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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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John Galsworthy, der Lpiker und Dramatiker

will der Deutsche andere Töne hören als sie drüben bei den englischen Vettern
beliebt sind. Es schwatzen dort so viele, die nichts zu sagen haben. Da lauscht
man wohl leichter einer Stimme, die sich mit starken Eigentönen aus dem
feuilletonistischen Geplätscher heraushebt. In England ist es gegenwärtig sehr
viel leichter, eine Persönlichkeit von literarischem Ruf zu werden als bei uns.

Rascher als alle eben genannten Autoren hat sich der in diesem Winter
auch bei uns eingeführte John Galsworthy, Epiker und Dramatiker, Gehör
geschafft. Vor vier Jahren erst brachte der Tauchnitz-Verlag den zweibändigen
Roman "l'Ks Nan ok property" heraus, der sich noch heut, nachdem weitere
zwölf Werke von Galsworthy erschienen sind, an ihrer Spitze behauptet. In
lebendig umrissenen Porträts ziehen eine Reihe von Persönlichkeiten vorüber,
deren Bekanntschaft uns nicht allzu schätzenswert erscheint -- alle Mitglieder
der Familie Forsyte, ihrem Gemütsleben nach verkümmert, ihrer Stellung im
Gemeinwesen nach berufen, kraft eines skrupelloser Erwerbssinnes weitere Staffeln
des gesellschaftlichen Ansehens zu erklimmen. Die Forsytes -- an einer Stelle
wird bezeichnend genug der Familienname als Gattungsbegriff gebraucht --
repräsentieren einen Machtfaktor in der Kultur des modernen England, wie der
Dichter sie sieht. Denn auf das Sittengemälde kommt es bei jedem dieser
großzügigen Bücher an, und die Feinarbeit ihrer Kleinkunst, wie Galsworthy
sie nach dem Vorbilde der Viktorianischen Meister übt, gleicht dem Vibrieren
äußerster Nervenfäden, deren Zentralenergie das Geistesleben Englands ist.
Gestalten und Schilderungen jedes einzelnen in sich geschlossenen Werkes sowie
die Gesamtzahl der bisher geschaffenen Romane und Dramen fügen sich so zu
einer Kette.

Es ist schwer zu entscheiden, bis zu welchem Grade dies dem schaffenden
Künstler zum Bewußtsein gekommen ist; der fernerstehende Leser empfängt jeden¬
falls den Eindruck, als suche ein weitschauender Geist die Zufälligkeiten der
Erscheinungsformen in der Kultur des Jnselreiches auf ihre Fundamente zurück¬
zuführen, ihre unmittelbaren und künftigen Folgen für Individuum und All¬
gemeinheit zu übersehen und im künstlerischen Abbild alles harmonisch zusammen¬
zufassen und zu gestalten.

Längst haben Philosophen und Sozialpolitiker das Gegeneinanderspielen
kontrastierender Strömungen als bewegende Macht im Volksleben erkannt. Im
Rahmen des Kunstwerkes, das durch Auslese des Charakteristischen das Leben
stilisieren muß, erscheint dieser Kampf der Gegensätze viel schärfer und uner¬
bittlicher, weil seine Phasen sich zusammendrängen wie die Szenensolge eines
gut komponierten Dramas. Einem Vertreter der großen Familie Forsyte zu
begegnen, dürfte den wenigsten Persönlichkeiten andersartiger Veranlagung
auch nur eine Ahnung tragischer Konflikte einflößen können. Galsworthy in¬
dessen zeigt die Machtbewußten am Werk -- ein Parvenütum, das sich des
endlich erlangten Ansehens sicher fühlt, weil es jederzeit die Mittel in der Hand
hält, sich gegen Rivalen durchzusetzen. Schon sein Aufsteigen, sein finanzielles


John Galsworthy, der Lpiker und Dramatiker

will der Deutsche andere Töne hören als sie drüben bei den englischen Vettern
beliebt sind. Es schwatzen dort so viele, die nichts zu sagen haben. Da lauscht
man wohl leichter einer Stimme, die sich mit starken Eigentönen aus dem
feuilletonistischen Geplätscher heraushebt. In England ist es gegenwärtig sehr
viel leichter, eine Persönlichkeit von literarischem Ruf zu werden als bei uns.

Rascher als alle eben genannten Autoren hat sich der in diesem Winter
auch bei uns eingeführte John Galsworthy, Epiker und Dramatiker, Gehör
geschafft. Vor vier Jahren erst brachte der Tauchnitz-Verlag den zweibändigen
Roman „l'Ks Nan ok property" heraus, der sich noch heut, nachdem weitere
zwölf Werke von Galsworthy erschienen sind, an ihrer Spitze behauptet. In
lebendig umrissenen Porträts ziehen eine Reihe von Persönlichkeiten vorüber,
deren Bekanntschaft uns nicht allzu schätzenswert erscheint — alle Mitglieder
der Familie Forsyte, ihrem Gemütsleben nach verkümmert, ihrer Stellung im
Gemeinwesen nach berufen, kraft eines skrupelloser Erwerbssinnes weitere Staffeln
des gesellschaftlichen Ansehens zu erklimmen. Die Forsytes — an einer Stelle
wird bezeichnend genug der Familienname als Gattungsbegriff gebraucht —
repräsentieren einen Machtfaktor in der Kultur des modernen England, wie der
Dichter sie sieht. Denn auf das Sittengemälde kommt es bei jedem dieser
großzügigen Bücher an, und die Feinarbeit ihrer Kleinkunst, wie Galsworthy
sie nach dem Vorbilde der Viktorianischen Meister übt, gleicht dem Vibrieren
äußerster Nervenfäden, deren Zentralenergie das Geistesleben Englands ist.
Gestalten und Schilderungen jedes einzelnen in sich geschlossenen Werkes sowie
die Gesamtzahl der bisher geschaffenen Romane und Dramen fügen sich so zu
einer Kette.

Es ist schwer zu entscheiden, bis zu welchem Grade dies dem schaffenden
Künstler zum Bewußtsein gekommen ist; der fernerstehende Leser empfängt jeden¬
falls den Eindruck, als suche ein weitschauender Geist die Zufälligkeiten der
Erscheinungsformen in der Kultur des Jnselreiches auf ihre Fundamente zurück¬
zuführen, ihre unmittelbaren und künftigen Folgen für Individuum und All¬
gemeinheit zu übersehen und im künstlerischen Abbild alles harmonisch zusammen¬
zufassen und zu gestalten.

Längst haben Philosophen und Sozialpolitiker das Gegeneinanderspielen
kontrastierender Strömungen als bewegende Macht im Volksleben erkannt. Im
Rahmen des Kunstwerkes, das durch Auslese des Charakteristischen das Leben
stilisieren muß, erscheint dieser Kampf der Gegensätze viel schärfer und uner¬
bittlicher, weil seine Phasen sich zusammendrängen wie die Szenensolge eines
gut komponierten Dramas. Einem Vertreter der großen Familie Forsyte zu
begegnen, dürfte den wenigsten Persönlichkeiten andersartiger Veranlagung
auch nur eine Ahnung tragischer Konflikte einflößen können. Galsworthy in¬
dessen zeigt die Machtbewußten am Werk — ein Parvenütum, das sich des
endlich erlangten Ansehens sicher fühlt, weil es jederzeit die Mittel in der Hand
hält, sich gegen Rivalen durchzusetzen. Schon sein Aufsteigen, sein finanzielles


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[0514] John Galsworthy, der Lpiker und Dramatiker will der Deutsche andere Töne hören als sie drüben bei den englischen Vettern beliebt sind. Es schwatzen dort so viele, die nichts zu sagen haben. Da lauscht man wohl leichter einer Stimme, die sich mit starken Eigentönen aus dem feuilletonistischen Geplätscher heraushebt. In England ist es gegenwärtig sehr viel leichter, eine Persönlichkeit von literarischem Ruf zu werden als bei uns. Rascher als alle eben genannten Autoren hat sich der in diesem Winter auch bei uns eingeführte John Galsworthy, Epiker und Dramatiker, Gehör geschafft. Vor vier Jahren erst brachte der Tauchnitz-Verlag den zweibändigen Roman „l'Ks Nan ok property" heraus, der sich noch heut, nachdem weitere zwölf Werke von Galsworthy erschienen sind, an ihrer Spitze behauptet. In lebendig umrissenen Porträts ziehen eine Reihe von Persönlichkeiten vorüber, deren Bekanntschaft uns nicht allzu schätzenswert erscheint — alle Mitglieder der Familie Forsyte, ihrem Gemütsleben nach verkümmert, ihrer Stellung im Gemeinwesen nach berufen, kraft eines skrupelloser Erwerbssinnes weitere Staffeln des gesellschaftlichen Ansehens zu erklimmen. Die Forsytes — an einer Stelle wird bezeichnend genug der Familienname als Gattungsbegriff gebraucht — repräsentieren einen Machtfaktor in der Kultur des modernen England, wie der Dichter sie sieht. Denn auf das Sittengemälde kommt es bei jedem dieser großzügigen Bücher an, und die Feinarbeit ihrer Kleinkunst, wie Galsworthy sie nach dem Vorbilde der Viktorianischen Meister übt, gleicht dem Vibrieren äußerster Nervenfäden, deren Zentralenergie das Geistesleben Englands ist. Gestalten und Schilderungen jedes einzelnen in sich geschlossenen Werkes sowie die Gesamtzahl der bisher geschaffenen Romane und Dramen fügen sich so zu einer Kette. Es ist schwer zu entscheiden, bis zu welchem Grade dies dem schaffenden Künstler zum Bewußtsein gekommen ist; der fernerstehende Leser empfängt jeden¬ falls den Eindruck, als suche ein weitschauender Geist die Zufälligkeiten der Erscheinungsformen in der Kultur des Jnselreiches auf ihre Fundamente zurück¬ zuführen, ihre unmittelbaren und künftigen Folgen für Individuum und All¬ gemeinheit zu übersehen und im künstlerischen Abbild alles harmonisch zusammen¬ zufassen und zu gestalten. Längst haben Philosophen und Sozialpolitiker das Gegeneinanderspielen kontrastierender Strömungen als bewegende Macht im Volksleben erkannt. Im Rahmen des Kunstwerkes, das durch Auslese des Charakteristischen das Leben stilisieren muß, erscheint dieser Kampf der Gegensätze viel schärfer und uner¬ bittlicher, weil seine Phasen sich zusammendrängen wie die Szenensolge eines gut komponierten Dramas. Einem Vertreter der großen Familie Forsyte zu begegnen, dürfte den wenigsten Persönlichkeiten andersartiger Veranlagung auch nur eine Ahnung tragischer Konflikte einflößen können. Galsworthy in¬ dessen zeigt die Machtbewußten am Werk — ein Parvenütum, das sich des endlich erlangten Ansehens sicher fühlt, weil es jederzeit die Mittel in der Hand hält, sich gegen Rivalen durchzusetzen. Schon sein Aufsteigen, sein finanzielles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/514>, abgerufen am 02.10.2024.