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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus

er verführte und verdarb. Kein Genuß, den er nicht suchte und erschöpfte;
kein Laster, das er nicht lernte und wieder wegwarf. Aber es war keine Freude
mehr in seinem Herzen, und von der Liebe, die ihm überall entgegen kam,
klang nichts in seiner Seele wider.

In einem schönen Landhaus am Meere wohnte er finster und verdrossen
und quälte die Frauen und die Freunde, die ihn dort besuchten, mit den tollsten
Launen und Bosheiten. Er sehnte sich danach, die Menschen zu erniedrigen
und ihnen alle Verachtung zu zeigen; er war es satt und überdrüssig, von
unerbetener, unverlangter, unverdienter Liebe umgeben zu sein, er fühlte tief
den Unwert seines vergeudeten und zerstörten Lebens, das nie gegeben und
immer nur genommen hatte. Manchmal hungerte er lange Zeit, nur um doch
wieder einmal ein rechtes Begehren zu fühlen und ein Verlangen stillen zu
können.

Es verbreitete sich unter seinen Freunden die Nachricht, er sei krank und
bedürfe der Ruhe und Einsamkeit. Es kamen Briefe, die er niemals las, und
besorgte Menschen fragten bei der Dienerschaft nach seinem Befinden. Er aber
saß allein und tief vergrämt im Saal über dem Meere, sein Leben lag leer
und verwüstet hinter ihm, unfruchtbar und ohne Spur der Liebe wie die graue
wogende Salzflut. Er sah häßlich aus, wie er da im Sessel am hohen Fenster
kauerte und mit sich selber Abrechnung hielt. Die weißen Möwen trieben im
Strandwinde vorüber, er folgte ihnen mit leeren Blicken, aus denen jede Freude
und jede Teilnahme verschwunden war. Nur seine Lippen lächelten hart und
böse, als er mit seinen Gedanken zu Ende war und dem Kammerdiener schellte.
Und nun ließ er alle seine Freunde auf einen bestimmten Tag zu einem Fest
einladen; seine Absicht aber war, die Ankommenden durch den Anblick eines
leeren Hauses und seiner eigenen Leiche zu erschrecken und zu verhöhnen. Denn
er war entschlossen, sich vorher mit Gift das Leben zu nehmen.

Am Abend nun vor dem vermeintlichen Fest sandte er seine ganze Diener¬
schaft aus dem Hause, daß es still in den großen Räumen wurde, und begab
sich in sein Schlafzimmer, mischte ein starkes Gift in ein Glas Cvpernwein und
setzte es an die Lippen.

Als er eben trinken wollte, wurde an seine Tür gepocht, und da er nicht
Antwort gab, ging die Tür auf und es trat ein kleiner alter Mann herein.
Der ging auf Augustus zu, nahm ihm sorglich das volle Glas aus den Händen und
sagte mit einer wohlbekannten Stimme: "Guten Abend, Augustus, wie geht es dir?"

Der überraschte, ärgerlich und auch beschämt, lächelte voll Spott und sagte:
"Herr Binßwanger, leben Sie auch noch? Es ist lange her, und Sie scheinen
wahrhaftig nicht älter geworden zu sein. Aber im Augenblick stören Sie hier
lieber Mann, ich bin müde und will eben einen Schlaftrunk nehmen."

"Das sehe ich," antwortete der Pate ruhig. "Du willst einen Schlaftrunk
nehmen, und du hast Recht, es ist dies der letzte Wein, der dir noch helfen
kann. Zuvor aber wollen wir einen Augenblick plaudern, mein Junge, und


Augustus

er verführte und verdarb. Kein Genuß, den er nicht suchte und erschöpfte;
kein Laster, das er nicht lernte und wieder wegwarf. Aber es war keine Freude
mehr in seinem Herzen, und von der Liebe, die ihm überall entgegen kam,
klang nichts in seiner Seele wider.

In einem schönen Landhaus am Meere wohnte er finster und verdrossen
und quälte die Frauen und die Freunde, die ihn dort besuchten, mit den tollsten
Launen und Bosheiten. Er sehnte sich danach, die Menschen zu erniedrigen
und ihnen alle Verachtung zu zeigen; er war es satt und überdrüssig, von
unerbetener, unverlangter, unverdienter Liebe umgeben zu sein, er fühlte tief
den Unwert seines vergeudeten und zerstörten Lebens, das nie gegeben und
immer nur genommen hatte. Manchmal hungerte er lange Zeit, nur um doch
wieder einmal ein rechtes Begehren zu fühlen und ein Verlangen stillen zu
können.

Es verbreitete sich unter seinen Freunden die Nachricht, er sei krank und
bedürfe der Ruhe und Einsamkeit. Es kamen Briefe, die er niemals las, und
besorgte Menschen fragten bei der Dienerschaft nach seinem Befinden. Er aber
saß allein und tief vergrämt im Saal über dem Meere, sein Leben lag leer
und verwüstet hinter ihm, unfruchtbar und ohne Spur der Liebe wie die graue
wogende Salzflut. Er sah häßlich aus, wie er da im Sessel am hohen Fenster
kauerte und mit sich selber Abrechnung hielt. Die weißen Möwen trieben im
Strandwinde vorüber, er folgte ihnen mit leeren Blicken, aus denen jede Freude
und jede Teilnahme verschwunden war. Nur seine Lippen lächelten hart und
böse, als er mit seinen Gedanken zu Ende war und dem Kammerdiener schellte.
Und nun ließ er alle seine Freunde auf einen bestimmten Tag zu einem Fest
einladen; seine Absicht aber war, die Ankommenden durch den Anblick eines
leeren Hauses und seiner eigenen Leiche zu erschrecken und zu verhöhnen. Denn
er war entschlossen, sich vorher mit Gift das Leben zu nehmen.

Am Abend nun vor dem vermeintlichen Fest sandte er seine ganze Diener¬
schaft aus dem Hause, daß es still in den großen Räumen wurde, und begab
sich in sein Schlafzimmer, mischte ein starkes Gift in ein Glas Cvpernwein und
setzte es an die Lippen.

Als er eben trinken wollte, wurde an seine Tür gepocht, und da er nicht
Antwort gab, ging die Tür auf und es trat ein kleiner alter Mann herein.
Der ging auf Augustus zu, nahm ihm sorglich das volle Glas aus den Händen und
sagte mit einer wohlbekannten Stimme: „Guten Abend, Augustus, wie geht es dir?"

Der überraschte, ärgerlich und auch beschämt, lächelte voll Spott und sagte:
„Herr Binßwanger, leben Sie auch noch? Es ist lange her, und Sie scheinen
wahrhaftig nicht älter geworden zu sein. Aber im Augenblick stören Sie hier
lieber Mann, ich bin müde und will eben einen Schlaftrunk nehmen."

„Das sehe ich," antwortete der Pate ruhig. „Du willst einen Schlaftrunk
nehmen, und du hast Recht, es ist dies der letzte Wein, der dir noch helfen
kann. Zuvor aber wollen wir einen Augenblick plaudern, mein Junge, und


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[0578] Augustus er verführte und verdarb. Kein Genuß, den er nicht suchte und erschöpfte; kein Laster, das er nicht lernte und wieder wegwarf. Aber es war keine Freude mehr in seinem Herzen, und von der Liebe, die ihm überall entgegen kam, klang nichts in seiner Seele wider. In einem schönen Landhaus am Meere wohnte er finster und verdrossen und quälte die Frauen und die Freunde, die ihn dort besuchten, mit den tollsten Launen und Bosheiten. Er sehnte sich danach, die Menschen zu erniedrigen und ihnen alle Verachtung zu zeigen; er war es satt und überdrüssig, von unerbetener, unverlangter, unverdienter Liebe umgeben zu sein, er fühlte tief den Unwert seines vergeudeten und zerstörten Lebens, das nie gegeben und immer nur genommen hatte. Manchmal hungerte er lange Zeit, nur um doch wieder einmal ein rechtes Begehren zu fühlen und ein Verlangen stillen zu können. Es verbreitete sich unter seinen Freunden die Nachricht, er sei krank und bedürfe der Ruhe und Einsamkeit. Es kamen Briefe, die er niemals las, und besorgte Menschen fragten bei der Dienerschaft nach seinem Befinden. Er aber saß allein und tief vergrämt im Saal über dem Meere, sein Leben lag leer und verwüstet hinter ihm, unfruchtbar und ohne Spur der Liebe wie die graue wogende Salzflut. Er sah häßlich aus, wie er da im Sessel am hohen Fenster kauerte und mit sich selber Abrechnung hielt. Die weißen Möwen trieben im Strandwinde vorüber, er folgte ihnen mit leeren Blicken, aus denen jede Freude und jede Teilnahme verschwunden war. Nur seine Lippen lächelten hart und böse, als er mit seinen Gedanken zu Ende war und dem Kammerdiener schellte. Und nun ließ er alle seine Freunde auf einen bestimmten Tag zu einem Fest einladen; seine Absicht aber war, die Ankommenden durch den Anblick eines leeren Hauses und seiner eigenen Leiche zu erschrecken und zu verhöhnen. Denn er war entschlossen, sich vorher mit Gift das Leben zu nehmen. Am Abend nun vor dem vermeintlichen Fest sandte er seine ganze Diener¬ schaft aus dem Hause, daß es still in den großen Räumen wurde, und begab sich in sein Schlafzimmer, mischte ein starkes Gift in ein Glas Cvpernwein und setzte es an die Lippen. Als er eben trinken wollte, wurde an seine Tür gepocht, und da er nicht Antwort gab, ging die Tür auf und es trat ein kleiner alter Mann herein. Der ging auf Augustus zu, nahm ihm sorglich das volle Glas aus den Händen und sagte mit einer wohlbekannten Stimme: „Guten Abend, Augustus, wie geht es dir?" Der überraschte, ärgerlich und auch beschämt, lächelte voll Spott und sagte: „Herr Binßwanger, leben Sie auch noch? Es ist lange her, und Sie scheinen wahrhaftig nicht älter geworden zu sein. Aber im Augenblick stören Sie hier lieber Mann, ich bin müde und will eben einen Schlaftrunk nehmen." „Das sehe ich," antwortete der Pate ruhig. „Du willst einen Schlaftrunk nehmen, und du hast Recht, es ist dies der letzte Wein, der dir noch helfen kann. Zuvor aber wollen wir einen Augenblick plaudern, mein Junge, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/578>, abgerufen am 22.07.2024.