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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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"Besen, Besen, selbs gewesen!"

Wenn einer, so hat Goethe ein Recht, hier zu reden! Er, der selber
.ernst um Künstlerschaft, auch in Bildkunst, rang. Als von ihm "die Männer,
mit den großen Bärten" zu Rom, ob ihres "Nazarener"wesens getadelt wurden
-- wie weit war Jener Abkehr noch von dem gänzlichen Bruch mit aller
"Filiation". den wir nun erlebten! Einen ähnlichen zu finden, müßte man
mehr als hundert Jahre zurückschauen. Und auch dort würde mau ihn mehr
im Wechsel der Bildmotive, als in der Ausführung erkennen. Und doch traf
dort zu: daß Kunst Spiegel der Zeit sei.

Weil jene Zeit antike Bürgertugend anrief, konnte das anmutig-leichte
Getändel des ancien röZime nimmer gemalt werden, und der strenge Vor¬
wurf rief nach harter Behandlung.

Was aber hatte denn die Zeit damit zu tun, als so von der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts an die Pariser Maler wieder einmal Neues
probten? Die Psyche jener Jahre gibt wohl nur ganz Eingeweihten sichere
Auskunft über die Gründe. Für den Verlauf liefert Zola in: "I^'oeuvre"
einen nicht Übeln Leitfaden. Seine >,I5uveur8 et'can", der Pleincnrist. der sich
vor der Staffelei aufhängt, weil ihm das Unmögliche nicht gelingt -- Natur
völlig auf Leinwand zu bannen --, er hatte dafür feine "DoLumenK", der
Realist. Das Neue also nehmen wir, wie seit je alles von dort, als Evangelium.
Jeder "Ismus" fand schleunigst Schüler. Schlagwörter prasselten hageldicht.
Was bisher schön hieß, wurde "konventionell", l^'art pour I'art! Geschichte,
Genre, Literatur wurden aus den Malgebieten verbannt. Damit herrliche
Anregungen für die Jugend. Weltgeschichte -- vor den Bildern empfand man
ihre Größe. Volksleben, gemütvolle Vorgänge, lehrten Leben vielseitig erkennen.
Dichterwerke wurde kulturhafter. So einst; nun mußte das Land der Phantasie
verarmen. Böse Worte fielen: Verkaufsmaler (diese konnten natürlich nur Kitsch
liefern), womit die Heuchelei Kurs erhielt; die Kunst sei, letzten Endes, nicht
etwa auch ein Mittel sich im Leben auf den Beinen zu erhalten, sondern? (hier
vergleiche man einmal den Maler Dick Hektar Kiplings im "Das Licht erlosch").
Alle Experimente fanden Erklärer, schon weil auch auf literarischem Gebiet Natura¬
lismus. Varismus, blühten. So fingen die Maler an beständig nach den Kunst¬
referenten zu schielen, die sie groß machen, oder aber vernichten konnten.

Wenn solche Feuilletonslöwen Meister, wie Grützner, als "brave Kunst¬
handwerker", anbrüllen durften -- ein Schweizerblatt warnte: man solle mit
der Erziehung des Philisters zur (modernen) Kunst jn nicht nachlassen -- er
"falle sonst immer wieder auf Defregger herein", so ist kein Wunder, daß ein
Maljüngling -- anläßlich der letzten Internationalen in Rom -- das Wort
wagen durfte: "man weiß längst, daß Rafael nicht malen konnte!" Wieder
war es ein Schweizer -- Kritiker, der behauptete: "zweifellos sei, daß sich in
in uns ein neues Organ für primitive Kunst zu bilden beginne." Es scheint
ihm nicht aufgefallen zu sein, daß dieses Organ sehr einseitig wäre, stellte es
sich nicht auf andere Künste ebenfalls ein. Wie wär es mit primitiver Musik?


„Besen, Besen, selbs gewesen!"

Wenn einer, so hat Goethe ein Recht, hier zu reden! Er, der selber
.ernst um Künstlerschaft, auch in Bildkunst, rang. Als von ihm „die Männer,
mit den großen Bärten" zu Rom, ob ihres „Nazarener"wesens getadelt wurden
— wie weit war Jener Abkehr noch von dem gänzlichen Bruch mit aller
„Filiation". den wir nun erlebten! Einen ähnlichen zu finden, müßte man
mehr als hundert Jahre zurückschauen. Und auch dort würde mau ihn mehr
im Wechsel der Bildmotive, als in der Ausführung erkennen. Und doch traf
dort zu: daß Kunst Spiegel der Zeit sei.

Weil jene Zeit antike Bürgertugend anrief, konnte das anmutig-leichte
Getändel des ancien röZime nimmer gemalt werden, und der strenge Vor¬
wurf rief nach harter Behandlung.

Was aber hatte denn die Zeit damit zu tun, als so von der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts an die Pariser Maler wieder einmal Neues
probten? Die Psyche jener Jahre gibt wohl nur ganz Eingeweihten sichere
Auskunft über die Gründe. Für den Verlauf liefert Zola in: „I^'oeuvre"
einen nicht Übeln Leitfaden. Seine >,I5uveur8 et'can", der Pleincnrist. der sich
vor der Staffelei aufhängt, weil ihm das Unmögliche nicht gelingt — Natur
völlig auf Leinwand zu bannen —, er hatte dafür feine „DoLumenK", der
Realist. Das Neue also nehmen wir, wie seit je alles von dort, als Evangelium.
Jeder „Ismus" fand schleunigst Schüler. Schlagwörter prasselten hageldicht.
Was bisher schön hieß, wurde „konventionell", l^'art pour I'art! Geschichte,
Genre, Literatur wurden aus den Malgebieten verbannt. Damit herrliche
Anregungen für die Jugend. Weltgeschichte — vor den Bildern empfand man
ihre Größe. Volksleben, gemütvolle Vorgänge, lehrten Leben vielseitig erkennen.
Dichterwerke wurde kulturhafter. So einst; nun mußte das Land der Phantasie
verarmen. Böse Worte fielen: Verkaufsmaler (diese konnten natürlich nur Kitsch
liefern), womit die Heuchelei Kurs erhielt; die Kunst sei, letzten Endes, nicht
etwa auch ein Mittel sich im Leben auf den Beinen zu erhalten, sondern? (hier
vergleiche man einmal den Maler Dick Hektar Kiplings im „Das Licht erlosch").
Alle Experimente fanden Erklärer, schon weil auch auf literarischem Gebiet Natura¬
lismus. Varismus, blühten. So fingen die Maler an beständig nach den Kunst¬
referenten zu schielen, die sie groß machen, oder aber vernichten konnten.

Wenn solche Feuilletonslöwen Meister, wie Grützner, als „brave Kunst¬
handwerker", anbrüllen durften — ein Schweizerblatt warnte: man solle mit
der Erziehung des Philisters zur (modernen) Kunst jn nicht nachlassen — er
„falle sonst immer wieder auf Defregger herein", so ist kein Wunder, daß ein
Maljüngling — anläßlich der letzten Internationalen in Rom — das Wort
wagen durfte: „man weiß längst, daß Rafael nicht malen konnte!" Wieder
war es ein Schweizer — Kritiker, der behauptete: „zweifellos sei, daß sich in
in uns ein neues Organ für primitive Kunst zu bilden beginne." Es scheint
ihm nicht aufgefallen zu sein, daß dieses Organ sehr einseitig wäre, stellte es
sich nicht auf andere Künste ebenfalls ein. Wie wär es mit primitiver Musik?


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[0435] „Besen, Besen, selbs gewesen!" Wenn einer, so hat Goethe ein Recht, hier zu reden! Er, der selber .ernst um Künstlerschaft, auch in Bildkunst, rang. Als von ihm „die Männer, mit den großen Bärten" zu Rom, ob ihres „Nazarener"wesens getadelt wurden — wie weit war Jener Abkehr noch von dem gänzlichen Bruch mit aller „Filiation". den wir nun erlebten! Einen ähnlichen zu finden, müßte man mehr als hundert Jahre zurückschauen. Und auch dort würde mau ihn mehr im Wechsel der Bildmotive, als in der Ausführung erkennen. Und doch traf dort zu: daß Kunst Spiegel der Zeit sei. Weil jene Zeit antike Bürgertugend anrief, konnte das anmutig-leichte Getändel des ancien röZime nimmer gemalt werden, und der strenge Vor¬ wurf rief nach harter Behandlung. Was aber hatte denn die Zeit damit zu tun, als so von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an die Pariser Maler wieder einmal Neues probten? Die Psyche jener Jahre gibt wohl nur ganz Eingeweihten sichere Auskunft über die Gründe. Für den Verlauf liefert Zola in: „I^'oeuvre" einen nicht Übeln Leitfaden. Seine >,I5uveur8 et'can", der Pleincnrist. der sich vor der Staffelei aufhängt, weil ihm das Unmögliche nicht gelingt — Natur völlig auf Leinwand zu bannen —, er hatte dafür feine „DoLumenK", der Realist. Das Neue also nehmen wir, wie seit je alles von dort, als Evangelium. Jeder „Ismus" fand schleunigst Schüler. Schlagwörter prasselten hageldicht. Was bisher schön hieß, wurde „konventionell", l^'art pour I'art! Geschichte, Genre, Literatur wurden aus den Malgebieten verbannt. Damit herrliche Anregungen für die Jugend. Weltgeschichte — vor den Bildern empfand man ihre Größe. Volksleben, gemütvolle Vorgänge, lehrten Leben vielseitig erkennen. Dichterwerke wurde kulturhafter. So einst; nun mußte das Land der Phantasie verarmen. Böse Worte fielen: Verkaufsmaler (diese konnten natürlich nur Kitsch liefern), womit die Heuchelei Kurs erhielt; die Kunst sei, letzten Endes, nicht etwa auch ein Mittel sich im Leben auf den Beinen zu erhalten, sondern? (hier vergleiche man einmal den Maler Dick Hektar Kiplings im „Das Licht erlosch"). Alle Experimente fanden Erklärer, schon weil auch auf literarischem Gebiet Natura¬ lismus. Varismus, blühten. So fingen die Maler an beständig nach den Kunst¬ referenten zu schielen, die sie groß machen, oder aber vernichten konnten. Wenn solche Feuilletonslöwen Meister, wie Grützner, als „brave Kunst¬ handwerker", anbrüllen durften — ein Schweizerblatt warnte: man solle mit der Erziehung des Philisters zur (modernen) Kunst jn nicht nachlassen — er „falle sonst immer wieder auf Defregger herein", so ist kein Wunder, daß ein Maljüngling — anläßlich der letzten Internationalen in Rom — das Wort wagen durfte: „man weiß längst, daß Rafael nicht malen konnte!" Wieder war es ein Schweizer — Kritiker, der behauptete: „zweifellos sei, daß sich in in uns ein neues Organ für primitive Kunst zu bilden beginne." Es scheint ihm nicht aufgefallen zu sein, daß dieses Organ sehr einseitig wäre, stellte es sich nicht auf andere Künste ebenfalls ein. Wie wär es mit primitiver Musik?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/435>, abgerufen am 24.08.2024.