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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Eine dramatische Hoffnung

Warum kauft er nur keine Pelzmütze!" Darin liegt mit der tragikomische Kern
seines Don Quichote - Schicksals. In romantische Träume versponnen und un¬
fähig zur Tat. wie ihn die Natur nun einmal geschaffen hat, treibt er mit sich
selbst und mit der eigenen Liebe ein absonderliches Versteckspiel. Und schließlich
rettet er sich aus den Krisen seiner Menschlichkeit in den Glauben an eine ge¬
heime Mystik des Bluts. Das Kind, das Olimpia von Lissandro unterm Herzen
trägt, soll seine, Cardenios, Züge tragen, soll seines Blutes, seines Geistes sein.
Der Gedanke bohrt sich in sein Hirn ein. "Im Becher deines Schreckens
schäumt jetzt mein Blut in deines", ruft er Olimpia entgegen und zwingt sie,
seinen Blick auszuhalten. Zum ersten Male wächst sein Wille riesenstark empor.
Und wenn er gleich darauf in den selbstgewählten Tod geht, weil er, mit Unrat
bedeckt und von Ekel geschüttelt, nicht länger leben mag, ist er zum ersten Male
ein ganzer und in sich selber sicherer Mann. Denn er nimmt die Gewißheit an
die Kraft seines Zaubers mit sich; die Gewißheit, daß sein und Olimpias Kind
leben, daß es seine, des armen Narren Cardenio leibhaftige Züge tragen wird.

Die hier kurz geschilderte Entwicklung ist geradezu typisch für die weltab¬
gewandte, sympathische und doch wieder schwer zugängliche Art der Dülbergschen
Kunst. Wer den "Cardenio" nicht kennt, wird nach dieser flüchtigen Schilderung
eine spitzfindige Problematik, eine unglaubliche psychologische Konstruktion in der
Dülbergschen Tragödie wittern. Und tatsächlich ist auch die bis in die letzten
Konsequenzen hochgetriebene mystische Psychologie wohl der wundeste Punkt der
Dichtung. Ob wir als Menschen einer klareren Epoche an die von Dülberg
herangezogene geheimnisvolle Blutbeeinflussung glauben wollen oder nicht, scheint
nur dabei eine Frage von sekundärer Bedeutung. Wichtiger bleibt, ob Cardenios
und Olimpias Glaube an diese Mystik stark und überzeugend genug dargestellt,
lebendig gemacht worden ist. Und das scheint mir denn doch nicht ganz gelungen
zu sein. Wie so oft bei Hebbel spürt man auch hier letzten Endes das Stecken¬
bleiben eines weit ausholenden Dichters im Gedanklichen, das Aufgeben einer
rein künstlerischen Anschauung zugunsten einer abstrakt zugespitzten Idee. So
kommt in die stolze Szenenfolge des "Cardenio" etwas Erkältendes, Ernüchtern¬
des; ein Ton, der an entscheidenden Punkten matt klingt und nicht recht
überzeugt.

Das gleiche Schauspiel also wie im " Korallen tellur " : Ein prachtvoller
Aufstieg, eine gradlinig wuchtige dramatische Steigerung im besten und schönsten
Sinne, und dann eine Lösung, die eine leise Müdigkeit des Bildners (nicht des
Denkers!) merken läßt. Die ersten beiden Akte des "Cardenio". mit ihrem
farbensatten Renaissancebilde, mit der verhaltenen Glut ihrer Verse und mit der
eleganten Geistigkeit ihres Dialogs find ein ganz erlesenes Juwel aus den Schatz"
kammern deutscher Dramatik. Aber gerade weil sie so stolze Hoffnungen wecken,
gerade weil sie auf einen längst nicht erschöpften Brunnen deuten -- gerade
deshalb möchte man den Nest einer unbewältigten Ideenwelt, der sich hinter
ihnen auftut, zu allen Teufeln jagen. Wer als Melodienfinder, als Bildner,


Eine dramatische Hoffnung

Warum kauft er nur keine Pelzmütze!" Darin liegt mit der tragikomische Kern
seines Don Quichote - Schicksals. In romantische Träume versponnen und un¬
fähig zur Tat. wie ihn die Natur nun einmal geschaffen hat, treibt er mit sich
selbst und mit der eigenen Liebe ein absonderliches Versteckspiel. Und schließlich
rettet er sich aus den Krisen seiner Menschlichkeit in den Glauben an eine ge¬
heime Mystik des Bluts. Das Kind, das Olimpia von Lissandro unterm Herzen
trägt, soll seine, Cardenios, Züge tragen, soll seines Blutes, seines Geistes sein.
Der Gedanke bohrt sich in sein Hirn ein. „Im Becher deines Schreckens
schäumt jetzt mein Blut in deines", ruft er Olimpia entgegen und zwingt sie,
seinen Blick auszuhalten. Zum ersten Male wächst sein Wille riesenstark empor.
Und wenn er gleich darauf in den selbstgewählten Tod geht, weil er, mit Unrat
bedeckt und von Ekel geschüttelt, nicht länger leben mag, ist er zum ersten Male
ein ganzer und in sich selber sicherer Mann. Denn er nimmt die Gewißheit an
die Kraft seines Zaubers mit sich; die Gewißheit, daß sein und Olimpias Kind
leben, daß es seine, des armen Narren Cardenio leibhaftige Züge tragen wird.

Die hier kurz geschilderte Entwicklung ist geradezu typisch für die weltab¬
gewandte, sympathische und doch wieder schwer zugängliche Art der Dülbergschen
Kunst. Wer den „Cardenio" nicht kennt, wird nach dieser flüchtigen Schilderung
eine spitzfindige Problematik, eine unglaubliche psychologische Konstruktion in der
Dülbergschen Tragödie wittern. Und tatsächlich ist auch die bis in die letzten
Konsequenzen hochgetriebene mystische Psychologie wohl der wundeste Punkt der
Dichtung. Ob wir als Menschen einer klareren Epoche an die von Dülberg
herangezogene geheimnisvolle Blutbeeinflussung glauben wollen oder nicht, scheint
nur dabei eine Frage von sekundärer Bedeutung. Wichtiger bleibt, ob Cardenios
und Olimpias Glaube an diese Mystik stark und überzeugend genug dargestellt,
lebendig gemacht worden ist. Und das scheint mir denn doch nicht ganz gelungen
zu sein. Wie so oft bei Hebbel spürt man auch hier letzten Endes das Stecken¬
bleiben eines weit ausholenden Dichters im Gedanklichen, das Aufgeben einer
rein künstlerischen Anschauung zugunsten einer abstrakt zugespitzten Idee. So
kommt in die stolze Szenenfolge des „Cardenio" etwas Erkältendes, Ernüchtern¬
des; ein Ton, der an entscheidenden Punkten matt klingt und nicht recht
überzeugt.

Das gleiche Schauspiel also wie im „ Korallen tellur " : Ein prachtvoller
Aufstieg, eine gradlinig wuchtige dramatische Steigerung im besten und schönsten
Sinne, und dann eine Lösung, die eine leise Müdigkeit des Bildners (nicht des
Denkers!) merken läßt. Die ersten beiden Akte des „Cardenio". mit ihrem
farbensatten Renaissancebilde, mit der verhaltenen Glut ihrer Verse und mit der
eleganten Geistigkeit ihres Dialogs find ein ganz erlesenes Juwel aus den Schatz"
kammern deutscher Dramatik. Aber gerade weil sie so stolze Hoffnungen wecken,
gerade weil sie auf einen längst nicht erschöpften Brunnen deuten — gerade
deshalb möchte man den Nest einer unbewältigten Ideenwelt, der sich hinter
ihnen auftut, zu allen Teufeln jagen. Wer als Melodienfinder, als Bildner,


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[0334] Eine dramatische Hoffnung Warum kauft er nur keine Pelzmütze!" Darin liegt mit der tragikomische Kern seines Don Quichote - Schicksals. In romantische Träume versponnen und un¬ fähig zur Tat. wie ihn die Natur nun einmal geschaffen hat, treibt er mit sich selbst und mit der eigenen Liebe ein absonderliches Versteckspiel. Und schließlich rettet er sich aus den Krisen seiner Menschlichkeit in den Glauben an eine ge¬ heime Mystik des Bluts. Das Kind, das Olimpia von Lissandro unterm Herzen trägt, soll seine, Cardenios, Züge tragen, soll seines Blutes, seines Geistes sein. Der Gedanke bohrt sich in sein Hirn ein. „Im Becher deines Schreckens schäumt jetzt mein Blut in deines", ruft er Olimpia entgegen und zwingt sie, seinen Blick auszuhalten. Zum ersten Male wächst sein Wille riesenstark empor. Und wenn er gleich darauf in den selbstgewählten Tod geht, weil er, mit Unrat bedeckt und von Ekel geschüttelt, nicht länger leben mag, ist er zum ersten Male ein ganzer und in sich selber sicherer Mann. Denn er nimmt die Gewißheit an die Kraft seines Zaubers mit sich; die Gewißheit, daß sein und Olimpias Kind leben, daß es seine, des armen Narren Cardenio leibhaftige Züge tragen wird. Die hier kurz geschilderte Entwicklung ist geradezu typisch für die weltab¬ gewandte, sympathische und doch wieder schwer zugängliche Art der Dülbergschen Kunst. Wer den „Cardenio" nicht kennt, wird nach dieser flüchtigen Schilderung eine spitzfindige Problematik, eine unglaubliche psychologische Konstruktion in der Dülbergschen Tragödie wittern. Und tatsächlich ist auch die bis in die letzten Konsequenzen hochgetriebene mystische Psychologie wohl der wundeste Punkt der Dichtung. Ob wir als Menschen einer klareren Epoche an die von Dülberg herangezogene geheimnisvolle Blutbeeinflussung glauben wollen oder nicht, scheint nur dabei eine Frage von sekundärer Bedeutung. Wichtiger bleibt, ob Cardenios und Olimpias Glaube an diese Mystik stark und überzeugend genug dargestellt, lebendig gemacht worden ist. Und das scheint mir denn doch nicht ganz gelungen zu sein. Wie so oft bei Hebbel spürt man auch hier letzten Endes das Stecken¬ bleiben eines weit ausholenden Dichters im Gedanklichen, das Aufgeben einer rein künstlerischen Anschauung zugunsten einer abstrakt zugespitzten Idee. So kommt in die stolze Szenenfolge des „Cardenio" etwas Erkältendes, Ernüchtern¬ des; ein Ton, der an entscheidenden Punkten matt klingt und nicht recht überzeugt. Das gleiche Schauspiel also wie im „ Korallen tellur " : Ein prachtvoller Aufstieg, eine gradlinig wuchtige dramatische Steigerung im besten und schönsten Sinne, und dann eine Lösung, die eine leise Müdigkeit des Bildners (nicht des Denkers!) merken läßt. Die ersten beiden Akte des „Cardenio". mit ihrem farbensatten Renaissancebilde, mit der verhaltenen Glut ihrer Verse und mit der eleganten Geistigkeit ihres Dialogs find ein ganz erlesenes Juwel aus den Schatz" kammern deutscher Dramatik. Aber gerade weil sie so stolze Hoffnungen wecken, gerade weil sie auf einen längst nicht erschöpften Brunnen deuten — gerade deshalb möchte man den Nest einer unbewältigten Ideenwelt, der sich hinter ihnen auftut, zu allen Teufeln jagen. Wer als Melodienfinder, als Bildner,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/334>, abgerufen am 22.07.2024.