuen oder ärgern sollte.

Er wies sie hinauf nach dem Steuermann, weil sie noch kein Billet hatte.
Es war ein neues Schiff der Linie und niemand konnte ihr Arabisch so recht
verstehen. Der Steuermann sah sie fragend an und sie nickte ihm hinter dem
schwarzen Schleier des Habarah ruhig lächelnd zu.

Er versuchte sein bißchen Arabisch an den Mann zu bringen:

"Luli lÄitiÄ kSn? -- Wohin, oh Weib?"

Sie hob das Antlitz, vor Freude strahlend, daß sie ihn verstand; ihre
Hände waren unter der Brust gefaltet.

"Zu Simon in New Aork!" sagte sie.

Der Steuermann riß die Augen auf. Simon in New Jork! Großer
MohÄmed! Er fuchtelte mit den Fingern erklärend vor ihren Augen
umher und hackte auf italienisch und arabisch drauf los: ,ML^i8Lk ^exv VorK!
Nicht die Spur New Jork! Dieses Schiff Messina! I^uscli Kanari -- nicht
weiter. Fertig! Kak^s!"

Aber sie sah ihn mit ihrem unerschütterlichen Lächeln an und wiederholte,
während sie ihm das Geld in die Hand zählte: "Zu Simon in New Uo^-
Wieviel?"

Da zuckte er die Achseln und gab ihr ein Billet nach Messina. nahm
aus ihrer Hand den Betrag des Reisebillets -- und keinen einzigen Soldo
darüber! -- und wies sie achterwärts in die Kajüte zweiter Klasse. Dann
aber blickte er ihr lange und nachdenklich nach und konnte sie nicht gleich aus
den Gedanken bringen. Er schüttelte den Kopf und strich seinen pomadisierten
Spitzbart. Simon in New York! "Beim Bart des Propheten! Nach Gehenna
kommt sie und nicht nach New Uork!" Wahrhaftig, es war Zeit, daß Italien
Afrika zivilisierte! Beile! Jedenfalls wollte er sie im Auge behalten, bis sie


Mie Lrmina L^alten über das große Wasser kam

Turban um die Knabenköpfe, jeder mit seinem kleinen Messingbecken, das er
klirrend über der Räucherpfanne zusammenschlug, so oft Abu Girgis drinnen
hinter dem allerheiligsten Vorhang die Namen des Höchsten nannte.

Nun aber waren sie von ihr fortgereist — längst — alle Vier — Simon,
der Älteste zuletzt. Und jetzt war sie auf dem Wege zu ihnen — über das
große Wasser!

Der italienische Dampfer der —Alexandria-Linie beschreibt seine
Route ziemlich planmäßig, — insoweit irgend etwas Italienisch-Ägyptisches
Plan hat! Wenigstens war sie ohne Mühe an Bord gekommen. Ein Steward
hatte den großen Beutel Piaster und Schillinge, den sie am Gürtel trug, gegen
italienische Lire umgewechselt. Er war entschlossen, sich für seine Mühe bezahlt
zu machen, indem er ihr drei Pfund zu wenig gab. Als er aber sah, daß sie
das Geld gar nicht nachzahlte, wurde er wankend, ob er noch zwei Pfund Profit
nehmen oder ihr zwei Pfund von den dreien zurückgeben solle. Aber noch
während er sich bedachte, steckte seine Hand ihr unwillkürlich die ganzen drei
Pfund zu, und er wußte selbst kaum, ob er sich über seine Uneigennützigkeit
freuen oder ärgern sollte.

Er wies sie hinauf nach dem Steuermann, weil sie noch kein Billet hatte.
Es war ein neues Schiff der Linie und niemand konnte ihr Arabisch so recht
verstehen. Der Steuermann sah sie fragend an und sie nickte ihm hinter dem
schwarzen Schleier des Habarah ruhig lächelnd zu.

Er versuchte sein bißchen Arabisch an den Mann zu bringen:

„Luli lÄitiÄ kSn? — Wohin, oh Weib?"

Sie hob das Antlitz, vor Freude strahlend, daß sie ihn verstand; ihre
Hände waren unter der Brust gefaltet.

„Zu Simon in New Aork!" sagte sie.

Der Steuermann riß die Augen auf. Simon in New Jork! Großer
MohÄmed! Er fuchtelte mit den Fingern erklärend vor ihren Augen
umher und hackte auf italienisch und arabisch drauf los: ,ML^i8Lk ^exv VorK!
Nicht die Spur New Jork! Dieses Schiff Messina! I^uscli Kanari — nicht
weiter. Fertig! Kak^s!"

Aber sie sah ihn mit ihrem unerschütterlichen Lächeln an und wiederholte,
während sie ihm das Geld in die Hand zählte: „Zu Simon in New Uo^-
Wieviel?"

Da zuckte er die Achseln und gab ihr ein Billet nach Messina. nahm
aus ihrer Hand den Betrag des Reisebillets — und keinen einzigen Soldo
darüber! — und wies sie achterwärts in die Kajüte zweiter Klasse. Dann
aber blickte er ihr lange und nachdenklich nach und konnte sie nicht gleich aus
den Gedanken bringen. Er schüttelte den Kopf und strich seinen pomadisierten
Spitzbart. Simon in New York! „Beim Bart des Propheten! Nach Gehenna
kommt sie und nicht nach New Uork!" Wahrhaftig, es war Zeit, daß Italien
Afrika zivilisierte! Beile! Jedenfalls wollte er sie im Auge behalten, bis sie


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[0616] Mie Lrmina L^alten über das große Wasser kam Turban um die Knabenköpfe, jeder mit seinem kleinen Messingbecken, das er klirrend über der Räucherpfanne zusammenschlug, so oft Abu Girgis drinnen hinter dem allerheiligsten Vorhang die Namen des Höchsten nannte. Nun aber waren sie von ihr fortgereist — längst — alle Vier — Simon, der Älteste zuletzt. Und jetzt war sie auf dem Wege zu ihnen — über das große Wasser! Der italienische Dampfer der —Alexandria-Linie beschreibt seine Route ziemlich planmäßig, — insoweit irgend etwas Italienisch-Ägyptisches Plan hat! Wenigstens war sie ohne Mühe an Bord gekommen. Ein Steward hatte den großen Beutel Piaster und Schillinge, den sie am Gürtel trug, gegen italienische Lire umgewechselt. Er war entschlossen, sich für seine Mühe bezahlt zu machen, indem er ihr drei Pfund zu wenig gab. Als er aber sah, daß sie das Geld gar nicht nachzahlte, wurde er wankend, ob er noch zwei Pfund Profit nehmen oder ihr zwei Pfund von den dreien zurückgeben solle. Aber noch während er sich bedachte, steckte seine Hand ihr unwillkürlich die ganzen drei Pfund zu, und er wußte selbst kaum, ob er sich über seine Uneigennützigkeit freuen oder ärgern sollte. Er wies sie hinauf nach dem Steuermann, weil sie noch kein Billet hatte. Es war ein neues Schiff der Linie und niemand konnte ihr Arabisch so recht verstehen. Der Steuermann sah sie fragend an und sie nickte ihm hinter dem schwarzen Schleier des Habarah ruhig lächelnd zu. Er versuchte sein bißchen Arabisch an den Mann zu bringen: „Luli lÄitiÄ kSn? — Wohin, oh Weib?" Sie hob das Antlitz, vor Freude strahlend, daß sie ihn verstand; ihre Hände waren unter der Brust gefaltet. „Zu Simon in New Aork!" sagte sie. Der Steuermann riß die Augen auf. Simon in New Jork! Großer MohÄmed! Er fuchtelte mit den Fingern erklärend vor ihren Augen umher und hackte auf italienisch und arabisch drauf los: ,ML^i8Lk ^exv VorK! Nicht die Spur New Jork! Dieses Schiff Messina! I^uscli Kanari — nicht weiter. Fertig! Kak^s!" Aber sie sah ihn mit ihrem unerschütterlichen Lächeln an und wiederholte, während sie ihm das Geld in die Hand zählte: „Zu Simon in New Uo^- Wieviel?" Da zuckte er die Achseln und gab ihr ein Billet nach Messina. nahm aus ihrer Hand den Betrag des Reisebillets — und keinen einzigen Soldo darüber! — und wies sie achterwärts in die Kajüte zweiter Klasse. Dann aber blickte er ihr lange und nachdenklich nach und konnte sie nicht gleich aus den Gedanken bringen. Er schüttelte den Kopf und strich seinen pomadisierten Spitzbart. Simon in New York! „Beim Bart des Propheten! Nach Gehenna kommt sie und nicht nach New Uork!" Wahrhaftig, es war Zeit, daß Italien Afrika zivilisierte! Beile! Jedenfalls wollte er sie im Auge behalten, bis sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/616>, abgerufen am 24.08.2024.