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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elchjagd

verbrachten Vinquist und ich den Rest der Bahnfahrt auf der Plattform des
Wagens -- er lief, ein Personalwagen für Güterzüge, am Ende der langen,
eisernen Schlange --, um nach der beschwerlichen Nacht zwischen den engen
Bretterwänden dort draußen frische Luft zu schöpfen und in den jungen Tag
hinauszuschauen, der auf den endlosen Schienenbändern die ersten Reflexe ent¬
zündete und ringsum die Landschaft in einen weißgrauen Flimmer hüllte.

Dem Elch galt unsere Fahrt, dem König der finnischen Wälder; seine
Verfolgung sollte unser Tagewerk bilden. In dem urwaldähnlichen Revier nord¬
östlich vom Seebad Hangö waren einige besonders prächtige Tiere gesehen
worden -- Bauern hatten die Kunde nach dem Gute meines Jagdgastgebers
gebracht. So waren wir denn, Freund Vinquist und ich, am zweitletzten Tage
der "Elchwoche" -- nur während dieser kurzen Spanne Herbstzeit darf das
edle Wild gejagt werden -- mit einem ganzen Troß von Begleitern auf¬
gebrochen. Zu diesen gehörte vornehmlich ein in Finnland weit und breit be¬
kannter Elchspezialist, ein berüchtigter Wilddieb aus Karelen, der sich alljährlich
während der Elchwoche zu dem honetteren und auskömmlicheren Gewerbe eines
Jagdführers bequemte. Der Ehrenmann hatte die Nacht in dem Aufenthalts¬
raum des Zugpersonals verbracht, wo er mit seinen vierbeinigen Jagdgenossen,
zwei kleinen, ausdauernden Elchhunden, nicht gerade zur Verbesserung der
Atmosphäre beigetragen hatte; wir konnten von der Plattform aus durch die offene
Wagentür beobachten, wie er sich mit den hübschen, klug zu ihm aufschauenden
Tieren abgab und dabei mit ihnen eine zwar etwas einseitige aber sicher nicht
ganz unverstandene Unterhaltung führte. Außer diesem Waldmenschen waren
noch drei andere Begleiter vorgesehen, die sich unserem Trupp aber erst später
anschließen sollten: ein ortskundiger Führer und zwei Träger für Gepäck und
Waffen. In den Sümpfen und Felspartien unseres Jagdreviers sollten diese
Helfer sich uns als sehr nützlich erweisen.

Ich gestehe, daß mir die Aussicht auf die achtundvierzigstündige Jagd-
iameradschaft mit einem Wilddieb schlimmster Provenienz leine sonderliche Freude
bereitete. Dieses Gefühl des Unbehagens schwand aber bei unseren: näheren
Bekanntwerden sehr schnell. Zwar war die Unterhaltung zwischen uns beiden
etwas umständlich, da ich, nur der Anfangsgründe des an der finnischen
Küste verkehrsüblichen Schwedischen mächtig, mich mit dem lediglich finnisch
forschenden Manne nur mittels der Dolmetscherdienste Vinquists verständigen
konnte. Trotzdem unterhielten wir uns gar nicht schlecht. Was ich ihm von
den Jagdverhältnissen in Deutschland erzählte, rief sein größtes Staunen hervor.
Rührend komisch war es anzusehen und anzuhören, wie er das, was ihn von
meinen Angaben besonders interessierte, getreulich dem aufhorchenden Hunde¬
paar weiter berichtete.

Es war fast taghell geworden, als der langsam fahrende Güterzug in
Otalampi ankam, doch lagerten dichte Nebelschwaden über den Wäldern und
Seen der unendlichen Ebene. Mit einem Händedruck schieden wir von dem


Elchjagd

verbrachten Vinquist und ich den Rest der Bahnfahrt auf der Plattform des
Wagens — er lief, ein Personalwagen für Güterzüge, am Ende der langen,
eisernen Schlange —, um nach der beschwerlichen Nacht zwischen den engen
Bretterwänden dort draußen frische Luft zu schöpfen und in den jungen Tag
hinauszuschauen, der auf den endlosen Schienenbändern die ersten Reflexe ent¬
zündete und ringsum die Landschaft in einen weißgrauen Flimmer hüllte.

Dem Elch galt unsere Fahrt, dem König der finnischen Wälder; seine
Verfolgung sollte unser Tagewerk bilden. In dem urwaldähnlichen Revier nord¬
östlich vom Seebad Hangö waren einige besonders prächtige Tiere gesehen
worden — Bauern hatten die Kunde nach dem Gute meines Jagdgastgebers
gebracht. So waren wir denn, Freund Vinquist und ich, am zweitletzten Tage
der „Elchwoche" — nur während dieser kurzen Spanne Herbstzeit darf das
edle Wild gejagt werden — mit einem ganzen Troß von Begleitern auf¬
gebrochen. Zu diesen gehörte vornehmlich ein in Finnland weit und breit be¬
kannter Elchspezialist, ein berüchtigter Wilddieb aus Karelen, der sich alljährlich
während der Elchwoche zu dem honetteren und auskömmlicheren Gewerbe eines
Jagdführers bequemte. Der Ehrenmann hatte die Nacht in dem Aufenthalts¬
raum des Zugpersonals verbracht, wo er mit seinen vierbeinigen Jagdgenossen,
zwei kleinen, ausdauernden Elchhunden, nicht gerade zur Verbesserung der
Atmosphäre beigetragen hatte; wir konnten von der Plattform aus durch die offene
Wagentür beobachten, wie er sich mit den hübschen, klug zu ihm aufschauenden
Tieren abgab und dabei mit ihnen eine zwar etwas einseitige aber sicher nicht
ganz unverstandene Unterhaltung führte. Außer diesem Waldmenschen waren
noch drei andere Begleiter vorgesehen, die sich unserem Trupp aber erst später
anschließen sollten: ein ortskundiger Führer und zwei Träger für Gepäck und
Waffen. In den Sümpfen und Felspartien unseres Jagdreviers sollten diese
Helfer sich uns als sehr nützlich erweisen.

Ich gestehe, daß mir die Aussicht auf die achtundvierzigstündige Jagd-
iameradschaft mit einem Wilddieb schlimmster Provenienz leine sonderliche Freude
bereitete. Dieses Gefühl des Unbehagens schwand aber bei unseren: näheren
Bekanntwerden sehr schnell. Zwar war die Unterhaltung zwischen uns beiden
etwas umständlich, da ich, nur der Anfangsgründe des an der finnischen
Küste verkehrsüblichen Schwedischen mächtig, mich mit dem lediglich finnisch
forschenden Manne nur mittels der Dolmetscherdienste Vinquists verständigen
konnte. Trotzdem unterhielten wir uns gar nicht schlecht. Was ich ihm von
den Jagdverhältnissen in Deutschland erzählte, rief sein größtes Staunen hervor.
Rührend komisch war es anzusehen und anzuhören, wie er das, was ihn von
meinen Angaben besonders interessierte, getreulich dem aufhorchenden Hunde¬
paar weiter berichtete.

Es war fast taghell geworden, als der langsam fahrende Güterzug in
Otalampi ankam, doch lagerten dichte Nebelschwaden über den Wäldern und
Seen der unendlichen Ebene. Mit einem Händedruck schieden wir von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/474>, abgerufen am 01.07.2024.