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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Line dramatische Hoffnung

herabgestimmte Hoffnung auch heute noch klammert. Der laute Markterfolg ist
ihm bisher versagt geblieben. Zunächst wohl deshalb: weil ihm die sonst so
fixe Unterstützung von feiten literarischer Cliquen und Blutsbruderschaften gefehlt
hat. Sodann aber: weil die Wege, die er geht, zu entlegen, zu einsam und
zu alltagsfern sind, um der Spürnase des göttlichen Momus schmeicheln zu
können. Ein Zufall hat es gewollt, daß der Name dieses reserviertesten und
vielleicht adligsten unter den heutigen Dramatikern erst an dem Tage in die
breitere Öffentlichkeit drang, an dem seine Tragödie "Koralleukettlin" von einem
polizeilichen Zensurverbote betroffen wurde. Zu dem Verbote selber, das in¬
zwischen durch die rechtskräftige Entscheidung des königlich preußischen Ober¬
verwaltungsgerichts bestätigt worden ist, soll hier nicht Stellung genommen
werden. Es wird nur deshalb erwähnt, weil es den Anlaß zu einer kurzen
Betrachtung des Mannes und seines Werkes gibt.

Franz Dülbergs dichterisches Profil läßt sich am besten umreißen, wenn
man von ihm sagt, daß es tiefen männlichen Ernst, Feierlichkeit, Keuschheit und
szenischen Schwung in sich vereinigt. Etwas Sinfonisches klingt uns aus seinen
Dramen*) entgegen; ein bewußt oder unbewußt gesteigertes Lebensgefühl, und
jene auf musikalisch-rhythmische Wirkungen gestellte Feiertagsgehobenheit, die
immer die erste Vorbedingung für die große Stiltragödie gewesen ist. Ein
Pathos ist hier gefunden, das wahrhaftig nicht nach den Schreibtischen un¬
berufener Literaten riecht; das Pathos einer Zeit, die von unerlebtem
Epigonentum durch Abgründe getrennt ist; das Pathos unserer Zeit, gewachsen
aus der Weltanschauung, dem Glauben, der Atmosphäre heutiger Menschen.
Denn das ist das Bedeutsamste an der Erscheinung des Dichters Franz
Dülberg: aus dem Tohuwabohu der neudeutschen künstlerischen Kultur, die so
stolz dasteht mit ihren Nerven, ihrer "Fortgeschrittenheit", ihrer Skepsis, und
die in Wahrheit so klein und armselig ist, weil sie den Mut zur schöpferischen
Tat, zum Stilgefühl der großen Linie verloren hat -- aus diesem Tohuwabohu
baut er sich die Brücke, die nach oben führt, schafft er sich die neuen Formen,
nach denen eine neue Zeit verlangt. Hier ist der seltene, ganz seltene Fall
Ereignis geworden, daß ein kultivierter und differenzierter heutiger Mensch, der
die Lasten unseres Wissens und Besserwissens so gut wie jeder andere mit sich
herumschleppen muß, aus eigener Kraft zu dem fröhlichen Positivismus eines
neuen Glaubens gelangt.

Das Drama "König Schrei" zeigt vielleicht am klarsten die bedeutende
Linie, die durch das Dülbergsche Schaffen geht. Man wird in der zeit¬
genössischen Literatur kaum etwas finden, was sich an Kühnheit der dichterischen
Vision und an Großartigkeit der Problemstellung mit dieser dramatischen Phantasie
vergleichen läßt. Nicht umsonst hat der Dichter sein Buch den drei großen



*) Bisher liegen vor: "König Schrei" (R. Piper u. Co., München), "Korcillenkettlin"
und "Cardenio" (Egon Fleischel u. Co., Berlin).
Line dramatische Hoffnung

herabgestimmte Hoffnung auch heute noch klammert. Der laute Markterfolg ist
ihm bisher versagt geblieben. Zunächst wohl deshalb: weil ihm die sonst so
fixe Unterstützung von feiten literarischer Cliquen und Blutsbruderschaften gefehlt
hat. Sodann aber: weil die Wege, die er geht, zu entlegen, zu einsam und
zu alltagsfern sind, um der Spürnase des göttlichen Momus schmeicheln zu
können. Ein Zufall hat es gewollt, daß der Name dieses reserviertesten und
vielleicht adligsten unter den heutigen Dramatikern erst an dem Tage in die
breitere Öffentlichkeit drang, an dem seine Tragödie „Koralleukettlin" von einem
polizeilichen Zensurverbote betroffen wurde. Zu dem Verbote selber, das in¬
zwischen durch die rechtskräftige Entscheidung des königlich preußischen Ober¬
verwaltungsgerichts bestätigt worden ist, soll hier nicht Stellung genommen
werden. Es wird nur deshalb erwähnt, weil es den Anlaß zu einer kurzen
Betrachtung des Mannes und seines Werkes gibt.

Franz Dülbergs dichterisches Profil läßt sich am besten umreißen, wenn
man von ihm sagt, daß es tiefen männlichen Ernst, Feierlichkeit, Keuschheit und
szenischen Schwung in sich vereinigt. Etwas Sinfonisches klingt uns aus seinen
Dramen*) entgegen; ein bewußt oder unbewußt gesteigertes Lebensgefühl, und
jene auf musikalisch-rhythmische Wirkungen gestellte Feiertagsgehobenheit, die
immer die erste Vorbedingung für die große Stiltragödie gewesen ist. Ein
Pathos ist hier gefunden, das wahrhaftig nicht nach den Schreibtischen un¬
berufener Literaten riecht; das Pathos einer Zeit, die von unerlebtem
Epigonentum durch Abgründe getrennt ist; das Pathos unserer Zeit, gewachsen
aus der Weltanschauung, dem Glauben, der Atmosphäre heutiger Menschen.
Denn das ist das Bedeutsamste an der Erscheinung des Dichters Franz
Dülberg: aus dem Tohuwabohu der neudeutschen künstlerischen Kultur, die so
stolz dasteht mit ihren Nerven, ihrer „Fortgeschrittenheit", ihrer Skepsis, und
die in Wahrheit so klein und armselig ist, weil sie den Mut zur schöpferischen
Tat, zum Stilgefühl der großen Linie verloren hat — aus diesem Tohuwabohu
baut er sich die Brücke, die nach oben führt, schafft er sich die neuen Formen,
nach denen eine neue Zeit verlangt. Hier ist der seltene, ganz seltene Fall
Ereignis geworden, daß ein kultivierter und differenzierter heutiger Mensch, der
die Lasten unseres Wissens und Besserwissens so gut wie jeder andere mit sich
herumschleppen muß, aus eigener Kraft zu dem fröhlichen Positivismus eines
neuen Glaubens gelangt.

Das Drama „König Schrei" zeigt vielleicht am klarsten die bedeutende
Linie, die durch das Dülbergsche Schaffen geht. Man wird in der zeit¬
genössischen Literatur kaum etwas finden, was sich an Kühnheit der dichterischen
Vision und an Großartigkeit der Problemstellung mit dieser dramatischen Phantasie
vergleichen läßt. Nicht umsonst hat der Dichter sein Buch den drei großen



*) Bisher liegen vor: „König Schrei" (R. Piper u. Co., München), „Korcillenkettlin"
und „Cardenio" (Egon Fleischel u. Co., Berlin).
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[0330] Line dramatische Hoffnung herabgestimmte Hoffnung auch heute noch klammert. Der laute Markterfolg ist ihm bisher versagt geblieben. Zunächst wohl deshalb: weil ihm die sonst so fixe Unterstützung von feiten literarischer Cliquen und Blutsbruderschaften gefehlt hat. Sodann aber: weil die Wege, die er geht, zu entlegen, zu einsam und zu alltagsfern sind, um der Spürnase des göttlichen Momus schmeicheln zu können. Ein Zufall hat es gewollt, daß der Name dieses reserviertesten und vielleicht adligsten unter den heutigen Dramatikern erst an dem Tage in die breitere Öffentlichkeit drang, an dem seine Tragödie „Koralleukettlin" von einem polizeilichen Zensurverbote betroffen wurde. Zu dem Verbote selber, das in¬ zwischen durch die rechtskräftige Entscheidung des königlich preußischen Ober¬ verwaltungsgerichts bestätigt worden ist, soll hier nicht Stellung genommen werden. Es wird nur deshalb erwähnt, weil es den Anlaß zu einer kurzen Betrachtung des Mannes und seines Werkes gibt. Franz Dülbergs dichterisches Profil läßt sich am besten umreißen, wenn man von ihm sagt, daß es tiefen männlichen Ernst, Feierlichkeit, Keuschheit und szenischen Schwung in sich vereinigt. Etwas Sinfonisches klingt uns aus seinen Dramen*) entgegen; ein bewußt oder unbewußt gesteigertes Lebensgefühl, und jene auf musikalisch-rhythmische Wirkungen gestellte Feiertagsgehobenheit, die immer die erste Vorbedingung für die große Stiltragödie gewesen ist. Ein Pathos ist hier gefunden, das wahrhaftig nicht nach den Schreibtischen un¬ berufener Literaten riecht; das Pathos einer Zeit, die von unerlebtem Epigonentum durch Abgründe getrennt ist; das Pathos unserer Zeit, gewachsen aus der Weltanschauung, dem Glauben, der Atmosphäre heutiger Menschen. Denn das ist das Bedeutsamste an der Erscheinung des Dichters Franz Dülberg: aus dem Tohuwabohu der neudeutschen künstlerischen Kultur, die so stolz dasteht mit ihren Nerven, ihrer „Fortgeschrittenheit", ihrer Skepsis, und die in Wahrheit so klein und armselig ist, weil sie den Mut zur schöpferischen Tat, zum Stilgefühl der großen Linie verloren hat — aus diesem Tohuwabohu baut er sich die Brücke, die nach oben führt, schafft er sich die neuen Formen, nach denen eine neue Zeit verlangt. Hier ist der seltene, ganz seltene Fall Ereignis geworden, daß ein kultivierter und differenzierter heutiger Mensch, der die Lasten unseres Wissens und Besserwissens so gut wie jeder andere mit sich herumschleppen muß, aus eigener Kraft zu dem fröhlichen Positivismus eines neuen Glaubens gelangt. Das Drama „König Schrei" zeigt vielleicht am klarsten die bedeutende Linie, die durch das Dülbergsche Schaffen geht. Man wird in der zeit¬ genössischen Literatur kaum etwas finden, was sich an Kühnheit der dichterischen Vision und an Großartigkeit der Problemstellung mit dieser dramatischen Phantasie vergleichen läßt. Nicht umsonst hat der Dichter sein Buch den drei großen *) Bisher liegen vor: „König Schrei" (R. Piper u. Co., München), „Korcillenkettlin" und „Cardenio" (Egon Fleischel u. Co., Berlin).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/330>, abgerufen am 02.10.2024.