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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reform der inneren vorwaltung

Anordnungen der Verwaltungsbehörden durch die sich um praktische Ziele nicht
kümmernden Gerichtsbehörden das Publikum in immer gesteigertem Maße ver¬
anlaßt, von Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, wie dies durch die Erfahrung
genugsam bestätigt wird.

Alles in allem bedeutet daher das Recht in der Verwaltung Mehrarbeit,
die auch in Zukunft in stetigem Wachsen begriffen sein wird, im übrigen bis
zu einem gewissen Grade einen schwerfälligen, schwankenden Gang des ganzen
Verwaltungsapparates.

Ist es nun sicher, daß die jetzt vorhandenen Verhältnisse in unserer Ver¬
waltung sich erst in den letzten Jahrzehnten allmählich herausgebildet haben
und von den Anschauungen der neuesten Zeit mehr denn je getragen werden,
so liegt es auf der Hand, daß der Glaube, es könne sich bei der Reform
unserer Verwaltung nur um Beseitigung veralteter Mängel handeln, um dadurch
zu einer Art Ideal von Verwaltungseinrichtungen zu gelangen, sich als trügerisch
erweisen muß. Im Gegenteil, die Einfachheit von einst ist durch die neuzeit¬
lichen Anschauungen zu Grabe getragen worden. Und ohne Aufgabe dieser
Anschauungen, ohne durchgreifende Umbildung wird sie in ähnlicher Weise nicht
wiederzuerlangen sein. Gewiß wird nach der einen oder der anderen Richtung
die bessernde Hand angelegt werden können; vieles wird im Sinne der Ver¬
einfachung abgeändert werden können. Aber man erwarte hiervon keine Wunder.
Bei Aufrechterhaltung der vorhandenen grundsätzlichen Anschauungen wird im
großen und ganzen alles beim alten bleiben müssen.

Unter diesem Gesichtspunkt sieht es daher mit einem nachhaltigen Erfolg
der Verwaltungsreform trübe aus.

Und wohl aus diesem Empfinden heraus ist von vielen Seiten die Reform
nach einer anderen Richtung gedacht worden, die ihrer allgemeinen Bedeutung
nach mit "Dezentralisation" bezeichnet worden ist.

Man glaubt zu dem erwünschten Ziele zu gelangen, wenn die Entscheidung
weit mehr als bisher den höheren, namentlich den Zentralbehörden entzogen
und den unteren Behörden überlassen wird.

An und für sich ist es keine Frage, daß eine solches anstrebende Organi¬
sation eine bedeutende Vereinfachung herbeiführen könnte. Aber Vereinfachung
ist schließlich doch nicht das erste und letzte Ziel einer staatlichen Verwaltung.
Und es ist die Frage, ob nicht im staatlichen Interesse einer weitgehenden
Dezentralisation gegenüber große Vorsicht am Platze sein dürfte.

Je mehr die Entscheidung in den Händen der unteren Behörden ruht, um
so mehr muß die Zentralstelle den Materien, bei denen sie gar zu wenig praktisch
mitzuwirken hat, fremd werden. Die Kenntnis einer Fülle von Einzelheiten,
jener Details, wie sie unser großer Verwaltungskönig nannte, muß ihr mehr
und mehr verloren gehen, damit zugleich aber die für eine freie Entschließung
erforderliche vollständige Beherrschung des Gegenstandes. Statt dessen werden
sich theoretische Erwägungen vordrängen. Vor allen Dingen wird aber eine


Reform der inneren vorwaltung

Anordnungen der Verwaltungsbehörden durch die sich um praktische Ziele nicht
kümmernden Gerichtsbehörden das Publikum in immer gesteigertem Maße ver¬
anlaßt, von Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, wie dies durch die Erfahrung
genugsam bestätigt wird.

Alles in allem bedeutet daher das Recht in der Verwaltung Mehrarbeit,
die auch in Zukunft in stetigem Wachsen begriffen sein wird, im übrigen bis
zu einem gewissen Grade einen schwerfälligen, schwankenden Gang des ganzen
Verwaltungsapparates.

Ist es nun sicher, daß die jetzt vorhandenen Verhältnisse in unserer Ver¬
waltung sich erst in den letzten Jahrzehnten allmählich herausgebildet haben
und von den Anschauungen der neuesten Zeit mehr denn je getragen werden,
so liegt es auf der Hand, daß der Glaube, es könne sich bei der Reform
unserer Verwaltung nur um Beseitigung veralteter Mängel handeln, um dadurch
zu einer Art Ideal von Verwaltungseinrichtungen zu gelangen, sich als trügerisch
erweisen muß. Im Gegenteil, die Einfachheit von einst ist durch die neuzeit¬
lichen Anschauungen zu Grabe getragen worden. Und ohne Aufgabe dieser
Anschauungen, ohne durchgreifende Umbildung wird sie in ähnlicher Weise nicht
wiederzuerlangen sein. Gewiß wird nach der einen oder der anderen Richtung
die bessernde Hand angelegt werden können; vieles wird im Sinne der Ver¬
einfachung abgeändert werden können. Aber man erwarte hiervon keine Wunder.
Bei Aufrechterhaltung der vorhandenen grundsätzlichen Anschauungen wird im
großen und ganzen alles beim alten bleiben müssen.

Unter diesem Gesichtspunkt sieht es daher mit einem nachhaltigen Erfolg
der Verwaltungsreform trübe aus.

Und wohl aus diesem Empfinden heraus ist von vielen Seiten die Reform
nach einer anderen Richtung gedacht worden, die ihrer allgemeinen Bedeutung
nach mit „Dezentralisation" bezeichnet worden ist.

Man glaubt zu dem erwünschten Ziele zu gelangen, wenn die Entscheidung
weit mehr als bisher den höheren, namentlich den Zentralbehörden entzogen
und den unteren Behörden überlassen wird.

An und für sich ist es keine Frage, daß eine solches anstrebende Organi¬
sation eine bedeutende Vereinfachung herbeiführen könnte. Aber Vereinfachung
ist schließlich doch nicht das erste und letzte Ziel einer staatlichen Verwaltung.
Und es ist die Frage, ob nicht im staatlichen Interesse einer weitgehenden
Dezentralisation gegenüber große Vorsicht am Platze sein dürfte.

Je mehr die Entscheidung in den Händen der unteren Behörden ruht, um
so mehr muß die Zentralstelle den Materien, bei denen sie gar zu wenig praktisch
mitzuwirken hat, fremd werden. Die Kenntnis einer Fülle von Einzelheiten,
jener Details, wie sie unser großer Verwaltungskönig nannte, muß ihr mehr
und mehr verloren gehen, damit zugleich aber die für eine freie Entschließung
erforderliche vollständige Beherrschung des Gegenstandes. Statt dessen werden
sich theoretische Erwägungen vordrängen. Vor allen Dingen wird aber eine


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[0320] Reform der inneren vorwaltung Anordnungen der Verwaltungsbehörden durch die sich um praktische Ziele nicht kümmernden Gerichtsbehörden das Publikum in immer gesteigertem Maße ver¬ anlaßt, von Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, wie dies durch die Erfahrung genugsam bestätigt wird. Alles in allem bedeutet daher das Recht in der Verwaltung Mehrarbeit, die auch in Zukunft in stetigem Wachsen begriffen sein wird, im übrigen bis zu einem gewissen Grade einen schwerfälligen, schwankenden Gang des ganzen Verwaltungsapparates. Ist es nun sicher, daß die jetzt vorhandenen Verhältnisse in unserer Ver¬ waltung sich erst in den letzten Jahrzehnten allmählich herausgebildet haben und von den Anschauungen der neuesten Zeit mehr denn je getragen werden, so liegt es auf der Hand, daß der Glaube, es könne sich bei der Reform unserer Verwaltung nur um Beseitigung veralteter Mängel handeln, um dadurch zu einer Art Ideal von Verwaltungseinrichtungen zu gelangen, sich als trügerisch erweisen muß. Im Gegenteil, die Einfachheit von einst ist durch die neuzeit¬ lichen Anschauungen zu Grabe getragen worden. Und ohne Aufgabe dieser Anschauungen, ohne durchgreifende Umbildung wird sie in ähnlicher Weise nicht wiederzuerlangen sein. Gewiß wird nach der einen oder der anderen Richtung die bessernde Hand angelegt werden können; vieles wird im Sinne der Ver¬ einfachung abgeändert werden können. Aber man erwarte hiervon keine Wunder. Bei Aufrechterhaltung der vorhandenen grundsätzlichen Anschauungen wird im großen und ganzen alles beim alten bleiben müssen. Unter diesem Gesichtspunkt sieht es daher mit einem nachhaltigen Erfolg der Verwaltungsreform trübe aus. Und wohl aus diesem Empfinden heraus ist von vielen Seiten die Reform nach einer anderen Richtung gedacht worden, die ihrer allgemeinen Bedeutung nach mit „Dezentralisation" bezeichnet worden ist. Man glaubt zu dem erwünschten Ziele zu gelangen, wenn die Entscheidung weit mehr als bisher den höheren, namentlich den Zentralbehörden entzogen und den unteren Behörden überlassen wird. An und für sich ist es keine Frage, daß eine solches anstrebende Organi¬ sation eine bedeutende Vereinfachung herbeiführen könnte. Aber Vereinfachung ist schließlich doch nicht das erste und letzte Ziel einer staatlichen Verwaltung. Und es ist die Frage, ob nicht im staatlichen Interesse einer weitgehenden Dezentralisation gegenüber große Vorsicht am Platze sein dürfte. Je mehr die Entscheidung in den Händen der unteren Behörden ruht, um so mehr muß die Zentralstelle den Materien, bei denen sie gar zu wenig praktisch mitzuwirken hat, fremd werden. Die Kenntnis einer Fülle von Einzelheiten, jener Details, wie sie unser großer Verwaltungskönig nannte, muß ihr mehr und mehr verloren gehen, damit zugleich aber die für eine freie Entschließung erforderliche vollständige Beherrschung des Gegenstandes. Statt dessen werden sich theoretische Erwägungen vordrängen. Vor allen Dingen wird aber eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/320>, abgerufen am 24.08.2024.