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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus

da ich einen weiten Weg hinter mir habe, wirst du nicht böse sein, wenn ich
mich mit einem kleinen Schluck erfrische."

Damit nahm er das Glas und setzte es an den Mund, und ehe Augustus
ihn zurückhalten konnte, hob er es hoch und trank es in einem raschen Zuge aus.

Augustus war todesbleich geworden. Er stürzte auf den Paten los, schüttelte
ihn an den Schultern und schrie gellend: "Alter Mann, weißt du, was du da
getrunken hast?"

Herr Binßwanger nickte mit dem klugen grauen Kopf und lächelte. "Es
ist Crwerwein, wie ich sehe, und er ist nicht schlecht. Mangel scheinst du nicht
zu leiden. Aber ich habe wenig Zeit und will dich nicht lange belästigen, wenn
du mich anhören magst."

Der verstörte Mensch sah dem Paten mit Entsetzen in die hellen Augen
und erwartete von Augenblick zu Augenblick ihn niedersinken zu sehen.

Der Pate setzte sich indessen mit Behagen auf einen Stuhl und nickte seinem
jungen Freunde gütig zu.

"Hast du Sorge, der Schluck Wein könnte mir schaden? Da sei nur ruhig!
Es ist freundlich von dir, daß du Sorge um mich hast, ich hätte es gar nicht
vermutet. Aber jetzt laß uns einmal reden wie in der alten Zeit! Mir scheint,
du hast das leichte Leben satt bekommen? Das kann ich verstehen, und wenn
ich weggehe, kannst du ja dein Glas wieder voll machen und austrinken. Aber
vorher muß ich dir etwas erzählen."

Augustus lehnte sich an die Wand und horchte auf die gute, wohlige
Stimme des uralten Männleins, die ihm von Kinderzeiten her vertraut war
und die Schatten der Vergangenheit in seiner Seele wachrief. Eine tiefe Scham
und Trauer ergriff ihn. als sähe er seiner eigenen unschuldigen Kindheit in die
hellen Augen.

"Dein Gift habe ich ausgetrunken." fuhr der Alte fort, "weil ich es bin.
der an deinem Elend schuldig ist. Deine Mutter hat bei deiner Taufe einen
Wunsch für dich getan, und ich habe ihr den Wunsch erfüllt, obwohl er töricht
war. Du brauchst ihn nicht zu kennen, er ist ein Fluch geworden, wie du ja
selber gespürt hast. Es tut mir leid, daß es so gegangen ist, und es möchte
mich wohl freuen, wenn ich es noch erlebte, daß du einmal wieder bei mir
daheim vor dem Kamine sitzest und die Engel singen hörst. Das ist nicht leicht,
und im Augenblick scheint es dir vielleicht unmöglich, daß dein Herz je wieder
so gesund und rein und heiter werden könne. Es ist aber möglich, und ich
möchte dich bitten, es zu versuchen. Der Wunsch deiner armen Mutter ist dir
schlecht bekommen, Augustus. Wie wäre es nun, wenn du mir erlaubtest, auch
dir noch einen Wunsch zu erfüllen, irgendeinen? Du wirst ja wohl nicht Geld
und Gut begehren, und auch nicht Macht und Frauenliebe, davon du genug
gehabt hast. Besinne dich, und wenn du meinst einen Zauber zu wissen, der dein
verdorbenes Leben wieder schöner und besser und dich wieder einmal froh machen
könnte, dann wünsche ihn dir!"


Augustus

da ich einen weiten Weg hinter mir habe, wirst du nicht böse sein, wenn ich
mich mit einem kleinen Schluck erfrische."

Damit nahm er das Glas und setzte es an den Mund, und ehe Augustus
ihn zurückhalten konnte, hob er es hoch und trank es in einem raschen Zuge aus.

Augustus war todesbleich geworden. Er stürzte auf den Paten los, schüttelte
ihn an den Schultern und schrie gellend: „Alter Mann, weißt du, was du da
getrunken hast?"

Herr Binßwanger nickte mit dem klugen grauen Kopf und lächelte. „Es
ist Crwerwein, wie ich sehe, und er ist nicht schlecht. Mangel scheinst du nicht
zu leiden. Aber ich habe wenig Zeit und will dich nicht lange belästigen, wenn
du mich anhören magst."

Der verstörte Mensch sah dem Paten mit Entsetzen in die hellen Augen
und erwartete von Augenblick zu Augenblick ihn niedersinken zu sehen.

Der Pate setzte sich indessen mit Behagen auf einen Stuhl und nickte seinem
jungen Freunde gütig zu.

„Hast du Sorge, der Schluck Wein könnte mir schaden? Da sei nur ruhig!
Es ist freundlich von dir, daß du Sorge um mich hast, ich hätte es gar nicht
vermutet. Aber jetzt laß uns einmal reden wie in der alten Zeit! Mir scheint,
du hast das leichte Leben satt bekommen? Das kann ich verstehen, und wenn
ich weggehe, kannst du ja dein Glas wieder voll machen und austrinken. Aber
vorher muß ich dir etwas erzählen."

Augustus lehnte sich an die Wand und horchte auf die gute, wohlige
Stimme des uralten Männleins, die ihm von Kinderzeiten her vertraut war
und die Schatten der Vergangenheit in seiner Seele wachrief. Eine tiefe Scham
und Trauer ergriff ihn. als sähe er seiner eigenen unschuldigen Kindheit in die
hellen Augen.

„Dein Gift habe ich ausgetrunken." fuhr der Alte fort, „weil ich es bin.
der an deinem Elend schuldig ist. Deine Mutter hat bei deiner Taufe einen
Wunsch für dich getan, und ich habe ihr den Wunsch erfüllt, obwohl er töricht
war. Du brauchst ihn nicht zu kennen, er ist ein Fluch geworden, wie du ja
selber gespürt hast. Es tut mir leid, daß es so gegangen ist, und es möchte
mich wohl freuen, wenn ich es noch erlebte, daß du einmal wieder bei mir
daheim vor dem Kamine sitzest und die Engel singen hörst. Das ist nicht leicht,
und im Augenblick scheint es dir vielleicht unmöglich, daß dein Herz je wieder
so gesund und rein und heiter werden könne. Es ist aber möglich, und ich
möchte dich bitten, es zu versuchen. Der Wunsch deiner armen Mutter ist dir
schlecht bekommen, Augustus. Wie wäre es nun, wenn du mir erlaubtest, auch
dir noch einen Wunsch zu erfüllen, irgendeinen? Du wirst ja wohl nicht Geld
und Gut begehren, und auch nicht Macht und Frauenliebe, davon du genug
gehabt hast. Besinne dich, und wenn du meinst einen Zauber zu wissen, der dein
verdorbenes Leben wieder schöner und besser und dich wieder einmal froh machen
könnte, dann wünsche ihn dir!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/579>, abgerufen am 22.07.2024.