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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

sache solchen Benehmens ist ein feines und
richtiges ästhetisches Empfinden, das davor
zurückschreckt, bedeutende Dichtungen von
Künstlern , bebildert zu sehen, die in das Wesen
der Dichtung gar nicht eingedrungen sind,
oder es nicht stilgerecht in ihrem Ausdrucks"
gebiete zu offenbaren vermögen. Um so
stärker ist aber darum die Zustimmung der
wirklichen Bücherliebhaber, wenn einmal
Dichter und Illustrator Wahlverwandte,
Schaffende von gleichem Wesen und Stil,
Streben und Lebensgehalt, jeder in seiner
Kunstform, sind. Dieser Fall, der die
Jllustration einer Dichtung zu einem hohen
Genusse steigert, tritt im allgemeinen recht
selten ein, ja so selten, daß in der Zeit, da
das illustrierte Buch modisch beliebt war, der
wahre Literaturfreund nur mit heiligem Miß-
trauen zu den bildergeschmückten Bänden griff.
Eine Wandlung ist in dieser Hinsicht durch
die jüngste ästhetische Buchkunstbewegung
zweifellos eingetreten, wenn auch neuerdings
sich wieder eine lei6)tfertige Jllustrierung aus
rein geschäftlichen Gründen bemerkbar macht,
der scharf entgegenzutreten ist. Denn es
muß zu jeder Zeit -- und noch ganz be-
sonders in Epochen des Stilüberganges --
an dem Grundsätze festgehalten werden, daß
Zeichner wie Dichter Wahlverwandte im Sti
und Charakter, im Persönlichen wie im Welt-
Verhältnis seien. Jeder Dichter, der solche
Illustrator begegnet, kann sich glücklich schätzen
Denn sein Werk kann durch die Bilderbeigabe
für den Durchschnittsleser schon allein infolg
der augenfälligen Veranschaulichung, für de
Kenner infolge der hin und her spielende
Reize zwischen Zeichnung und Wort nur ge
wirren. Dickens erfuhr diese Freude dur
die Meister Phiz, Markise, Cruikshank u.a.
noch heute wird man deren Illustratione
mcht entbehren wollen, wenn man sie ein
mal während der Lektüre zur Hand ge
nommer hat; ebenso ergeht es einem be
P. Grotjohann und Wilhelm Raabe u. a.
Zahlreich sind diese auf gleicher Straße Mar
fchierenden nicht, besonders kennt die Gegen
wart nur ganz wenige.
Jetzt ist Gustav Frenssens "Jör
Abt" das Glück zuteil geworden, das einige
Werken Raabes -- etwa dem "Horacker"
begegnete. Soeben kommt in der G. Grote[Spaltenumbruch]
schen Verlagsbuchhandlung (Berlin) eine
eigenartig gebundene große Folioausgabe
des am meisten gelesenen und gekauften
Romans des zwanzigsten Jahrhunderts heraus;
sie ist Prächtig mit mehr als hundert Bildern
geschmückt. (Preis gebunden 20 Mark, Luxus¬
aufgäbe 60 Mark.) Professor Bernhard
Winter ist der Illustrator,
Bereits nach dein Umblättern nur weniger
Seiten stellt man fest, daß der "Jörn Abt"
allein so und nie anders bebildert werden
durfte. Es besteht eine im höchsten Grade
überraschende Übereinstimmung zwischen Dich-
tung und Zeichnung. Wenn man sich der
Technik des Romanes erinnert -- einer
peinlich-sorgsam arbeitenden Mosaik- und
Jmpressionentechnik -- freut man sich über
Bernhard Winters Tat. Er wählte die
Federzeichnung in Tusche. Einen Riesenfleitz
verwandte er rein äußerlich auf die Bilder,
Man muß einmal beobachten, mit Welch
tausendfältiger Strichreihung und -kreuzung
Form, Gestalt und Ausdruck gewonnen
werden. Da hat kein flüchtiger Illustrator
nach irgendwelchen Plötzlichen und raschen
Einfällen gearbeitet, sondern ein Künstler,
der jedes Phantasieprodukt merklich bis ans
Ende ausreifen läßt, um die beste, die letzte
Fassung zu geben. Winter hat den Roman
"Jörn Abt" wahrhaftig nicht durch Zufall
oder infolge einer geschäftlichen Anregung
illustriert: ihn hat es ini Innern gedrängt
und getrieben, die Welt der Dichtung als
Zeichner nach bestem Wissen und Willen,
Können und Schauen nach- und neuzugestalten.
Er, der Oldenburger Ostfriese, ging nach
Dithmarschen, lebte und strebte lange Monate
mit den Bauern, fühlte sich ein in die eigen-
artige Landschaft, in Charakter und Lebens-
art ihrer Bewohner. Als Bauernmaler Ost-
frieslands hatte er von vornherein den Blick
für daS besondere und charakteristische der
Dithmarschen. Als Mensch und Künstler
fühlte er sich Frenssen, dem Menschen und
Dichter, innerlich verwandt, so daß er auch
im Urteilen und Abtrennen der Einzelheiten
vom Ganzen mit dem Heimatssohne gleichen
Weg ging. Er traf deshalb überall das,
was den Wert des "Jörn Abt" für jetzt und
immer ausmacht, sowohl das Kulturhistorische
-- denn der Roman stellt eine Lebens- und
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sache solchen Benehmens ist ein feines und
richtiges ästhetisches Empfinden, das davor
zurückschreckt, bedeutende Dichtungen von
Künstlern , bebildert zu sehen, die in das Wesen
der Dichtung gar nicht eingedrungen sind,
oder es nicht stilgerecht in ihrem Ausdrucks»
gebiete zu offenbaren vermögen. Um so
stärker ist aber darum die Zustimmung der
wirklichen Bücherliebhaber, wenn einmal
Dichter und Illustrator Wahlverwandte,
Schaffende von gleichem Wesen und Stil,
Streben und Lebensgehalt, jeder in seiner
Kunstform, sind. Dieser Fall, der die
Jllustration einer Dichtung zu einem hohen
Genusse steigert, tritt im allgemeinen recht
selten ein, ja so selten, daß in der Zeit, da
das illustrierte Buch modisch beliebt war, der
wahre Literaturfreund nur mit heiligem Miß-
trauen zu den bildergeschmückten Bänden griff.
Eine Wandlung ist in dieser Hinsicht durch
die jüngste ästhetische Buchkunstbewegung
zweifellos eingetreten, wenn auch neuerdings
sich wieder eine lei6)tfertige Jllustrierung aus
rein geschäftlichen Gründen bemerkbar macht,
der scharf entgegenzutreten ist. Denn es
muß zu jeder Zeit — und noch ganz be-
sonders in Epochen des Stilüberganges —
an dem Grundsätze festgehalten werden, daß
Zeichner wie Dichter Wahlverwandte im Sti
und Charakter, im Persönlichen wie im Welt-
Verhältnis seien. Jeder Dichter, der solche
Illustrator begegnet, kann sich glücklich schätzen
Denn sein Werk kann durch die Bilderbeigabe
für den Durchschnittsleser schon allein infolg
der augenfälligen Veranschaulichung, für de
Kenner infolge der hin und her spielende
Reize zwischen Zeichnung und Wort nur ge
wirren. Dickens erfuhr diese Freude dur
die Meister Phiz, Markise, Cruikshank u.a.
noch heute wird man deren Illustratione
mcht entbehren wollen, wenn man sie ein
mal während der Lektüre zur Hand ge
nommer hat; ebenso ergeht es einem be
P. Grotjohann und Wilhelm Raabe u. a.
Zahlreich sind diese auf gleicher Straße Mar
fchierenden nicht, besonders kennt die Gegen
wart nur ganz wenige.
Jetzt ist Gustav Frenssens „Jör
Abt" das Glück zuteil geworden, das einige
Werken Raabes — etwa dem „Horacker"
begegnete. Soeben kommt in der G. Grote[Spaltenumbruch]
schen Verlagsbuchhandlung (Berlin) eine
eigenartig gebundene große Folioausgabe
des am meisten gelesenen und gekauften
Romans des zwanzigsten Jahrhunderts heraus;
sie ist Prächtig mit mehr als hundert Bildern
geschmückt. (Preis gebunden 20 Mark, Luxus¬
aufgäbe 60 Mark.) Professor Bernhard
Winter ist der Illustrator,
Bereits nach dein Umblättern nur weniger
Seiten stellt man fest, daß der „Jörn Abt"
allein so und nie anders bebildert werden
durfte. Es besteht eine im höchsten Grade
überraschende Übereinstimmung zwischen Dich-
tung und Zeichnung. Wenn man sich der
Technik des Romanes erinnert — einer
peinlich-sorgsam arbeitenden Mosaik- und
Jmpressionentechnik — freut man sich über
Bernhard Winters Tat. Er wählte die
Federzeichnung in Tusche. Einen Riesenfleitz
verwandte er rein äußerlich auf die Bilder,
Man muß einmal beobachten, mit Welch
tausendfältiger Strichreihung und -kreuzung
Form, Gestalt und Ausdruck gewonnen
werden. Da hat kein flüchtiger Illustrator
nach irgendwelchen Plötzlichen und raschen
Einfällen gearbeitet, sondern ein Künstler,
der jedes Phantasieprodukt merklich bis ans
Ende ausreifen läßt, um die beste, die letzte
Fassung zu geben. Winter hat den Roman
„Jörn Abt" wahrhaftig nicht durch Zufall
oder infolge einer geschäftlichen Anregung
illustriert: ihn hat es ini Innern gedrängt
und getrieben, die Welt der Dichtung als
Zeichner nach bestem Wissen und Willen,
Können und Schauen nach- und neuzugestalten.
Er, der Oldenburger Ostfriese, ging nach
Dithmarschen, lebte und strebte lange Monate
mit den Bauern, fühlte sich ein in die eigen-
artige Landschaft, in Charakter und Lebens-
art ihrer Bewohner. Als Bauernmaler Ost-
frieslands hatte er von vornherein den Blick
für daS besondere und charakteristische der
Dithmarschen. Als Mensch und Künstler
fühlte er sich Frenssen, dem Menschen und
Dichter, innerlich verwandt, so daß er auch
im Urteilen und Abtrennen der Einzelheiten
vom Ganzen mit dem Heimatssohne gleichen
Weg ging. Er traf deshalb überall das,
was den Wert des „Jörn Abt" für jetzt und
immer ausmacht, sowohl das Kulturhistorische
— denn der Roman stellt eine Lebens- und
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[0593] Maßgebliches und Unmaßgebliches sache solchen Benehmens ist ein feines und richtiges ästhetisches Empfinden, das davor zurückschreckt, bedeutende Dichtungen von Künstlern , bebildert zu sehen, die in das Wesen der Dichtung gar nicht eingedrungen sind, oder es nicht stilgerecht in ihrem Ausdrucks» gebiete zu offenbaren vermögen. Um so stärker ist aber darum die Zustimmung der wirklichen Bücherliebhaber, wenn einmal Dichter und Illustrator Wahlverwandte, Schaffende von gleichem Wesen und Stil, Streben und Lebensgehalt, jeder in seiner Kunstform, sind. Dieser Fall, der die Jllustration einer Dichtung zu einem hohen Genusse steigert, tritt im allgemeinen recht selten ein, ja so selten, daß in der Zeit, da das illustrierte Buch modisch beliebt war, der wahre Literaturfreund nur mit heiligem Miß- trauen zu den bildergeschmückten Bänden griff. Eine Wandlung ist in dieser Hinsicht durch die jüngste ästhetische Buchkunstbewegung zweifellos eingetreten, wenn auch neuerdings sich wieder eine lei6)tfertige Jllustrierung aus rein geschäftlichen Gründen bemerkbar macht, der scharf entgegenzutreten ist. Denn es muß zu jeder Zeit — und noch ganz be- sonders in Epochen des Stilüberganges — an dem Grundsätze festgehalten werden, daß Zeichner wie Dichter Wahlverwandte im Sti und Charakter, im Persönlichen wie im Welt- Verhältnis seien. Jeder Dichter, der solche Illustrator begegnet, kann sich glücklich schätzen Denn sein Werk kann durch die Bilderbeigabe für den Durchschnittsleser schon allein infolg der augenfälligen Veranschaulichung, für de Kenner infolge der hin und her spielende Reize zwischen Zeichnung und Wort nur ge wirren. Dickens erfuhr diese Freude dur die Meister Phiz, Markise, Cruikshank u.a. noch heute wird man deren Illustratione mcht entbehren wollen, wenn man sie ein mal während der Lektüre zur Hand ge nommer hat; ebenso ergeht es einem be P. Grotjohann und Wilhelm Raabe u. a. Zahlreich sind diese auf gleicher Straße Mar fchierenden nicht, besonders kennt die Gegen wart nur ganz wenige. Jetzt ist Gustav Frenssens „Jör Abt" das Glück zuteil geworden, das einige Werken Raabes — etwa dem „Horacker" begegnete. Soeben kommt in der G. Grote schen Verlagsbuchhandlung (Berlin) eine eigenartig gebundene große Folioausgabe des am meisten gelesenen und gekauften Romans des zwanzigsten Jahrhunderts heraus; sie ist Prächtig mit mehr als hundert Bildern geschmückt. (Preis gebunden 20 Mark, Luxus¬ aufgäbe 60 Mark.) Professor Bernhard Winter ist der Illustrator, Bereits nach dein Umblättern nur weniger Seiten stellt man fest, daß der „Jörn Abt" allein so und nie anders bebildert werden durfte. Es besteht eine im höchsten Grade überraschende Übereinstimmung zwischen Dich- tung und Zeichnung. Wenn man sich der Technik des Romanes erinnert — einer peinlich-sorgsam arbeitenden Mosaik- und Jmpressionentechnik — freut man sich über Bernhard Winters Tat. Er wählte die Federzeichnung in Tusche. Einen Riesenfleitz verwandte er rein äußerlich auf die Bilder, Man muß einmal beobachten, mit Welch tausendfältiger Strichreihung und -kreuzung Form, Gestalt und Ausdruck gewonnen werden. Da hat kein flüchtiger Illustrator nach irgendwelchen Plötzlichen und raschen Einfällen gearbeitet, sondern ein Künstler, der jedes Phantasieprodukt merklich bis ans Ende ausreifen läßt, um die beste, die letzte Fassung zu geben. Winter hat den Roman „Jörn Abt" wahrhaftig nicht durch Zufall oder infolge einer geschäftlichen Anregung illustriert: ihn hat es ini Innern gedrängt und getrieben, die Welt der Dichtung als Zeichner nach bestem Wissen und Willen, Können und Schauen nach- und neuzugestalten. Er, der Oldenburger Ostfriese, ging nach Dithmarschen, lebte und strebte lange Monate mit den Bauern, fühlte sich ein in die eigen- artige Landschaft, in Charakter und Lebens- art ihrer Bewohner. Als Bauernmaler Ost- frieslands hatte er von vornherein den Blick für daS besondere und charakteristische der Dithmarschen. Als Mensch und Künstler fühlte er sich Frenssen, dem Menschen und Dichter, innerlich verwandt, so daß er auch im Urteilen und Abtrennen der Einzelheiten vom Ganzen mit dem Heimatssohne gleichen Weg ging. Er traf deshalb überall das, was den Wert des „Jörn Abt" für jetzt und immer ausmacht, sowohl das Kulturhistorische — denn der Roman stellt eine Lebens- und l m , n e n n - ch ; n - - i in. - - n n — -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/593>, abgerufen am 28.07.2024.