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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Ein englisches Nationcüthcater

Wells einzog als jener in Princeß's Theatre, zeugt es, daß er ebenso wenig
versucht hat, es jenem an szenischen Effekten irgendwie gleichzutun, als dessen
wertvolle Anregungen eigensinnig zu ignorieren. Phelps besaß als Regisseur
einen gesund konservativen Sinn, ohne ein Traditionsreiter zu werden. Seine
Jnszenierungsweise war weit entfernt von Nüchternheit oder Gleichgültigkeit
gegenüber der Schönheit des Bühnenbilds. Der neue Gedanke, das ganze
Elfenspiel des "Sommernachtstraums" hinter Gazeschleiern vor sich gehen zu
lassen, zeugt von der Fähigkeit feinen Einfühlens in die Dichtkunst. Die ersten
Hexenszenen des "Macbeth" rückt er, während in der letzten noch ein opern-
hafter Zug obwaltet, in ein gespenstisches undeutliches Tiefgrau: "dunkle Ge¬
stalten auf dunklem Hintergrund, nur ein paar graue Locken wehen im Winde".
Die Ermordung Duncans war ein Meisterstück, die weite finstere Halle in dem
drückenden schweren Normannenstil ein glücklicher Rahmen dafür. Von großer
Gewalt ist dann wieder der Moment, wo Macduff des Königs Ermordung
entdeckt: "Es ist kein Theaterentsetzen, kein Theaterlärm, den er macht," schrieb
Fontane damals nach Deutschland, "es ist ein Lärm, wie Philoktet auf der
griechischen Bühne nicht gewaltiger geschrieen haben kann. Das Geschrei ist
furchtbar wie die Tat. Er rüttelt und schüttelt an dem alten Mauerwerk,
reißt am Glockenstrang und ficht mit dem Schwert um sich her, während er
unablässig die Schläfer aus ihrer Ruhe schreit... Im Vordergrunde, den
bleichen Kopf in die entblößten Schultern gezogen, steht regungslos Lady
Macbeth, überwältigt von der eignen Tat, altgeworden in einer einzigen Stunde."

Groß war auch an Sadlers Wells, trotzdem es die Freunde Keans nicht
währhaben wollten, die Kunst der Massenregie. Das atemlose, angsterfüllte
Zusammenlaufen der erschreckten Erweckten in der Mordnacht bei "Macbeth"
oder die Verbannung Coriolans durch den aufgebrachten knüttelbewaffneten Pöbel,
in welchem das ganze spielfreie Solopersonal unbeschäftigt war, gehörten zum
Besten in dieser Hinsicht.

In "Coriolan" kam es einmal vor, daß das "Volk", das so wundervoll
lebendig gespielt hatte, mit dem ungewohnten Rufe "Supers" (Statisten) von
der begeisterten Gallerte vor den Vorhang applaudiert wurde: ein Publikums¬
lob, daß bei einem anderen als Phelps einen Tadel enthalten haben würde.
Er, der auch der schauspielerischen Seite seiner Aufführungen doch immer seine
erste und größte Sorgfalt zuwandte, hatte keine Ursache, es so aufzufassen.
Allerdings besaß er nie überragende Größen oder Individualitäten in seinem
Ensemble. Zwei von ihnen ragen übrigens ins zwanzigste Jahrhundert hinein:
Charles Warner, der Mann von Phelps' ursprünglicher Mitdirektorin -- 1906
gab er noch Leontes in Trees "Wintermärchen" -- und Hermann Vezin, der
gute Rezitator, der ein etwas allzu sachlicher kühler Darsteller war. Seinen
besten Schauspieler, Creswick, besaß Phelps nur während der ersten vier
Jahre. Ein Künstler der Macreadvschen Richtung, war Creswig ein vortreff-
licher Othello in seiner die Gegensätze von "harmlosen und tigerhaftem Natur-


Ein englisches Nationcüthcater

Wells einzog als jener in Princeß's Theatre, zeugt es, daß er ebenso wenig
versucht hat, es jenem an szenischen Effekten irgendwie gleichzutun, als dessen
wertvolle Anregungen eigensinnig zu ignorieren. Phelps besaß als Regisseur
einen gesund konservativen Sinn, ohne ein Traditionsreiter zu werden. Seine
Jnszenierungsweise war weit entfernt von Nüchternheit oder Gleichgültigkeit
gegenüber der Schönheit des Bühnenbilds. Der neue Gedanke, das ganze
Elfenspiel des „Sommernachtstraums" hinter Gazeschleiern vor sich gehen zu
lassen, zeugt von der Fähigkeit feinen Einfühlens in die Dichtkunst. Die ersten
Hexenszenen des „Macbeth" rückt er, während in der letzten noch ein opern-
hafter Zug obwaltet, in ein gespenstisches undeutliches Tiefgrau: „dunkle Ge¬
stalten auf dunklem Hintergrund, nur ein paar graue Locken wehen im Winde".
Die Ermordung Duncans war ein Meisterstück, die weite finstere Halle in dem
drückenden schweren Normannenstil ein glücklicher Rahmen dafür. Von großer
Gewalt ist dann wieder der Moment, wo Macduff des Königs Ermordung
entdeckt: „Es ist kein Theaterentsetzen, kein Theaterlärm, den er macht," schrieb
Fontane damals nach Deutschland, „es ist ein Lärm, wie Philoktet auf der
griechischen Bühne nicht gewaltiger geschrieen haben kann. Das Geschrei ist
furchtbar wie die Tat. Er rüttelt und schüttelt an dem alten Mauerwerk,
reißt am Glockenstrang und ficht mit dem Schwert um sich her, während er
unablässig die Schläfer aus ihrer Ruhe schreit... Im Vordergrunde, den
bleichen Kopf in die entblößten Schultern gezogen, steht regungslos Lady
Macbeth, überwältigt von der eignen Tat, altgeworden in einer einzigen Stunde."

Groß war auch an Sadlers Wells, trotzdem es die Freunde Keans nicht
währhaben wollten, die Kunst der Massenregie. Das atemlose, angsterfüllte
Zusammenlaufen der erschreckten Erweckten in der Mordnacht bei „Macbeth"
oder die Verbannung Coriolans durch den aufgebrachten knüttelbewaffneten Pöbel,
in welchem das ganze spielfreie Solopersonal unbeschäftigt war, gehörten zum
Besten in dieser Hinsicht.

In „Coriolan" kam es einmal vor, daß das „Volk", das so wundervoll
lebendig gespielt hatte, mit dem ungewohnten Rufe „Supers" (Statisten) von
der begeisterten Gallerte vor den Vorhang applaudiert wurde: ein Publikums¬
lob, daß bei einem anderen als Phelps einen Tadel enthalten haben würde.
Er, der auch der schauspielerischen Seite seiner Aufführungen doch immer seine
erste und größte Sorgfalt zuwandte, hatte keine Ursache, es so aufzufassen.
Allerdings besaß er nie überragende Größen oder Individualitäten in seinem
Ensemble. Zwei von ihnen ragen übrigens ins zwanzigste Jahrhundert hinein:
Charles Warner, der Mann von Phelps' ursprünglicher Mitdirektorin — 1906
gab er noch Leontes in Trees „Wintermärchen" — und Hermann Vezin, der
gute Rezitator, der ein etwas allzu sachlicher kühler Darsteller war. Seinen
besten Schauspieler, Creswick, besaß Phelps nur während der ersten vier
Jahre. Ein Künstler der Macreadvschen Richtung, war Creswig ein vortreff-
licher Othello in seiner die Gegensätze von „harmlosen und tigerhaftem Natur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/40>, abgerufen am 22.01.2025.