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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Englands Lhinapolitik

arbeitet. Er ist es auch jetzt wieder, der für eine Änderung der britischen
Politik eintritt. Inwieweit etwa dabei innerpolitische Parteigegensätze und
-Motive mitsprechen sollten, lassen wir dahingestellt. In Fragen der aus¬
wärtigen Politik gibt es ja in England im allgemeinen keine Parteiunter¬
schiede. Beachtenswert ist aber, daß der Ruf nach einer Änderung der
britischen Chinapolitik eben nicht erst von heute stammt und demnach wohl
also auch nicht erst durch jetzt hervorgetretene Momente veranlaßt
worden ist. Beachtenswert ist dann auch ferner, daß sich eben der Vertreter
des Daily Telegraph schon vor Monaten rühmen konnte, seine Berichte seien
doch nicht ganz ohne Wirkung geblieben, hätten vielmehr viel dazu beigetragen,
in weiten Kreisen eine andere Anschauung zu verbreiten. In der Folgezeit
waren dann auch wiederholt Stimmen laut geworden, die auf die Bedrohung
englischer Interessen in China hinwiesen und für eine energischere Betätigung
Englands in China Stimmung zu machen suchten. Mancherlei arbeitete da
Hand in Hand. Alles das ist ein Beweis dafür, daß, wenn jetzt wirklich eine
deutliche Schwenkung in der britischen Chinapolitik erfolgt, sie sich schon längst vor¬
bereitet haben dürfte. Die Gegner der Greyschen Politik in England wenden sich vor
allem gegen die doppelten Grundsätze; sie verlangen Bekenntnis zu einem einzigen
einfachen Ziel und dessen energische Verfolgung. Insbesondere der Vertreter
des Daily Telegraph war von vornherein gegen die in der Frage der großen
Anleihe verfolgte Konzertpolitik. Immer wieder ist darauf hingewiesen worden,
daß diese Politik nur den anderen Mächten Vorteile bringe, England selbst aber
nichts als Schaden, und daß sie keineswegs imstande sei, China wirklich zu retten.
Noch in den letzten Telegrammen wurde gesagt, England erlebe hier nur,
daß fremdes Kapital auf seine Kosten in China Geschäfte mache. Es ist der
Widerspruch zu der Jnteressensphärenpolitik, der hier zutage tritt. Da Eng¬
land gerade den Kern des Reiches zu seiner Interessensphäre gewählt, daneben
nun aber doch auch wieder die gemeinsame Betätigung aller Mächte in diesen,
Reiche als Grundsatz aufgestellt hat, erlebt es, daß es fast allein gerade in seiner
Interessensphäre plötzlich eine scharfe Konkurrenz zu spüren bekommt, und zwar
eine selbstgeschaffene. Es ist die einfache Unmöglichkeit, die hier offenbar wird,
daß England heut noch und auf die Dauer die Macht sein und bleiben könnte,
die überall allein die Sahne abschöpft. Schon die Anleihepolitik war eine
Überspannung. Es hat sich herausgestellt, daß die Fünfmächtegruppe Chinas
gesamten Geldbedarf doch nicht auf einmal decken kann. China ist nebenher
immer noch auf Provinzialanleihen und auf Anleihen für Spezialzwecke nament¬
licher industrieller Natur angewiesen. Wenn hier die englischen Geldgeber sich
nicht beteiligen, sagen die Leute mit dem Vertreter des Daily Telegraph, er¬
leidet England ungeheure Verluste. Also muß das Greysche Prinzip aufgegeben
werden. England muß wieder zu dem Grundsatz der Interessensphären zurück¬
kehren und das Jantsebecken für sich reinhalten. Dafür spricht noch ein
weiterer Grund. Das Borgen neben der großen Reorganisationsanleihe


Englands Lhinapolitik

arbeitet. Er ist es auch jetzt wieder, der für eine Änderung der britischen
Politik eintritt. Inwieweit etwa dabei innerpolitische Parteigegensätze und
-Motive mitsprechen sollten, lassen wir dahingestellt. In Fragen der aus¬
wärtigen Politik gibt es ja in England im allgemeinen keine Parteiunter¬
schiede. Beachtenswert ist aber, daß der Ruf nach einer Änderung der
britischen Chinapolitik eben nicht erst von heute stammt und demnach wohl
also auch nicht erst durch jetzt hervorgetretene Momente veranlaßt
worden ist. Beachtenswert ist dann auch ferner, daß sich eben der Vertreter
des Daily Telegraph schon vor Monaten rühmen konnte, seine Berichte seien
doch nicht ganz ohne Wirkung geblieben, hätten vielmehr viel dazu beigetragen,
in weiten Kreisen eine andere Anschauung zu verbreiten. In der Folgezeit
waren dann auch wiederholt Stimmen laut geworden, die auf die Bedrohung
englischer Interessen in China hinwiesen und für eine energischere Betätigung
Englands in China Stimmung zu machen suchten. Mancherlei arbeitete da
Hand in Hand. Alles das ist ein Beweis dafür, daß, wenn jetzt wirklich eine
deutliche Schwenkung in der britischen Chinapolitik erfolgt, sie sich schon längst vor¬
bereitet haben dürfte. Die Gegner der Greyschen Politik in England wenden sich vor
allem gegen die doppelten Grundsätze; sie verlangen Bekenntnis zu einem einzigen
einfachen Ziel und dessen energische Verfolgung. Insbesondere der Vertreter
des Daily Telegraph war von vornherein gegen die in der Frage der großen
Anleihe verfolgte Konzertpolitik. Immer wieder ist darauf hingewiesen worden,
daß diese Politik nur den anderen Mächten Vorteile bringe, England selbst aber
nichts als Schaden, und daß sie keineswegs imstande sei, China wirklich zu retten.
Noch in den letzten Telegrammen wurde gesagt, England erlebe hier nur,
daß fremdes Kapital auf seine Kosten in China Geschäfte mache. Es ist der
Widerspruch zu der Jnteressensphärenpolitik, der hier zutage tritt. Da Eng¬
land gerade den Kern des Reiches zu seiner Interessensphäre gewählt, daneben
nun aber doch auch wieder die gemeinsame Betätigung aller Mächte in diesen,
Reiche als Grundsatz aufgestellt hat, erlebt es, daß es fast allein gerade in seiner
Interessensphäre plötzlich eine scharfe Konkurrenz zu spüren bekommt, und zwar
eine selbstgeschaffene. Es ist die einfache Unmöglichkeit, die hier offenbar wird,
daß England heut noch und auf die Dauer die Macht sein und bleiben könnte,
die überall allein die Sahne abschöpft. Schon die Anleihepolitik war eine
Überspannung. Es hat sich herausgestellt, daß die Fünfmächtegruppe Chinas
gesamten Geldbedarf doch nicht auf einmal decken kann. China ist nebenher
immer noch auf Provinzialanleihen und auf Anleihen für Spezialzwecke nament¬
licher industrieller Natur angewiesen. Wenn hier die englischen Geldgeber sich
nicht beteiligen, sagen die Leute mit dem Vertreter des Daily Telegraph, er¬
leidet England ungeheure Verluste. Also muß das Greysche Prinzip aufgegeben
werden. England muß wieder zu dem Grundsatz der Interessensphären zurück¬
kehren und das Jantsebecken für sich reinhalten. Dafür spricht noch ein
weiterer Grund. Das Borgen neben der großen Reorganisationsanleihe


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[0257] Englands Lhinapolitik arbeitet. Er ist es auch jetzt wieder, der für eine Änderung der britischen Politik eintritt. Inwieweit etwa dabei innerpolitische Parteigegensätze und -Motive mitsprechen sollten, lassen wir dahingestellt. In Fragen der aus¬ wärtigen Politik gibt es ja in England im allgemeinen keine Parteiunter¬ schiede. Beachtenswert ist aber, daß der Ruf nach einer Änderung der britischen Chinapolitik eben nicht erst von heute stammt und demnach wohl also auch nicht erst durch jetzt hervorgetretene Momente veranlaßt worden ist. Beachtenswert ist dann auch ferner, daß sich eben der Vertreter des Daily Telegraph schon vor Monaten rühmen konnte, seine Berichte seien doch nicht ganz ohne Wirkung geblieben, hätten vielmehr viel dazu beigetragen, in weiten Kreisen eine andere Anschauung zu verbreiten. In der Folgezeit waren dann auch wiederholt Stimmen laut geworden, die auf die Bedrohung englischer Interessen in China hinwiesen und für eine energischere Betätigung Englands in China Stimmung zu machen suchten. Mancherlei arbeitete da Hand in Hand. Alles das ist ein Beweis dafür, daß, wenn jetzt wirklich eine deutliche Schwenkung in der britischen Chinapolitik erfolgt, sie sich schon längst vor¬ bereitet haben dürfte. Die Gegner der Greyschen Politik in England wenden sich vor allem gegen die doppelten Grundsätze; sie verlangen Bekenntnis zu einem einzigen einfachen Ziel und dessen energische Verfolgung. Insbesondere der Vertreter des Daily Telegraph war von vornherein gegen die in der Frage der großen Anleihe verfolgte Konzertpolitik. Immer wieder ist darauf hingewiesen worden, daß diese Politik nur den anderen Mächten Vorteile bringe, England selbst aber nichts als Schaden, und daß sie keineswegs imstande sei, China wirklich zu retten. Noch in den letzten Telegrammen wurde gesagt, England erlebe hier nur, daß fremdes Kapital auf seine Kosten in China Geschäfte mache. Es ist der Widerspruch zu der Jnteressensphärenpolitik, der hier zutage tritt. Da Eng¬ land gerade den Kern des Reiches zu seiner Interessensphäre gewählt, daneben nun aber doch auch wieder die gemeinsame Betätigung aller Mächte in diesen, Reiche als Grundsatz aufgestellt hat, erlebt es, daß es fast allein gerade in seiner Interessensphäre plötzlich eine scharfe Konkurrenz zu spüren bekommt, und zwar eine selbstgeschaffene. Es ist die einfache Unmöglichkeit, die hier offenbar wird, daß England heut noch und auf die Dauer die Macht sein und bleiben könnte, die überall allein die Sahne abschöpft. Schon die Anleihepolitik war eine Überspannung. Es hat sich herausgestellt, daß die Fünfmächtegruppe Chinas gesamten Geldbedarf doch nicht auf einmal decken kann. China ist nebenher immer noch auf Provinzialanleihen und auf Anleihen für Spezialzwecke nament¬ licher industrieller Natur angewiesen. Wenn hier die englischen Geldgeber sich nicht beteiligen, sagen die Leute mit dem Vertreter des Daily Telegraph, er¬ leidet England ungeheure Verluste. Also muß das Greysche Prinzip aufgegeben werden. England muß wieder zu dem Grundsatz der Interessensphären zurück¬ kehren und das Jantsebecken für sich reinhalten. Dafür spricht noch ein weiterer Grund. Das Borgen neben der großen Reorganisationsanleihe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/257>, abgerufen am 24.08.2024.