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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Englands Lhinaxolitik

Vordringen war aber nichts gewonnen; denn die Mandschurei, auf die es zu¬
nächst ankam, war in das Abkommen nicht einbegriffen. Hier kam dann
das Bündnis mit Japan und in der Folge die Zurückwerfung Rußlands vor
Port Arthur und bei Mulden. Um ganz ins Reine zu kommen, zumal in
Verbindung mit den außerostasiatischen Fragen der Weltpolitik, wählte dann
England, wie schon in der Zeit zwischen den Pachtungen und den Boxerunruhen,
den Weg der Verhandlungen mit Nußland. Schon hatten sich ja auch
Rußland, Japan. Frankreich wechselseitig geeinigt. Die Vereinbarungen
betrafen die chinesischen Außenländer, Mandschurei, Mongolei und Tibet. Das
letztere interessiert England besonders. Hier waren Widersprüche zwischen
Indien und der Pekinger Vertretung Englands über die zu verfolgende Politik
zu erkennen. Das Ergebnis ist zunächst gewesen, daß England die Oberhoheit
Chinas in Tibet anerkannte und sogar ihre Befestigung anscheinend begünstigt
hat. Die neuesten Wendungen, namentlich im Hinblick auf ihre Abhängigkeit
von dem gleichzeitigen Vorgehen Rußlands, sind noch nicht ganz klar zu er¬
kennen. Fest steht aber wieder, daß England die Revolution deutlich begünstigt
hat. Danach hat es die Politik der polnischen Anleihe der Mehrmächtegruppe
eingeleitet.

Überblickt man diese erkennbaren Phasen der britischen Chinapolitik, so
ergibt sich: England hat nach einigem Schwanken zunächst das Prinzip der
Interessensphären in China aufgenommen; man kann sogar vielleicht sagen, über¬
haupt erst aufgeworfen. Es schuf sich vertraglich gesicherte Vorrechte für ein
bestimmtes Gebiet, damit es dieses bei Gelegenheit einer etwa eintretenden Aus¬
teilung von vornherein für sich in Anspruch nehmen könnte. Etwas ganz Ähnliches
hat es auch etwa gleichzeitig in Afrika in dem Abkommen mit Deutschland über die
portugiesischen Kolonien getan, ebenso auch in dem Abkommen mit Italien und
Frankreich bezüglich Abessiniens. Auch dort spielt das Prinzip der Interessensphären
eine Rolle, dem man daher die Bedeutung eines Leitgedankens in der englischen
Politik zusprechen darf. Aber sie bleibt nicht dabei allein stehen. Dem Ab¬
kommen über die portugiesischen Kolonien folgte der andere Vertrag mit Por¬
tugal, der den Bestand dieser selben Kolonien garantierte. Auch für Abessinien
M. daß England an eine Aufteilung des Landes den Interessensphären ent¬
sprechend gar nicht im Ernst denkt, und daß ihm daran gar nicht gelegen ist.
Wir können vielleicht auch noch Persien hier anfügen. Auch hier hat England
die Interessensphären festgelegt. Aus den Verhandlungen im englischen Parla¬
ment ist aber unschwer zu erkennen, daß der Gedanke, es könnte dementsprechend
nun wirklich schon zu einer Teilung des Landes kommen. England durchaus
nicht angenehm ist und gar nicht seinen Wünschen entspricht. Es scheint sich
also auch hier wieder um einen zweiten, den ersten ergänzenden Leitgedanken
der britischen Politik zu handeln. Sie sichert sich wohl für alle Fälle einen
Beuteanteil. Sie will eben einmal nicht überrascht werden. Aber sie tritt zu-
nächst für die Erhaltung des Ganzen ein. Das zeigt sich ja auch in China.


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Englands Lhinaxolitik

Vordringen war aber nichts gewonnen; denn die Mandschurei, auf die es zu¬
nächst ankam, war in das Abkommen nicht einbegriffen. Hier kam dann
das Bündnis mit Japan und in der Folge die Zurückwerfung Rußlands vor
Port Arthur und bei Mulden. Um ganz ins Reine zu kommen, zumal in
Verbindung mit den außerostasiatischen Fragen der Weltpolitik, wählte dann
England, wie schon in der Zeit zwischen den Pachtungen und den Boxerunruhen,
den Weg der Verhandlungen mit Nußland. Schon hatten sich ja auch
Rußland, Japan. Frankreich wechselseitig geeinigt. Die Vereinbarungen
betrafen die chinesischen Außenländer, Mandschurei, Mongolei und Tibet. Das
letztere interessiert England besonders. Hier waren Widersprüche zwischen
Indien und der Pekinger Vertretung Englands über die zu verfolgende Politik
zu erkennen. Das Ergebnis ist zunächst gewesen, daß England die Oberhoheit
Chinas in Tibet anerkannte und sogar ihre Befestigung anscheinend begünstigt
hat. Die neuesten Wendungen, namentlich im Hinblick auf ihre Abhängigkeit
von dem gleichzeitigen Vorgehen Rußlands, sind noch nicht ganz klar zu er¬
kennen. Fest steht aber wieder, daß England die Revolution deutlich begünstigt
hat. Danach hat es die Politik der polnischen Anleihe der Mehrmächtegruppe
eingeleitet.

Überblickt man diese erkennbaren Phasen der britischen Chinapolitik, so
ergibt sich: England hat nach einigem Schwanken zunächst das Prinzip der
Interessensphären in China aufgenommen; man kann sogar vielleicht sagen, über¬
haupt erst aufgeworfen. Es schuf sich vertraglich gesicherte Vorrechte für ein
bestimmtes Gebiet, damit es dieses bei Gelegenheit einer etwa eintretenden Aus¬
teilung von vornherein für sich in Anspruch nehmen könnte. Etwas ganz Ähnliches
hat es auch etwa gleichzeitig in Afrika in dem Abkommen mit Deutschland über die
portugiesischen Kolonien getan, ebenso auch in dem Abkommen mit Italien und
Frankreich bezüglich Abessiniens. Auch dort spielt das Prinzip der Interessensphären
eine Rolle, dem man daher die Bedeutung eines Leitgedankens in der englischen
Politik zusprechen darf. Aber sie bleibt nicht dabei allein stehen. Dem Ab¬
kommen über die portugiesischen Kolonien folgte der andere Vertrag mit Por¬
tugal, der den Bestand dieser selben Kolonien garantierte. Auch für Abessinien
M. daß England an eine Aufteilung des Landes den Interessensphären ent¬
sprechend gar nicht im Ernst denkt, und daß ihm daran gar nicht gelegen ist.
Wir können vielleicht auch noch Persien hier anfügen. Auch hier hat England
die Interessensphären festgelegt. Aus den Verhandlungen im englischen Parla¬
ment ist aber unschwer zu erkennen, daß der Gedanke, es könnte dementsprechend
nun wirklich schon zu einer Teilung des Landes kommen. England durchaus
nicht angenehm ist und gar nicht seinen Wünschen entspricht. Es scheint sich
also auch hier wieder um einen zweiten, den ersten ergänzenden Leitgedanken
der britischen Politik zu handeln. Sie sichert sich wohl für alle Fälle einen
Beuteanteil. Sie will eben einmal nicht überrascht werden. Aber sie tritt zu-
nächst für die Erhaltung des Ganzen ein. Das zeigt sich ja auch in China.


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[0255] Englands Lhinaxolitik Vordringen war aber nichts gewonnen; denn die Mandschurei, auf die es zu¬ nächst ankam, war in das Abkommen nicht einbegriffen. Hier kam dann das Bündnis mit Japan und in der Folge die Zurückwerfung Rußlands vor Port Arthur und bei Mulden. Um ganz ins Reine zu kommen, zumal in Verbindung mit den außerostasiatischen Fragen der Weltpolitik, wählte dann England, wie schon in der Zeit zwischen den Pachtungen und den Boxerunruhen, den Weg der Verhandlungen mit Nußland. Schon hatten sich ja auch Rußland, Japan. Frankreich wechselseitig geeinigt. Die Vereinbarungen betrafen die chinesischen Außenländer, Mandschurei, Mongolei und Tibet. Das letztere interessiert England besonders. Hier waren Widersprüche zwischen Indien und der Pekinger Vertretung Englands über die zu verfolgende Politik zu erkennen. Das Ergebnis ist zunächst gewesen, daß England die Oberhoheit Chinas in Tibet anerkannte und sogar ihre Befestigung anscheinend begünstigt hat. Die neuesten Wendungen, namentlich im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von dem gleichzeitigen Vorgehen Rußlands, sind noch nicht ganz klar zu er¬ kennen. Fest steht aber wieder, daß England die Revolution deutlich begünstigt hat. Danach hat es die Politik der polnischen Anleihe der Mehrmächtegruppe eingeleitet. Überblickt man diese erkennbaren Phasen der britischen Chinapolitik, so ergibt sich: England hat nach einigem Schwanken zunächst das Prinzip der Interessensphären in China aufgenommen; man kann sogar vielleicht sagen, über¬ haupt erst aufgeworfen. Es schuf sich vertraglich gesicherte Vorrechte für ein bestimmtes Gebiet, damit es dieses bei Gelegenheit einer etwa eintretenden Aus¬ teilung von vornherein für sich in Anspruch nehmen könnte. Etwas ganz Ähnliches hat es auch etwa gleichzeitig in Afrika in dem Abkommen mit Deutschland über die portugiesischen Kolonien getan, ebenso auch in dem Abkommen mit Italien und Frankreich bezüglich Abessiniens. Auch dort spielt das Prinzip der Interessensphären eine Rolle, dem man daher die Bedeutung eines Leitgedankens in der englischen Politik zusprechen darf. Aber sie bleibt nicht dabei allein stehen. Dem Ab¬ kommen über die portugiesischen Kolonien folgte der andere Vertrag mit Por¬ tugal, der den Bestand dieser selben Kolonien garantierte. Auch für Abessinien M. daß England an eine Aufteilung des Landes den Interessensphären ent¬ sprechend gar nicht im Ernst denkt, und daß ihm daran gar nicht gelegen ist. Wir können vielleicht auch noch Persien hier anfügen. Auch hier hat England die Interessensphären festgelegt. Aus den Verhandlungen im englischen Parla¬ ment ist aber unschwer zu erkennen, daß der Gedanke, es könnte dementsprechend nun wirklich schon zu einer Teilung des Landes kommen. England durchaus nicht angenehm ist und gar nicht seinen Wünschen entspricht. Es scheint sich also auch hier wieder um einen zweiten, den ersten ergänzenden Leitgedanken der britischen Politik zu handeln. Sie sichert sich wohl für alle Fälle einen Beuteanteil. Sie will eben einmal nicht überrascht werden. Aber sie tritt zu- nächst für die Erhaltung des Ganzen ein. Das zeigt sich ja auch in China. 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/255>, abgerufen am 24.08.2024.