Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Llchjagd

Waffen, gab durch Vinquisis Vermittlung die nötigen Erklärungen und ließ sie
draußen vor dem Hause ein paar Probeschüsse abgeben; ein alter Pferdeschädel
diente als Ziel. Infolge seiner starken Schußwirkung fand besonders das
zierliche, kleinkalibrige Mausergewehr ungelenke Bewunderung, nur den heftigen
Rückschlag verspürten sie als sehr unangenehm. AIs ich dann noch meinem
Staunen über ihre Treffsicherheit Ausdruck verlieh und ihnen Zigaretten anbot,
die einer als Kautabak zu verwerten für gut fand, war das beste Einvernehmen
hergestellt.

Es wurde Zeit zum Aufbruch. Gern verließen Vinquift und ich den mit
den übelsten Gerüchen geschwängerten, der vielköpfigen Pächterfamilie zugleich
als Küche, Wohn- und Schlafzimmer dienenden Saal. Kurz nach acht Uhr
marschierten wir ab. Ein Dahinstolpern und mühsames Stapfen auf tief auf¬
gefahrenen Ackerwegen, ein Gänsemarsch durch Wiesen und dürftige Felder --
dann nahmen uns die Wälder auf. Bald bildeten sich eine feste Marschordnung:
an der Spitze der axtbewassnete Riese, hinter ihm unser Jagdleiter, der Wild¬
dieb, eine kleine, zappelnde Puppe vor dem Rücken seines Vordermanns, dann
ich, Vinquift und die beiden Träger. Flink trippelten die Füße des Jägers
vor mir her in den festen, pelzverbrämten finnischen Schnabelschuhen, deren
Form mich stets seltsam exotisch anmutet und an die Verwandtschaft der Ur¬
einwohner dieses Landes mit den Mongolen erinnert. Welch eigenartig fremd¬
ländische Erscheinung überhaupt, dieser kleine Waldläufer, dieser Wilddieb mit
dem Kindesgemüt, wie er da vor mir einherklettert, mühelos jedes Hindernis
überwindend und aufmerksam nach allen Seiten ausschnuppernd! Einen
unglaublich alten, jedenfalls ganz unbrauchbaren Schießprügel trägt er auf der
Schulter, der Heuchler, und er weiß wohl warum! Aber alles Unschuldigtun
nützt ihm nichts. Wir kennen dich, Nnminnen, alter Sünder, und wissen um
dein lichtscheues Treiben! Doch soll es dir für heute und morgen verziehen
sein, wenn du dich als Jagdgenosse bewahrst!

Bald komme ich ab von solchen Reflexionen; die äußeren Schwierigkeiten
unseres Marsches lenken mein Augenmerk auf näherliegende Dinge. Schon
nach kurzer Zeit stoßen wir auf eine frische Elchspur, die Vinquift in Helles
Entzücken versetzt: ein prächtiges, starkes Tier, ein rechter Waldriese muß es
gewesen sein, der hier vor wenigen Stunden vorbeigekommen; gebrochene Äste
und zerknickte Bäumchen weisen seinen Weg. Durchs tiefste Dickicht führt uns
die Spur, dann durch ein mooriges Wasser. Drückende Schwüle lagert über
dem nassen Revier, Blasen aus Sumpfgas perlen in die Höhe, der Grnnd-
schlamm gluckst saugend unter unseren Sohlen; und von dem trüben, öligen
Naß, das uns stellenweise bis an die Hüften reicht, steigt, angenehm narkoti¬
sierend, ein weicher, süßlicher Dunst auf, der sich in den Kleidern festsetzt, um
uns aus dem ganzen Wege zu begleiten. Weiter -- durch Nadel- und Birken¬
wälder, über ausgedehnte Felsplatten, durch neue Sümpfe und Moräste, durch
wildromantische Schluchten mit südländisch üppigem Pflanzenwuchs -- weiter


Llchjagd

Waffen, gab durch Vinquisis Vermittlung die nötigen Erklärungen und ließ sie
draußen vor dem Hause ein paar Probeschüsse abgeben; ein alter Pferdeschädel
diente als Ziel. Infolge seiner starken Schußwirkung fand besonders das
zierliche, kleinkalibrige Mausergewehr ungelenke Bewunderung, nur den heftigen
Rückschlag verspürten sie als sehr unangenehm. AIs ich dann noch meinem
Staunen über ihre Treffsicherheit Ausdruck verlieh und ihnen Zigaretten anbot,
die einer als Kautabak zu verwerten für gut fand, war das beste Einvernehmen
hergestellt.

Es wurde Zeit zum Aufbruch. Gern verließen Vinquift und ich den mit
den übelsten Gerüchen geschwängerten, der vielköpfigen Pächterfamilie zugleich
als Küche, Wohn- und Schlafzimmer dienenden Saal. Kurz nach acht Uhr
marschierten wir ab. Ein Dahinstolpern und mühsames Stapfen auf tief auf¬
gefahrenen Ackerwegen, ein Gänsemarsch durch Wiesen und dürftige Felder —
dann nahmen uns die Wälder auf. Bald bildeten sich eine feste Marschordnung:
an der Spitze der axtbewassnete Riese, hinter ihm unser Jagdleiter, der Wild¬
dieb, eine kleine, zappelnde Puppe vor dem Rücken seines Vordermanns, dann
ich, Vinquift und die beiden Träger. Flink trippelten die Füße des Jägers
vor mir her in den festen, pelzverbrämten finnischen Schnabelschuhen, deren
Form mich stets seltsam exotisch anmutet und an die Verwandtschaft der Ur¬
einwohner dieses Landes mit den Mongolen erinnert. Welch eigenartig fremd¬
ländische Erscheinung überhaupt, dieser kleine Waldläufer, dieser Wilddieb mit
dem Kindesgemüt, wie er da vor mir einherklettert, mühelos jedes Hindernis
überwindend und aufmerksam nach allen Seiten ausschnuppernd! Einen
unglaublich alten, jedenfalls ganz unbrauchbaren Schießprügel trägt er auf der
Schulter, der Heuchler, und er weiß wohl warum! Aber alles Unschuldigtun
nützt ihm nichts. Wir kennen dich, Nnminnen, alter Sünder, und wissen um
dein lichtscheues Treiben! Doch soll es dir für heute und morgen verziehen
sein, wenn du dich als Jagdgenosse bewahrst!

Bald komme ich ab von solchen Reflexionen; die äußeren Schwierigkeiten
unseres Marsches lenken mein Augenmerk auf näherliegende Dinge. Schon
nach kurzer Zeit stoßen wir auf eine frische Elchspur, die Vinquift in Helles
Entzücken versetzt: ein prächtiges, starkes Tier, ein rechter Waldriese muß es
gewesen sein, der hier vor wenigen Stunden vorbeigekommen; gebrochene Äste
und zerknickte Bäumchen weisen seinen Weg. Durchs tiefste Dickicht führt uns
die Spur, dann durch ein mooriges Wasser. Drückende Schwüle lagert über
dem nassen Revier, Blasen aus Sumpfgas perlen in die Höhe, der Grnnd-
schlamm gluckst saugend unter unseren Sohlen; und von dem trüben, öligen
Naß, das uns stellenweise bis an die Hüften reicht, steigt, angenehm narkoti¬
sierend, ein weicher, süßlicher Dunst auf, der sich in den Kleidern festsetzt, um
uns aus dem ganzen Wege zu begleiten. Weiter — durch Nadel- und Birken¬
wälder, über ausgedehnte Felsplatten, durch neue Sümpfe und Moräste, durch
wildromantische Schluchten mit südländisch üppigem Pflanzenwuchs — weiter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327288"/>
          <fw type="header" place="top"> Llchjagd</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1865" prev="#ID_1864"> Waffen, gab durch Vinquisis Vermittlung die nötigen Erklärungen und ließ sie<lb/>
draußen vor dem Hause ein paar Probeschüsse abgeben; ein alter Pferdeschädel<lb/>
diente als Ziel. Infolge seiner starken Schußwirkung fand besonders das<lb/>
zierliche, kleinkalibrige Mausergewehr ungelenke Bewunderung, nur den heftigen<lb/>
Rückschlag verspürten sie als sehr unangenehm. AIs ich dann noch meinem<lb/>
Staunen über ihre Treffsicherheit Ausdruck verlieh und ihnen Zigaretten anbot,<lb/>
die einer als Kautabak zu verwerten für gut fand, war das beste Einvernehmen<lb/>
hergestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1866"> Es wurde Zeit zum Aufbruch. Gern verließen Vinquift und ich den mit<lb/>
den übelsten Gerüchen geschwängerten, der vielköpfigen Pächterfamilie zugleich<lb/>
als Küche, Wohn- und Schlafzimmer dienenden Saal. Kurz nach acht Uhr<lb/>
marschierten wir ab. Ein Dahinstolpern und mühsames Stapfen auf tief auf¬<lb/>
gefahrenen Ackerwegen, ein Gänsemarsch durch Wiesen und dürftige Felder &#x2014;<lb/>
dann nahmen uns die Wälder auf. Bald bildeten sich eine feste Marschordnung:<lb/>
an der Spitze der axtbewassnete Riese, hinter ihm unser Jagdleiter, der Wild¬<lb/>
dieb, eine kleine, zappelnde Puppe vor dem Rücken seines Vordermanns, dann<lb/>
ich, Vinquift und die beiden Träger. Flink trippelten die Füße des Jägers<lb/>
vor mir her in den festen, pelzverbrämten finnischen Schnabelschuhen, deren<lb/>
Form mich stets seltsam exotisch anmutet und an die Verwandtschaft der Ur¬<lb/>
einwohner dieses Landes mit den Mongolen erinnert. Welch eigenartig fremd¬<lb/>
ländische Erscheinung überhaupt, dieser kleine Waldläufer, dieser Wilddieb mit<lb/>
dem Kindesgemüt, wie er da vor mir einherklettert, mühelos jedes Hindernis<lb/>
überwindend und aufmerksam nach allen Seiten ausschnuppernd! Einen<lb/>
unglaublich alten, jedenfalls ganz unbrauchbaren Schießprügel trägt er auf der<lb/>
Schulter, der Heuchler, und er weiß wohl warum! Aber alles Unschuldigtun<lb/>
nützt ihm nichts. Wir kennen dich, Nnminnen, alter Sünder, und wissen um<lb/>
dein lichtscheues Treiben! Doch soll es dir für heute und morgen verziehen<lb/>
sein, wenn du dich als Jagdgenosse bewahrst!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1867" next="#ID_1868"> Bald komme ich ab von solchen Reflexionen; die äußeren Schwierigkeiten<lb/>
unseres Marsches lenken mein Augenmerk auf näherliegende Dinge. Schon<lb/>
nach kurzer Zeit stoßen wir auf eine frische Elchspur, die Vinquift in Helles<lb/>
Entzücken versetzt: ein prächtiges, starkes Tier, ein rechter Waldriese muß es<lb/>
gewesen sein, der hier vor wenigen Stunden vorbeigekommen; gebrochene Äste<lb/>
und zerknickte Bäumchen weisen seinen Weg. Durchs tiefste Dickicht führt uns<lb/>
die Spur, dann durch ein mooriges Wasser. Drückende Schwüle lagert über<lb/>
dem nassen Revier, Blasen aus Sumpfgas perlen in die Höhe, der Grnnd-<lb/>
schlamm gluckst saugend unter unseren Sohlen; und von dem trüben, öligen<lb/>
Naß, das uns stellenweise bis an die Hüften reicht, steigt, angenehm narkoti¬<lb/>
sierend, ein weicher, süßlicher Dunst auf, der sich in den Kleidern festsetzt, um<lb/>
uns aus dem ganzen Wege zu begleiten. Weiter &#x2014; durch Nadel- und Birken¬<lb/>
wälder, über ausgedehnte Felsplatten, durch neue Sümpfe und Moräste, durch<lb/>
wildromantische Schluchten mit südländisch üppigem Pflanzenwuchs &#x2014; weiter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0476] Llchjagd Waffen, gab durch Vinquisis Vermittlung die nötigen Erklärungen und ließ sie draußen vor dem Hause ein paar Probeschüsse abgeben; ein alter Pferdeschädel diente als Ziel. Infolge seiner starken Schußwirkung fand besonders das zierliche, kleinkalibrige Mausergewehr ungelenke Bewunderung, nur den heftigen Rückschlag verspürten sie als sehr unangenehm. AIs ich dann noch meinem Staunen über ihre Treffsicherheit Ausdruck verlieh und ihnen Zigaretten anbot, die einer als Kautabak zu verwerten für gut fand, war das beste Einvernehmen hergestellt. Es wurde Zeit zum Aufbruch. Gern verließen Vinquift und ich den mit den übelsten Gerüchen geschwängerten, der vielköpfigen Pächterfamilie zugleich als Küche, Wohn- und Schlafzimmer dienenden Saal. Kurz nach acht Uhr marschierten wir ab. Ein Dahinstolpern und mühsames Stapfen auf tief auf¬ gefahrenen Ackerwegen, ein Gänsemarsch durch Wiesen und dürftige Felder — dann nahmen uns die Wälder auf. Bald bildeten sich eine feste Marschordnung: an der Spitze der axtbewassnete Riese, hinter ihm unser Jagdleiter, der Wild¬ dieb, eine kleine, zappelnde Puppe vor dem Rücken seines Vordermanns, dann ich, Vinquift und die beiden Träger. Flink trippelten die Füße des Jägers vor mir her in den festen, pelzverbrämten finnischen Schnabelschuhen, deren Form mich stets seltsam exotisch anmutet und an die Verwandtschaft der Ur¬ einwohner dieses Landes mit den Mongolen erinnert. Welch eigenartig fremd¬ ländische Erscheinung überhaupt, dieser kleine Waldläufer, dieser Wilddieb mit dem Kindesgemüt, wie er da vor mir einherklettert, mühelos jedes Hindernis überwindend und aufmerksam nach allen Seiten ausschnuppernd! Einen unglaublich alten, jedenfalls ganz unbrauchbaren Schießprügel trägt er auf der Schulter, der Heuchler, und er weiß wohl warum! Aber alles Unschuldigtun nützt ihm nichts. Wir kennen dich, Nnminnen, alter Sünder, und wissen um dein lichtscheues Treiben! Doch soll es dir für heute und morgen verziehen sein, wenn du dich als Jagdgenosse bewahrst! Bald komme ich ab von solchen Reflexionen; die äußeren Schwierigkeiten unseres Marsches lenken mein Augenmerk auf näherliegende Dinge. Schon nach kurzer Zeit stoßen wir auf eine frische Elchspur, die Vinquift in Helles Entzücken versetzt: ein prächtiges, starkes Tier, ein rechter Waldriese muß es gewesen sein, der hier vor wenigen Stunden vorbeigekommen; gebrochene Äste und zerknickte Bäumchen weisen seinen Weg. Durchs tiefste Dickicht führt uns die Spur, dann durch ein mooriges Wasser. Drückende Schwüle lagert über dem nassen Revier, Blasen aus Sumpfgas perlen in die Höhe, der Grnnd- schlamm gluckst saugend unter unseren Sohlen; und von dem trüben, öligen Naß, das uns stellenweise bis an die Hüften reicht, steigt, angenehm narkoti¬ sierend, ein weicher, süßlicher Dunst auf, der sich in den Kleidern festsetzt, um uns aus dem ganzen Wege zu begleiten. Weiter — durch Nadel- und Birken¬ wälder, über ausgedehnte Felsplatten, durch neue Sümpfe und Moräste, durch wildromantische Schluchten mit südländisch üppigem Pflanzenwuchs — weiter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/476
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/476>, abgerufen am 26.06.2024.