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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

not up ins nom; litt not up ^our Korn on niZn. Nach Psalm 89, 18
kann das Volk jauchzen, weil der Herr seine Stärke ist und durch seine Gnade
unser Horn erhöhen wird. So soll denn auch Davids Horn in des Herrn
Namen erhöht werden; er wird unser Horn erhöhen (Ps. 92, 11). Des Ge¬
rechten Horn wird mit Ehren erhöhet (Ps. 112, 9). In Ägypten will der
Herr das Horn des Hauses Israel wachsen lassen (Hes. 29, 21). Daniel (7, 7 u. 8)
hat nachts das Gesicht eines Tieres mit großen eisernen Zähnen und zehn
Hörnern, zwischen denen noch ein kleines anderes Horn hervorbricht. Em
zweites Gesicht Daniels (8, 6 bis 11) läßt das Horn eines Ziegenbocks bis an
den Himmel wachsen und etliche von den Sternen zur Erde werfen; das große
Horn zwischen seinen Augen ist der erste König in Griechenland (das. 21).
Jeremias beklagt (2, 3 und 17), daß der Herr alle Hörner Israels in seinem
Zorn zerbrochen und seiner Widersacher Horn erhöht hat. Das im Hause
Davids "aufgerichtete Horn" ist dann auch dem neuen Testamente nicht fremd
geblieben; denn bei Lucas (Ev. 1, 69) lobt Zacharias, der Vater Johannes
des Täufers, den Gott Israels ob dieses "Horns des Heiles". Überhaupt
im Morgenlande ist das Horn ein Bild der kriegerischen Macht. Die Tal-
mudisten nennen die Heerführer Hörner des Krieges*). In der Lebensgeschichte
Alexanders des Großen, die aus dem vierten Jahrhundert stammt und seinem
Jugendgenossen Kallisthenes fälschlich zugeschrieben wird, heißt der König der
"Zweihörnige". Aus Anlaß dessen glaubten viele Erklärer des um etwa vier
Jahrhunderte später entstandenen Koran in dein dort genannten "zweihörnigen"
siegreichen Heerführer Alexander den Großen erblicken zu müssen. Mag das
auch unzutreffend sein, so beweist doch auch der Koran gleich dem Talmud und
der Bibel, welche Bedeutung den: Horne beigelegt wurde. Sogar an ihren
Heiligen kannte die christliche Kirche Hörner, so an Martinus (gestorben 409)
in ältester Zeit, bis ihm später die Hörner in Strahlen verwandelt wurden, die
das Haupt umgeben**).

Kein Wunder, daß solch kirchliche Auffassung die Kunst der Renaissance
beeinflußte.

Dem Moses Michelangelos in Rom, der "Krone der modernen Skulptur"
(H. Grimm), wachsen mitten über der Stirn aus dem Haar zwei starke, kurze,
nach vorn gebogene Hörner. Das Papsttum des sechzehnten Jahrhunderts nahm
weniger Anstoß an diesen Hörnern Mosis als die Norweger des zwanzigsten an
denen Frithjofs. Der erste Blick auf das Werk Michelangelos lehrt, was dieser
seltsame Schmuck bedeuten soll. Das ist für Grimm wie auch für Lübke so
selbstverständlich, daß sie keine Silbe darüber verlieren, ja nicht einmal ihren
Lesern vom Vorhandensein dieses Schmuckes überhaupt eine Kunde geben. Sie
begnügen sich vielmehr damit, in der Schöpfung des Künstlers "die sprechendste
Darstellung des größten und gewaltigsten Volksführers" zu sehen, der ein




') Wahl, Der Koran, Halle 1823. Seite 251.
**) W. Hartmann, Theorie und Praxis der Bäckerei. Berlin 1901, Seite 279.
Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

not up ins nom; litt not up ^our Korn on niZn. Nach Psalm 89, 18
kann das Volk jauchzen, weil der Herr seine Stärke ist und durch seine Gnade
unser Horn erhöhen wird. So soll denn auch Davids Horn in des Herrn
Namen erhöht werden; er wird unser Horn erhöhen (Ps. 92, 11). Des Ge¬
rechten Horn wird mit Ehren erhöhet (Ps. 112, 9). In Ägypten will der
Herr das Horn des Hauses Israel wachsen lassen (Hes. 29, 21). Daniel (7, 7 u. 8)
hat nachts das Gesicht eines Tieres mit großen eisernen Zähnen und zehn
Hörnern, zwischen denen noch ein kleines anderes Horn hervorbricht. Em
zweites Gesicht Daniels (8, 6 bis 11) läßt das Horn eines Ziegenbocks bis an
den Himmel wachsen und etliche von den Sternen zur Erde werfen; das große
Horn zwischen seinen Augen ist der erste König in Griechenland (das. 21).
Jeremias beklagt (2, 3 und 17), daß der Herr alle Hörner Israels in seinem
Zorn zerbrochen und seiner Widersacher Horn erhöht hat. Das im Hause
Davids „aufgerichtete Horn" ist dann auch dem neuen Testamente nicht fremd
geblieben; denn bei Lucas (Ev. 1, 69) lobt Zacharias, der Vater Johannes
des Täufers, den Gott Israels ob dieses „Horns des Heiles". Überhaupt
im Morgenlande ist das Horn ein Bild der kriegerischen Macht. Die Tal-
mudisten nennen die Heerführer Hörner des Krieges*). In der Lebensgeschichte
Alexanders des Großen, die aus dem vierten Jahrhundert stammt und seinem
Jugendgenossen Kallisthenes fälschlich zugeschrieben wird, heißt der König der
„Zweihörnige". Aus Anlaß dessen glaubten viele Erklärer des um etwa vier
Jahrhunderte später entstandenen Koran in dein dort genannten „zweihörnigen"
siegreichen Heerführer Alexander den Großen erblicken zu müssen. Mag das
auch unzutreffend sein, so beweist doch auch der Koran gleich dem Talmud und
der Bibel, welche Bedeutung den: Horne beigelegt wurde. Sogar an ihren
Heiligen kannte die christliche Kirche Hörner, so an Martinus (gestorben 409)
in ältester Zeit, bis ihm später die Hörner in Strahlen verwandelt wurden, die
das Haupt umgeben**).

Kein Wunder, daß solch kirchliche Auffassung die Kunst der Renaissance
beeinflußte.

Dem Moses Michelangelos in Rom, der „Krone der modernen Skulptur"
(H. Grimm), wachsen mitten über der Stirn aus dem Haar zwei starke, kurze,
nach vorn gebogene Hörner. Das Papsttum des sechzehnten Jahrhunderts nahm
weniger Anstoß an diesen Hörnern Mosis als die Norweger des zwanzigsten an
denen Frithjofs. Der erste Blick auf das Werk Michelangelos lehrt, was dieser
seltsame Schmuck bedeuten soll. Das ist für Grimm wie auch für Lübke so
selbstverständlich, daß sie keine Silbe darüber verlieren, ja nicht einmal ihren
Lesern vom Vorhandensein dieses Schmuckes überhaupt eine Kunde geben. Sie
begnügen sich vielmehr damit, in der Schöpfung des Künstlers „die sprechendste
Darstellung des größten und gewaltigsten Volksführers" zu sehen, der ein




') Wahl, Der Koran, Halle 1823. Seite 251.
**) W. Hartmann, Theorie und Praxis der Bäckerei. Berlin 1901, Seite 279.
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[0366] Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie not up ins nom; litt not up ^our Korn on niZn. Nach Psalm 89, 18 kann das Volk jauchzen, weil der Herr seine Stärke ist und durch seine Gnade unser Horn erhöhen wird. So soll denn auch Davids Horn in des Herrn Namen erhöht werden; er wird unser Horn erhöhen (Ps. 92, 11). Des Ge¬ rechten Horn wird mit Ehren erhöhet (Ps. 112, 9). In Ägypten will der Herr das Horn des Hauses Israel wachsen lassen (Hes. 29, 21). Daniel (7, 7 u. 8) hat nachts das Gesicht eines Tieres mit großen eisernen Zähnen und zehn Hörnern, zwischen denen noch ein kleines anderes Horn hervorbricht. Em zweites Gesicht Daniels (8, 6 bis 11) läßt das Horn eines Ziegenbocks bis an den Himmel wachsen und etliche von den Sternen zur Erde werfen; das große Horn zwischen seinen Augen ist der erste König in Griechenland (das. 21). Jeremias beklagt (2, 3 und 17), daß der Herr alle Hörner Israels in seinem Zorn zerbrochen und seiner Widersacher Horn erhöht hat. Das im Hause Davids „aufgerichtete Horn" ist dann auch dem neuen Testamente nicht fremd geblieben; denn bei Lucas (Ev. 1, 69) lobt Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, den Gott Israels ob dieses „Horns des Heiles". Überhaupt im Morgenlande ist das Horn ein Bild der kriegerischen Macht. Die Tal- mudisten nennen die Heerführer Hörner des Krieges*). In der Lebensgeschichte Alexanders des Großen, die aus dem vierten Jahrhundert stammt und seinem Jugendgenossen Kallisthenes fälschlich zugeschrieben wird, heißt der König der „Zweihörnige". Aus Anlaß dessen glaubten viele Erklärer des um etwa vier Jahrhunderte später entstandenen Koran in dein dort genannten „zweihörnigen" siegreichen Heerführer Alexander den Großen erblicken zu müssen. Mag das auch unzutreffend sein, so beweist doch auch der Koran gleich dem Talmud und der Bibel, welche Bedeutung den: Horne beigelegt wurde. Sogar an ihren Heiligen kannte die christliche Kirche Hörner, so an Martinus (gestorben 409) in ältester Zeit, bis ihm später die Hörner in Strahlen verwandelt wurden, die das Haupt umgeben**). Kein Wunder, daß solch kirchliche Auffassung die Kunst der Renaissance beeinflußte. Dem Moses Michelangelos in Rom, der „Krone der modernen Skulptur" (H. Grimm), wachsen mitten über der Stirn aus dem Haar zwei starke, kurze, nach vorn gebogene Hörner. Das Papsttum des sechzehnten Jahrhunderts nahm weniger Anstoß an diesen Hörnern Mosis als die Norweger des zwanzigsten an denen Frithjofs. Der erste Blick auf das Werk Michelangelos lehrt, was dieser seltsame Schmuck bedeuten soll. Das ist für Grimm wie auch für Lübke so selbstverständlich, daß sie keine Silbe darüber verlieren, ja nicht einmal ihren Lesern vom Vorhandensein dieses Schmuckes überhaupt eine Kunde geben. Sie begnügen sich vielmehr damit, in der Schöpfung des Künstlers „die sprechendste Darstellung des größten und gewaltigsten Volksführers" zu sehen, der ein ') Wahl, Der Koran, Halle 1823. Seite 251. **) W. Hartmann, Theorie und Praxis der Bäckerei. Berlin 1901, Seite 279.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/366>, abgerufen am 22.07.2024.