Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Englands Lhinapolitik England dann die Niederlage Chinas und die Offenbarung seiner völligen Englands Lhinapolitik England dann die Niederlage Chinas und die Offenbarung seiner völligen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327066"/> <fw type="header" place="top"> Englands Lhinapolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983" next="#ID_985"> England dann die Niederlage Chinas und die Offenbarung seiner völligen<lb/> Schwäche erlebte, was seine Rechnung über den Haufen warf, wußte es zu¬<lb/> nächst gar nicht recht, wie es sich neu orientieren sollte. Man dachte zunächst<lb/> schon daran, daß der Norden aufgegeben werden könnte, dem die Hauptgefahr<lb/> drohte. Die Hauptstadt sollte nach Nanking verlegt werden, wohin russischer<lb/> Einfluß vielleicht nicht so leicht reichte, wo englischer aber um so stärker wirken<lb/> konnte. Im Norden schien Japan schon damals sichereren Schutz gegen allzu<lb/> übermächtiges Vordringen Rußlands gewährleisten zu können als das ohn¬<lb/> mächtige China. Daß China aber so ganz unter englischen Einfluß käme,<lb/> verhinderte das Eingreifen Rußlands, Frankreichs und Deutschlands in<lb/> Schimonoseki. Japan wurde zurückgedrängt. Die völlige Vernichtung der<lb/> Machtstellung Chinas im Norden seines Reiches wurde verhindert. Der<lb/> chinesische Hof blieb in Peking. England fah seine Rechnung zum zweitenmal<lb/> durchkreuzt und mußte erneut nach einer Neuorientierung suchen. Seine Stellung<lb/> war schwierig genug. Es war in Südafrika stark in Anspruch genommen und<lb/> hatte die Festlandsmächte so gut wie geschlossen gegen sich. Rußland, Frank¬<lb/> reich und Deutschland begannen dazu in Ostasien eine sehr aktive Politik.<lb/> England hatte also Eile. Als Frankreich sich als erstes Land seine Dienste von<lb/> Schimonoseki bezahlen ließ, versuchte es England zunächst mit einem Protest,<lb/> der aber ungehört verhallte. Es erlebte gleichzeitig eine enge chinesisch-russische<lb/> Annäherung. 1896 war Lihungtschang in Moskau. Rußland war gleich¬<lb/> zeitig, wie Bülow im Reichstage erklärte, im besten Einvernehmen mit Deutsch¬<lb/> land. England lebte damals und noch lange nachher in dem Wahn, daß es Deutsch¬<lb/> lands Schwert gegen Rußland gewinnen könne. Es begünstigte deshalb dann<lb/> auch Deutschlands Festsetzung in Tsingtau, offenbar in der unausgesprochenen<lb/> Hoffnung, damit Deutschland gegen Rußland, das ja selbst Absichten auf<lb/> Kiautschau gehabt haben soll, vorzuschieben. Es ging auf die Politik der<lb/> Pachtungen mit ein, nahm selber Weihaiwei und proklamierte mit dem Vertrag,<lb/> in dem es sich von China besondere Rechte im Jantsebecken anerkennen ließ,<lb/> mit am ausgesprochensten das Prinzip der Interessensphären, das das Gespenst<lb/> der Austeilung Chinas auftauchen ließ. Dann kamen die Boxerunruhen. Sie<lb/> brachten zunächst die gemeinsame Aktion der vereinigten zivilisierten Mächte<lb/> Europas mit Japan und Amerika. Sehr bald aber ging Rußland eigene<lb/> Wege und warf sich mehr und mehr zum Schützer der Pekinger Dynastie auf-<lb/> England fah erneut das Gespenst eines unter russischem Einfluß stehenden und<lb/> mit seiner Hilfe erstarkenden, für andere zur Gefahr werdenden Chinas auf¬<lb/> tauchen. Noch einmal machte es den Versuch, die Gefahr mit Deutschlands<lb/> Hilfe zu beschwören und schloß mit ihm das sogenannte Jantseabkommen, das<lb/> die territoriale Integrität Chinas und die offene Tür darin garantierte. Eng¬<lb/> land gewann damit herzlich wenig. Die übrigen Mächte traten dem Abkommen<lb/> bei. Die Folge war zunächst nur, daß England eine immer stärker werdende<lb/> internationale Konkurrenz am Janthe zu spüren bekam. Gegen Rußlands</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0254]
Englands Lhinapolitik
England dann die Niederlage Chinas und die Offenbarung seiner völligen
Schwäche erlebte, was seine Rechnung über den Haufen warf, wußte es zu¬
nächst gar nicht recht, wie es sich neu orientieren sollte. Man dachte zunächst
schon daran, daß der Norden aufgegeben werden könnte, dem die Hauptgefahr
drohte. Die Hauptstadt sollte nach Nanking verlegt werden, wohin russischer
Einfluß vielleicht nicht so leicht reichte, wo englischer aber um so stärker wirken
konnte. Im Norden schien Japan schon damals sichereren Schutz gegen allzu
übermächtiges Vordringen Rußlands gewährleisten zu können als das ohn¬
mächtige China. Daß China aber so ganz unter englischen Einfluß käme,
verhinderte das Eingreifen Rußlands, Frankreichs und Deutschlands in
Schimonoseki. Japan wurde zurückgedrängt. Die völlige Vernichtung der
Machtstellung Chinas im Norden seines Reiches wurde verhindert. Der
chinesische Hof blieb in Peking. England fah seine Rechnung zum zweitenmal
durchkreuzt und mußte erneut nach einer Neuorientierung suchen. Seine Stellung
war schwierig genug. Es war in Südafrika stark in Anspruch genommen und
hatte die Festlandsmächte so gut wie geschlossen gegen sich. Rußland, Frank¬
reich und Deutschland begannen dazu in Ostasien eine sehr aktive Politik.
England hatte also Eile. Als Frankreich sich als erstes Land seine Dienste von
Schimonoseki bezahlen ließ, versuchte es England zunächst mit einem Protest,
der aber ungehört verhallte. Es erlebte gleichzeitig eine enge chinesisch-russische
Annäherung. 1896 war Lihungtschang in Moskau. Rußland war gleich¬
zeitig, wie Bülow im Reichstage erklärte, im besten Einvernehmen mit Deutsch¬
land. England lebte damals und noch lange nachher in dem Wahn, daß es Deutsch¬
lands Schwert gegen Rußland gewinnen könne. Es begünstigte deshalb dann
auch Deutschlands Festsetzung in Tsingtau, offenbar in der unausgesprochenen
Hoffnung, damit Deutschland gegen Rußland, das ja selbst Absichten auf
Kiautschau gehabt haben soll, vorzuschieben. Es ging auf die Politik der
Pachtungen mit ein, nahm selber Weihaiwei und proklamierte mit dem Vertrag,
in dem es sich von China besondere Rechte im Jantsebecken anerkennen ließ,
mit am ausgesprochensten das Prinzip der Interessensphären, das das Gespenst
der Austeilung Chinas auftauchen ließ. Dann kamen die Boxerunruhen. Sie
brachten zunächst die gemeinsame Aktion der vereinigten zivilisierten Mächte
Europas mit Japan und Amerika. Sehr bald aber ging Rußland eigene
Wege und warf sich mehr und mehr zum Schützer der Pekinger Dynastie auf-
England fah erneut das Gespenst eines unter russischem Einfluß stehenden und
mit seiner Hilfe erstarkenden, für andere zur Gefahr werdenden Chinas auf¬
tauchen. Noch einmal machte es den Versuch, die Gefahr mit Deutschlands
Hilfe zu beschwören und schloß mit ihm das sogenannte Jantseabkommen, das
die territoriale Integrität Chinas und die offene Tür darin garantierte. Eng¬
land gewann damit herzlich wenig. Die übrigen Mächte traten dem Abkommen
bei. Die Folge war zunächst nur, daß England eine immer stärker werdende
internationale Konkurrenz am Janthe zu spüren bekam. Gegen Rußlands
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