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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gleichzeitige Erhebung seines Landes zum
Großherzogtum festlich zu begehen", hat Carl
Schüddelopf im Goethe-Kalender auf das
Jahr 1914 (Leipzig, Tieterichsche Verlags¬
buchhandlung Theodor Welcher) die Bezie¬
hungen Goethes zum weimarischen Fürsten¬
hause zusammengestellt. In großen Zügen
und in zweckdienlichen, charakteristischen Proben,
die des Herausgebers kundige Hand sorg¬
fältig ausgewählt hat, ist diese Idee sehr
glücklich durchgeführt. Vier Generationen,
von Anna Amaliens Regentschaft bis zur Ge¬
burt des Kaisers Friedrich des Dritten, des
Sohnes der weimarischen Prinzessin Augusta --
diese lange Zeitspanne von 1776 bis 1831 um¬
faßt das vertraute Verhältnis des Ministers,
des Dichters und des Menschen Goethe zu allen
Angehörigen des Herrscherhauses. Unter den
vierzehn Bildbeigaben befinden sich mehrere
unbekannte Porträts: eine Silhouette des
jungen Carl August, Friedrich Tiecks Büsten
des Erbprinzenpaares Carl Friedrich und
Maria Paulowna sowie eine aus dem Jahre
1827 stammende liebenswürdige Zeichnung
Vogels, die den jugendlichen Erbprinzen Carl
Alexander darstellt.

Die Erinnerung an die große Zeit vor
hundert Jahren gab auch Veranlassung zu
einem Aufsatz im Wilhelm Naave-Kalender
1914, herausgegeben von Otto Elster und
Hanns Martin Elster (Berlin, G. Grote).
Wie die Freiheitskriege in den Werken Raabes
wiederklingen, untersucht Otto Elster. Dabei
gelangt er zu der auffallenden Feststellung,
daß der Dichter uns in seinen Erzählungen,
die von dem "großen Kriege" handeln, nie¬
mals in jene Zeit selbst versetzt, sondern sie
uns nur durch den Mund solcher Personen
schildert, die sie miterlebt und mitdurch¬
gekämpft haben, während er es doch sonst in
seinen historischen Romanen liebt, uns die
Wirren und Kämpfe der Zeit unmittelbar
vor Augen zu führen. -- In einem andern
Artikel erzählt der vierundachtzigjährige Adolf
Glaser, der erste Herausgeber von Wester-
manns Monatsheften, seine Erinnerungen an
Raabe, mit dem er vor sechzig Jahren an
der Berliner Universität studierte. Seltsam
und rührend zugleich mutet es uns an, einen
Jugendfreund Raabes plaudern zu hören
aus der Zeit, da der durch die "Chronik der

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Sperlingsgasse" haspelt bekannt gewordene
Dichter nach Wolfenbüttel ins Haus der
Mutter zurückkehrte, um sich ganz seiner
Schriftstellerei zu widmen. -- Daß die Raabe-
Forschung schon vielversprechend eingesetzt hat,
zeigen verschiedene Beiträge von F. Hahne,
I. Baß, W. Fehse, H. Goebel und den Her¬
ausgeber?:. Zehn alte und neue Gedichte
an Raabe bringt der Kalender, ferner einen
Schulaufsatz des fünfzehnjährigen Raabe aus
dein Jahre 1847, der die Zensur erhielt:
"Dieser Aufsatz ist mit dem allergrößten Fleiße
gearbeitet und berechtigt bei fortgesetzter An¬
strengung zu den schönsten Hoffnungen für
den Verfasser." Die "schönsten Hoffnungen"
hat er zwar glänzend erfüllt, aber es dauerte
fast ein halbes Jahrhundert, ehe ein größeres
Publikum zu der Erkenntnis gebracht werden
konnte, welch kostbarer Schatz in Raabes
Schriften verborgen liegt. Manchen Leser
wird es überraschen, welch beachtenswertes
Zeichentalent der Dichter besaß; im Kalender
sind sieben Zeichnungen reproduziert, wie sie
Raabe am Rande seiner Manuskripte schnell
zu skizzieren Pflegte. Von den hier zuerst
mitgeteilten Sprüchen aus den Tagebüchern
seien diese zwei wiedergegeben: "Die Bücher
sind die besten, die der Verfasser selber nicht
zum zweiten Male .machen kann', über die
er sich selber wundert." -- "Die Menschen
sind nur allzu häufig imstande, wenn das
Lebendige unter den Tvtea erschien, das
erstere für das Gespenst zu halten." -- Es
ist aufrichtig zu wünschen, daß dieser schöne
Kalender der wachsenden Raabe - Gemeinde
neue Anhänger zuführt. Leicht hat es freilich
der Dichter dem Neuling nicht gemacht.
Schnell seine Bücher durchfliegen kann man
nicht; jedes derselben verlangt vom Leser eine
nicht geringe Geistesarbeit, in jedes muß man
sich erst einlesen, um in die Stimmung und
den Sinn einzudringen. Aber wen Rande
einmal gewonnen hat, den läßt er nie
mehr los.

Im Gegensatz zu den beiden genannten
Büchern beschränkt das literarische Jahrbuch
des Scheffelbundes, der Scheffel-Kalender auf
das Jahr 1914, geleitet von W. A. Hammer
(Teschen, Karl Prochaska Verlag), seine Auf¬
gabe nicht auf den Dichter allein, dem es
dient; es will auch die zeitgenössische Dichtung

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gleichzeitige Erhebung seines Landes zum
Großherzogtum festlich zu begehen", hat Carl
Schüddelopf im Goethe-Kalender auf das
Jahr 1914 (Leipzig, Tieterichsche Verlags¬
buchhandlung Theodor Welcher) die Bezie¬
hungen Goethes zum weimarischen Fürsten¬
hause zusammengestellt. In großen Zügen
und in zweckdienlichen, charakteristischen Proben,
die des Herausgebers kundige Hand sorg¬
fältig ausgewählt hat, ist diese Idee sehr
glücklich durchgeführt. Vier Generationen,
von Anna Amaliens Regentschaft bis zur Ge¬
burt des Kaisers Friedrich des Dritten, des
Sohnes der weimarischen Prinzessin Augusta —
diese lange Zeitspanne von 1776 bis 1831 um¬
faßt das vertraute Verhältnis des Ministers,
des Dichters und des Menschen Goethe zu allen
Angehörigen des Herrscherhauses. Unter den
vierzehn Bildbeigaben befinden sich mehrere
unbekannte Porträts: eine Silhouette des
jungen Carl August, Friedrich Tiecks Büsten
des Erbprinzenpaares Carl Friedrich und
Maria Paulowna sowie eine aus dem Jahre
1827 stammende liebenswürdige Zeichnung
Vogels, die den jugendlichen Erbprinzen Carl
Alexander darstellt.

Die Erinnerung an die große Zeit vor
hundert Jahren gab auch Veranlassung zu
einem Aufsatz im Wilhelm Naave-Kalender
1914, herausgegeben von Otto Elster und
Hanns Martin Elster (Berlin, G. Grote).
Wie die Freiheitskriege in den Werken Raabes
wiederklingen, untersucht Otto Elster. Dabei
gelangt er zu der auffallenden Feststellung,
daß der Dichter uns in seinen Erzählungen,
die von dem „großen Kriege" handeln, nie¬
mals in jene Zeit selbst versetzt, sondern sie
uns nur durch den Mund solcher Personen
schildert, die sie miterlebt und mitdurch¬
gekämpft haben, während er es doch sonst in
seinen historischen Romanen liebt, uns die
Wirren und Kämpfe der Zeit unmittelbar
vor Augen zu führen. — In einem andern
Artikel erzählt der vierundachtzigjährige Adolf
Glaser, der erste Herausgeber von Wester-
manns Monatsheften, seine Erinnerungen an
Raabe, mit dem er vor sechzig Jahren an
der Berliner Universität studierte. Seltsam
und rührend zugleich mutet es uns an, einen
Jugendfreund Raabes plaudern zu hören
aus der Zeit, da der durch die „Chronik der

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Sperlingsgasse" haspelt bekannt gewordene
Dichter nach Wolfenbüttel ins Haus der
Mutter zurückkehrte, um sich ganz seiner
Schriftstellerei zu widmen. — Daß die Raabe-
Forschung schon vielversprechend eingesetzt hat,
zeigen verschiedene Beiträge von F. Hahne,
I. Baß, W. Fehse, H. Goebel und den Her¬
ausgeber?:. Zehn alte und neue Gedichte
an Raabe bringt der Kalender, ferner einen
Schulaufsatz des fünfzehnjährigen Raabe aus
dein Jahre 1847, der die Zensur erhielt:
„Dieser Aufsatz ist mit dem allergrößten Fleiße
gearbeitet und berechtigt bei fortgesetzter An¬
strengung zu den schönsten Hoffnungen für
den Verfasser." Die „schönsten Hoffnungen"
hat er zwar glänzend erfüllt, aber es dauerte
fast ein halbes Jahrhundert, ehe ein größeres
Publikum zu der Erkenntnis gebracht werden
konnte, welch kostbarer Schatz in Raabes
Schriften verborgen liegt. Manchen Leser
wird es überraschen, welch beachtenswertes
Zeichentalent der Dichter besaß; im Kalender
sind sieben Zeichnungen reproduziert, wie sie
Raabe am Rande seiner Manuskripte schnell
zu skizzieren Pflegte. Von den hier zuerst
mitgeteilten Sprüchen aus den Tagebüchern
seien diese zwei wiedergegeben: „Die Bücher
sind die besten, die der Verfasser selber nicht
zum zweiten Male .machen kann', über die
er sich selber wundert." — „Die Menschen
sind nur allzu häufig imstande, wenn das
Lebendige unter den Tvtea erschien, das
erstere für das Gespenst zu halten." — Es
ist aufrichtig zu wünschen, daß dieser schöne
Kalender der wachsenden Raabe - Gemeinde
neue Anhänger zuführt. Leicht hat es freilich
der Dichter dem Neuling nicht gemacht.
Schnell seine Bücher durchfliegen kann man
nicht; jedes derselben verlangt vom Leser eine
nicht geringe Geistesarbeit, in jedes muß man
sich erst einlesen, um in die Stimmung und
den Sinn einzudringen. Aber wen Rande
einmal gewonnen hat, den läßt er nie
mehr los.

Im Gegensatz zu den beiden genannten
Büchern beschränkt das literarische Jahrbuch
des Scheffelbundes, der Scheffel-Kalender auf
das Jahr 1914, geleitet von W. A. Hammer
(Teschen, Karl Prochaska Verlag), seine Auf¬
gabe nicht auf den Dichter allein, dem es
dient; es will auch die zeitgenössische Dichtung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/394>, abgerufen am 02.10.2024.