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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reform der inneren Verwaltung

großer Vertrautheit der einschlägigen Verhältnisse als Unabhängigkeit der Auf¬
fassung geführt werden konnte.

Inzwischen ist es hiermit allerdings in mancher Hinsicht anders geworden.
Schon Bismarck hebt in seinen "Gedanken und Erinnerungen" hervor, daß der
Landratsposten hauptsächlich als unterste Stufe der Verwaltungslaufbahn auf¬
gesucht wird, um Karriere zu machen. Und seitdem haben sich die Ausfassungen
mehr und mehr in diesem Sinne entwickelt. Im übrigen haben die Landrats¬
ämter zum Teil eine solche Ausdehnung gewonnen, daß ihre Geschäfte nur noch
mit Hilfe eines Assessors oder gar deren zwei sowie eines übergroßen Bureau"
Personals bewältigt werden können. Solche Ämter ähneln mehr oder weniger
bereits kleinen Regierungen. Von einer Geschäftsverhandlung, wie sie für die
unterste Verwaltungsbehörde die Regel bilden soll, kann bei ihnen kaum mehr
die Rede sein. In Anbetracht der sich stets vermehrenden Arbeitslast werden sie
immer weniger in der Lage sein, das Material selbständig und einheitlich zu
verarbeiten, vielmehr sich zum großen Teil darauf angewiesen sehen, jenes, wie
es von den unter ihnen stehenden Organen beigebracht wird, weiterzugehen.
Damit verlieren die Landratsämter aber ihren so wesentlichen Charakter als
unterste Verwaltungsbehörden, über deren Existenzberechtigung sich zum mindesten
streiten läßt.

Wenn unter diesen Umständen noch Stimmen laut geworden sind, welche,
dem Gedanken der Dezentralisation folgend, den Landratsämtern noch weitere
Geschäfte übertragen wollen, so hieße dies, die ungünstige Entwicklung, welche
die Dinge genommen haben, nur noch beschleunigen und ein für allemal
festlegen.

Anderseits wäre nicht einzusehen, welchen Nutzen die grundsätzliche Aus¬
dehnung der landrätlichen Tätigkeit für die Verwaltung haben könnte. Briefe,
telephonische oder telegraphische Nachrichten gelangen auf das Landratsamt kaum
schneller als zu der Regierung. Und auch an der Kenntnis der örtlichen Ver¬
hältnisse braucht es dem Regierungsbeamten im speziellen Falle nicht zu fehlen.
Er kann sie sich aus eigener Anschauung ebensogut wie der Lokalbeamte ver¬
schaffen. Im übrigen steht ihm der Landrat als Berater, soweit es erforderlich
sein sollte, zur Seite. '

Gibt es daher an den Landratsämtern etwas zu ändern, so könnte dies
unseres Erachtens nur in dem Sinne geschehen, daß ihr Geschäftsumfang überall,
wo es not tut, auf ein dem Charakter des Amts entsprechendes Maß herab¬
gesetzt und erhalten wird. Zum wenigstens müßte dafür Sorge getragen
werden, daß der weiteren übermäßigen Ausdehnung der landrätlichen Tätigkeit
Schranken gesetzt wird.

Was wir von den Landratsämtern gesagt haben, kann allerdings hin¬
sichtlich der unteren Verwaltungsbehörden, soweit sie kreisfreie Städte sind,
kaum Anwendung finden. Bei den Städten handelt es sich naturgemäß um
gegebene Verwaltungsbezirke, welche weder nach den, Geschäftsumfange noch


Reform der inneren Verwaltung

großer Vertrautheit der einschlägigen Verhältnisse als Unabhängigkeit der Auf¬
fassung geführt werden konnte.

Inzwischen ist es hiermit allerdings in mancher Hinsicht anders geworden.
Schon Bismarck hebt in seinen „Gedanken und Erinnerungen" hervor, daß der
Landratsposten hauptsächlich als unterste Stufe der Verwaltungslaufbahn auf¬
gesucht wird, um Karriere zu machen. Und seitdem haben sich die Ausfassungen
mehr und mehr in diesem Sinne entwickelt. Im übrigen haben die Landrats¬
ämter zum Teil eine solche Ausdehnung gewonnen, daß ihre Geschäfte nur noch
mit Hilfe eines Assessors oder gar deren zwei sowie eines übergroßen Bureau«
Personals bewältigt werden können. Solche Ämter ähneln mehr oder weniger
bereits kleinen Regierungen. Von einer Geschäftsverhandlung, wie sie für die
unterste Verwaltungsbehörde die Regel bilden soll, kann bei ihnen kaum mehr
die Rede sein. In Anbetracht der sich stets vermehrenden Arbeitslast werden sie
immer weniger in der Lage sein, das Material selbständig und einheitlich zu
verarbeiten, vielmehr sich zum großen Teil darauf angewiesen sehen, jenes, wie
es von den unter ihnen stehenden Organen beigebracht wird, weiterzugehen.
Damit verlieren die Landratsämter aber ihren so wesentlichen Charakter als
unterste Verwaltungsbehörden, über deren Existenzberechtigung sich zum mindesten
streiten läßt.

Wenn unter diesen Umständen noch Stimmen laut geworden sind, welche,
dem Gedanken der Dezentralisation folgend, den Landratsämtern noch weitere
Geschäfte übertragen wollen, so hieße dies, die ungünstige Entwicklung, welche
die Dinge genommen haben, nur noch beschleunigen und ein für allemal
festlegen.

Anderseits wäre nicht einzusehen, welchen Nutzen die grundsätzliche Aus¬
dehnung der landrätlichen Tätigkeit für die Verwaltung haben könnte. Briefe,
telephonische oder telegraphische Nachrichten gelangen auf das Landratsamt kaum
schneller als zu der Regierung. Und auch an der Kenntnis der örtlichen Ver¬
hältnisse braucht es dem Regierungsbeamten im speziellen Falle nicht zu fehlen.
Er kann sie sich aus eigener Anschauung ebensogut wie der Lokalbeamte ver¬
schaffen. Im übrigen steht ihm der Landrat als Berater, soweit es erforderlich
sein sollte, zur Seite. '

Gibt es daher an den Landratsämtern etwas zu ändern, so könnte dies
unseres Erachtens nur in dem Sinne geschehen, daß ihr Geschäftsumfang überall,
wo es not tut, auf ein dem Charakter des Amts entsprechendes Maß herab¬
gesetzt und erhalten wird. Zum wenigstens müßte dafür Sorge getragen
werden, daß der weiteren übermäßigen Ausdehnung der landrätlichen Tätigkeit
Schranken gesetzt wird.

Was wir von den Landratsämtern gesagt haben, kann allerdings hin¬
sichtlich der unteren Verwaltungsbehörden, soweit sie kreisfreie Städte sind,
kaum Anwendung finden. Bei den Städten handelt es sich naturgemäß um
gegebene Verwaltungsbezirke, welche weder nach den, Geschäftsumfange noch


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[0324] Reform der inneren Verwaltung großer Vertrautheit der einschlägigen Verhältnisse als Unabhängigkeit der Auf¬ fassung geführt werden konnte. Inzwischen ist es hiermit allerdings in mancher Hinsicht anders geworden. Schon Bismarck hebt in seinen „Gedanken und Erinnerungen" hervor, daß der Landratsposten hauptsächlich als unterste Stufe der Verwaltungslaufbahn auf¬ gesucht wird, um Karriere zu machen. Und seitdem haben sich die Ausfassungen mehr und mehr in diesem Sinne entwickelt. Im übrigen haben die Landrats¬ ämter zum Teil eine solche Ausdehnung gewonnen, daß ihre Geschäfte nur noch mit Hilfe eines Assessors oder gar deren zwei sowie eines übergroßen Bureau« Personals bewältigt werden können. Solche Ämter ähneln mehr oder weniger bereits kleinen Regierungen. Von einer Geschäftsverhandlung, wie sie für die unterste Verwaltungsbehörde die Regel bilden soll, kann bei ihnen kaum mehr die Rede sein. In Anbetracht der sich stets vermehrenden Arbeitslast werden sie immer weniger in der Lage sein, das Material selbständig und einheitlich zu verarbeiten, vielmehr sich zum großen Teil darauf angewiesen sehen, jenes, wie es von den unter ihnen stehenden Organen beigebracht wird, weiterzugehen. Damit verlieren die Landratsämter aber ihren so wesentlichen Charakter als unterste Verwaltungsbehörden, über deren Existenzberechtigung sich zum mindesten streiten läßt. Wenn unter diesen Umständen noch Stimmen laut geworden sind, welche, dem Gedanken der Dezentralisation folgend, den Landratsämtern noch weitere Geschäfte übertragen wollen, so hieße dies, die ungünstige Entwicklung, welche die Dinge genommen haben, nur noch beschleunigen und ein für allemal festlegen. Anderseits wäre nicht einzusehen, welchen Nutzen die grundsätzliche Aus¬ dehnung der landrätlichen Tätigkeit für die Verwaltung haben könnte. Briefe, telephonische oder telegraphische Nachrichten gelangen auf das Landratsamt kaum schneller als zu der Regierung. Und auch an der Kenntnis der örtlichen Ver¬ hältnisse braucht es dem Regierungsbeamten im speziellen Falle nicht zu fehlen. Er kann sie sich aus eigener Anschauung ebensogut wie der Lokalbeamte ver¬ schaffen. Im übrigen steht ihm der Landrat als Berater, soweit es erforderlich sein sollte, zur Seite. ' Gibt es daher an den Landratsämtern etwas zu ändern, so könnte dies unseres Erachtens nur in dem Sinne geschehen, daß ihr Geschäftsumfang überall, wo es not tut, auf ein dem Charakter des Amts entsprechendes Maß herab¬ gesetzt und erhalten wird. Zum wenigstens müßte dafür Sorge getragen werden, daß der weiteren übermäßigen Ausdehnung der landrätlichen Tätigkeit Schranken gesetzt wird. Was wir von den Landratsämtern gesagt haben, kann allerdings hin¬ sichtlich der unteren Verwaltungsbehörden, soweit sie kreisfreie Städte sind, kaum Anwendung finden. Bei den Städten handelt es sich naturgemäß um gegebene Verwaltungsbezirke, welche weder nach den, Geschäftsumfange noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/324>, abgerufen am 28.09.2024.