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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin englisches Aationnltheater

waren, nicht wie die meisten anderen durch Mätzchen zu ersetzen suchte, war
sein eigentlichstes, also ein mehr negatives Verdienst als Schauspieler im ernsten
Fach. Er begnügte sich damit, im Technischen ein gelehriger Anhänger der
Macreadyschen Schule zu sein. Wie das persönliche Leben des einfachen,
reklamefremden Mannes, der, wenn er nicht im Kostüm stak, am liebsten als
ein "(Zuist couritr^ Zentleman" drunten in Kent bei den Bauersleuten am
River Darme seine Forellen fing, und der gegen seine eigene Profession beinahe
die gleiche Antipathie hegte wie Macready, so trug auch sein Spiel einen
bürgerlichen Zug: zu sehr ausgeprägt, um eine rechte Größe zu besitzen, aber
gerade recht, um Shakespeare dem naiven Publikum, für das er viele Jahre
spielte, besonders nahe zu bringen. Selbst sein Shylock hatte manchmal etwas
voni bürgerlichen Vater an sich. Er baute oft auf einem sozusagen bürgerlichen
Motiv seine Rolle auf. Gern arbeitete er nach französischer Art auf eine
ZmncZe scöns hin im "Kaufmann von Venedig" etwa auf den Auftritt nach
Jessicas Entführung, in welchem man damals die Leidenschaft des Hasses auch
auf deutschem Boden, nach Fontanes Ausspruch, "bei keinem Shylock mit
größerer Energie und furchtbarer explodieren sehen" konnte.

Bei Shylock kam Phelps der groteske Humor zu statten, der einige seiner
komischen Rollen seinen Zeitgenossen so wertvoll machte. Vor allen sein Bolton
im "Sommernachtstraum", den er noch 1870 in voller Kraft spielte, mag
ein Meisterwerk feiner Charakterdarstellung gewesen sein, die den bis dahin
ganz buffomäßig dargestellten Clown mit vielen psychologischen Details aus¬
stattete. Seine Glanzrolle war Falstaff in "Heinrich den? Vierten" und den
"Luftiger Weibern"; Fontane vergleicht in seinen Theaterbriefen aus England
den Phelpsschen Falstaff, der die Maske des seit Charles Kemble zum Typus
gewordenen materiell veranlagten, jovialen alten Adelsherrn trägt, mit dem
damals bedeutendsten der deutschen Bühne von Döring: der Phelpssche tut
nicht ernst, wie dieser, sondern es ist ihm ernst. "Sein Humor ist nicht ein
Schild, den er in Bereitschaft hat, um sich in aller Ruhe und mit vollem
Bewußtsein dahinter zu decken, sondern er ist völlig unbeabsichtigt": dieser
Falstaff wirkt durch seine unfreiwillige Komik, derer er selbst stets erst nach¬
träglich gewahr wird. In den "Luftiger Weibern" bildet die "unerschütter¬
liche Seelenruhe eines schamlosen Zynismus, der längst die Vorstellung von
Recht und Unrecht verloren und dafür die Sicherheit und Würde eines wei߬
bärtigen Lasters eingetauscht hat", das ehrwürdige Laster gegenüber dem jovialen
aus "Heinrich dem Vierten", den Grundzug.

Auch diese trefflichste seiner schauspielerischen Leistungen hätte vielleicht nicht
genügt, Phelps als einen der Großen in der Geschichte des englischen Theaters
weiter leben zu lassen. Der gute Schauspieler war indessen ein noch besserer
künstlerischer Organisator. Nachdem er sieben Jahre unter Webster, Macready
und anderen gespielt hatte, unternahm er den tollkühnen Versuch, in der nörd¬
lichen Vorstadt Jslington eine Volksbühne zu pachten, in der seit zwei Gene-


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waren, nicht wie die meisten anderen durch Mätzchen zu ersetzen suchte, war
sein eigentlichstes, also ein mehr negatives Verdienst als Schauspieler im ernsten
Fach. Er begnügte sich damit, im Technischen ein gelehriger Anhänger der
Macreadyschen Schule zu sein. Wie das persönliche Leben des einfachen,
reklamefremden Mannes, der, wenn er nicht im Kostüm stak, am liebsten als
ein „(Zuist couritr^ Zentleman" drunten in Kent bei den Bauersleuten am
River Darme seine Forellen fing, und der gegen seine eigene Profession beinahe
die gleiche Antipathie hegte wie Macready, so trug auch sein Spiel einen
bürgerlichen Zug: zu sehr ausgeprägt, um eine rechte Größe zu besitzen, aber
gerade recht, um Shakespeare dem naiven Publikum, für das er viele Jahre
spielte, besonders nahe zu bringen. Selbst sein Shylock hatte manchmal etwas
voni bürgerlichen Vater an sich. Er baute oft auf einem sozusagen bürgerlichen
Motiv seine Rolle auf. Gern arbeitete er nach französischer Art auf eine
ZmncZe scöns hin im „Kaufmann von Venedig" etwa auf den Auftritt nach
Jessicas Entführung, in welchem man damals die Leidenschaft des Hasses auch
auf deutschem Boden, nach Fontanes Ausspruch, „bei keinem Shylock mit
größerer Energie und furchtbarer explodieren sehen" konnte.

Bei Shylock kam Phelps der groteske Humor zu statten, der einige seiner
komischen Rollen seinen Zeitgenossen so wertvoll machte. Vor allen sein Bolton
im „Sommernachtstraum", den er noch 1870 in voller Kraft spielte, mag
ein Meisterwerk feiner Charakterdarstellung gewesen sein, die den bis dahin
ganz buffomäßig dargestellten Clown mit vielen psychologischen Details aus¬
stattete. Seine Glanzrolle war Falstaff in „Heinrich den? Vierten" und den
„Luftiger Weibern"; Fontane vergleicht in seinen Theaterbriefen aus England
den Phelpsschen Falstaff, der die Maske des seit Charles Kemble zum Typus
gewordenen materiell veranlagten, jovialen alten Adelsherrn trägt, mit dem
damals bedeutendsten der deutschen Bühne von Döring: der Phelpssche tut
nicht ernst, wie dieser, sondern es ist ihm ernst. „Sein Humor ist nicht ein
Schild, den er in Bereitschaft hat, um sich in aller Ruhe und mit vollem
Bewußtsein dahinter zu decken, sondern er ist völlig unbeabsichtigt": dieser
Falstaff wirkt durch seine unfreiwillige Komik, derer er selbst stets erst nach¬
träglich gewahr wird. In den „Luftiger Weibern" bildet die „unerschütter¬
liche Seelenruhe eines schamlosen Zynismus, der längst die Vorstellung von
Recht und Unrecht verloren und dafür die Sicherheit und Würde eines wei߬
bärtigen Lasters eingetauscht hat", das ehrwürdige Laster gegenüber dem jovialen
aus „Heinrich dem Vierten", den Grundzug.

Auch diese trefflichste seiner schauspielerischen Leistungen hätte vielleicht nicht
genügt, Phelps als einen der Großen in der Geschichte des englischen Theaters
weiter leben zu lassen. Der gute Schauspieler war indessen ein noch besserer
künstlerischer Organisator. Nachdem er sieben Jahre unter Webster, Macready
und anderen gespielt hatte, unternahm er den tollkühnen Versuch, in der nörd¬
lichen Vorstadt Jslington eine Volksbühne zu pachten, in der seit zwei Gene-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/37>, abgerufen am 02.10.2024.