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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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John Galsworthy, der Gpikcr und Dramatiker

Schwergewicht war eine Machtprobe, geeignet, die Selbstherrlichkeit und Selbst¬
vergötterung dieser Aristokratie von Geldes Gnaden zu befestigen. Nun gibt
es für sie auf der weiten Erde nichts, das nicht käuflich schiene -- denn nicht
käufliche abstrakte Werte werden negiert.

Konflikte ergeben sich, wenn die Kinder anderer Lebenskreise den Fuß auf
diesen engen Horizont setzen. Schön oder genial, wie sie sind, erscheinen sie
begehrenswert und der Beharrlichkeit eines Forsyte mag es glücken, sie hinab¬
zuziehen in die dichtere Atmosphäre, unbekümmert, daß ihnen hier die Lebens¬
luft geraubt wird. Für Daseinsbedingungen, deren Grundlage von denen der
Forsyte abweicht, fehlt diesen jedes Verständnis. So wird ihnen der Ver¬
zweiflungskampf der in ihrem Kreise Heimatlosen zur "unmöglichen Situation",
die man mit verständnislosen Achselzucken totschweigt.

Gleich dem Symbol eines solchen Gutes, das erkauft, aber nicht gewürdigt
wird, steht in jenem ersten Roman das Landhaus des "reichen Mannes",
Soames Forsyte, dessen Bau in einer großmütiger Laune dem genialen Archi¬
tekten Bosinney übertragen worden ist. Ein fremder und befremdender Gast ist
er in jenem festgefügten Familienkreise aufgetaucht, eingeführt als Verlobter der
jungen June, der Enkelin des Familienoberhauptes. Sie wie ihr Großvater
erscheinen wie Rebellen den anderen gegenüber. Dem greisen Jolyon, dem
Urheber all dieses soliden Reichtums, ist der Beginn des Aufstiegs noch gegen¬
wärtig. Er sieht, ungleich den anderen Familiengliedern, noch vor sich die vielen
Straßen, die vor ihm lagen und begreift zum mindesten in der Abenddämmerung
seines Lebens, daß sein eigener Sohn sich nicht in die Tradition des Namens
Forsyte zwängen ließ, sondern fernabliegende Wege ging -- fort ans einer
freudlosen Ehe. hinein in den Kampf mit dem Leben, zu dem er als Ausrüstung
nur die eigene Kraft mitbrachte. Seine im Familienhaufe zurückgelassene Tochter
ist seines Blutes. Am Arm des Erwählten ihres Herzens sucht sie sich aus der
Enge ins Freie zu retten, unbekümmert um den Spott der Ihren, die den
Architekten mit dem Spitznamen "der Seeräuber" bedenken. Aber der Gast aus
der anderen Welt findet im Kreise der Forsytes einen Gefährten, der mehr
noch wie June ihm gleichen Geistes ist. Neben Soames Forsyte lebt die lieb¬
reizende Irene in einer ihr durch beharrliches Werben aufgezwungenen Ehe,
die ihr nur Qual bringt. Und die beiden Geistesverwandten finden sich in
rasch auflodernder Leidenschaft. Diesem Konflikt gegenüber behauptet^ sich der
scharf ausgeprägte Eigentumssinn der Forsytes. Der beleidigte Gatte benutzt
eine Überschreitung des Kostenanschlags für sein Landhaus, die sich Bosinney
zuschulden kommen ließ, um ihn finanziell zu ruinieren, und June fordert
Irene zum ungleichen Kampf um den Geliebten heraus, den die unglückliche
Frau nicht wagen will. Sie entsagt. Aber Bosinney, den die scheinbar un¬
lösliche Verwirrung vorübergehend seiner Selbstbeherrschung beraubt hat, ist zu
jener Stunde schon tot; er ist, achtlos das Straßengetriebe durchstreifend, im
Nebel überfahren worden.


John Galsworthy, der Gpikcr und Dramatiker

Schwergewicht war eine Machtprobe, geeignet, die Selbstherrlichkeit und Selbst¬
vergötterung dieser Aristokratie von Geldes Gnaden zu befestigen. Nun gibt
es für sie auf der weiten Erde nichts, das nicht käuflich schiene — denn nicht
käufliche abstrakte Werte werden negiert.

Konflikte ergeben sich, wenn die Kinder anderer Lebenskreise den Fuß auf
diesen engen Horizont setzen. Schön oder genial, wie sie sind, erscheinen sie
begehrenswert und der Beharrlichkeit eines Forsyte mag es glücken, sie hinab¬
zuziehen in die dichtere Atmosphäre, unbekümmert, daß ihnen hier die Lebens¬
luft geraubt wird. Für Daseinsbedingungen, deren Grundlage von denen der
Forsyte abweicht, fehlt diesen jedes Verständnis. So wird ihnen der Ver¬
zweiflungskampf der in ihrem Kreise Heimatlosen zur „unmöglichen Situation",
die man mit verständnislosen Achselzucken totschweigt.

Gleich dem Symbol eines solchen Gutes, das erkauft, aber nicht gewürdigt
wird, steht in jenem ersten Roman das Landhaus des „reichen Mannes",
Soames Forsyte, dessen Bau in einer großmütiger Laune dem genialen Archi¬
tekten Bosinney übertragen worden ist. Ein fremder und befremdender Gast ist
er in jenem festgefügten Familienkreise aufgetaucht, eingeführt als Verlobter der
jungen June, der Enkelin des Familienoberhauptes. Sie wie ihr Großvater
erscheinen wie Rebellen den anderen gegenüber. Dem greisen Jolyon, dem
Urheber all dieses soliden Reichtums, ist der Beginn des Aufstiegs noch gegen¬
wärtig. Er sieht, ungleich den anderen Familiengliedern, noch vor sich die vielen
Straßen, die vor ihm lagen und begreift zum mindesten in der Abenddämmerung
seines Lebens, daß sein eigener Sohn sich nicht in die Tradition des Namens
Forsyte zwängen ließ, sondern fernabliegende Wege ging — fort ans einer
freudlosen Ehe. hinein in den Kampf mit dem Leben, zu dem er als Ausrüstung
nur die eigene Kraft mitbrachte. Seine im Familienhaufe zurückgelassene Tochter
ist seines Blutes. Am Arm des Erwählten ihres Herzens sucht sie sich aus der
Enge ins Freie zu retten, unbekümmert um den Spott der Ihren, die den
Architekten mit dem Spitznamen „der Seeräuber" bedenken. Aber der Gast aus
der anderen Welt findet im Kreise der Forsytes einen Gefährten, der mehr
noch wie June ihm gleichen Geistes ist. Neben Soames Forsyte lebt die lieb¬
reizende Irene in einer ihr durch beharrliches Werben aufgezwungenen Ehe,
die ihr nur Qual bringt. Und die beiden Geistesverwandten finden sich in
rasch auflodernder Leidenschaft. Diesem Konflikt gegenüber behauptet^ sich der
scharf ausgeprägte Eigentumssinn der Forsytes. Der beleidigte Gatte benutzt
eine Überschreitung des Kostenanschlags für sein Landhaus, die sich Bosinney
zuschulden kommen ließ, um ihn finanziell zu ruinieren, und June fordert
Irene zum ungleichen Kampf um den Geliebten heraus, den die unglückliche
Frau nicht wagen will. Sie entsagt. Aber Bosinney, den die scheinbar un¬
lösliche Verwirrung vorübergehend seiner Selbstbeherrschung beraubt hat, ist zu
jener Stunde schon tot; er ist, achtlos das Straßengetriebe durchstreifend, im
Nebel überfahren worden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/515>, abgerufen am 24.08.2024.