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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elisabeth

Und nach einer Pause, sich aufraffend: "Nein doch, ich werde mich zur Klar¬
heit durchringen. Ich muß das Unerhörte fassen und begreifen lernen! -- So¬
viel sehe ich: es ist, wenn Sie mich nicht frevelhaft genarrt haben, etwas Außer¬
ordentliches hier geschehen -- ein Wunder des Himmels oder -- ein Schurken¬
streich, ein unglaublicher. . . Aber sür uns beide wäre das beste, Sie hätten
recht..." --

Diese ganze Nacht kam Mary Asylen nicht zur Ruhe. Und zwei andere
wachten mit ihr, Hobbs und der junge William Neville. Mit ihnen verweilte
sie lange hinter verschlossenen Türen in den Zimmern der Prinzessin. -- Dem
in später Abendstunde endlich eintreffenden Physikus aus derHauptstadtder Grafschaft
ließ sie Geld geben und ausrichten, man bedürfe seiner nicht mehr. Auch zu
Nevilles Eltern, in deren Haus im Dorfe sich die Erzieherin selbst, noch vor ihrem
Gespräch mit dem Leibarzt, zu längerer Unterredung begeben hatte, mußte Hobbs,
als alles im Schlosse schon schlief, einen Beutel Goldes tragen. Die schwerste
Arbeit aber hatte der Unermüdliche beim ersten Tagesgrauen zu verrichten,
draußen im Garten, unter den Fenstern der Prinzessin. . .




Am frühen Morgen wurde der Erzieherin gemeldet, daß der Leibarzt sie
zu sprechen wünsche. "Ich nehme an, Mistreß Ashley, Sie haben nichts da¬
gegen einzuwenden, daß ich -- wie jeden Morgen -- die Prinzessin besuche,"
sagte er höflich, "überdies haben wir es ja gestern Abend so verabredet." Die
Erzieherin glaubte einen ironischen Unterton in seiner Stimme zu vernehmen;
sie versuchte in seinen Mienen zu lesen, konnte aber die Schrift, die ihr da
entgegentrat, nicht entziffern. "Ich bin durchaus damit einverstanden," gab sie
unbefangen zurück. Und während sie mit ihm Elisabeths Gemächer betrat,
fuhr sie in gleichmütigem Tone fort: "Man überbringt mir eben die Nachricht,
daß die Kammerfrau der Prinzessin, die ich gestern Abend aus ihren Diensten
entließ, eine Stunde von hier, bei Stonehope, als Leiche aufgefunden worden
ist. Wir müssen uns nach einem Ersatz natur." Der Arzt zog die Schultern
hoch, als fröstle ihn.

Während der - Untersuchung blieb sie im Vorzimmer; ihre Augen folgten
ihm mit einem eigentümlich lauernden Ausdruck, als er im Schlafgemach der
Kranken verschwand. --

Es währte nicht lange, bis der Arzt wieder in der Tür erschien. Sein
Blick streifte die am Erkerfenster lehnende Erzieherin und blieb dann auf den
Mägden hasten, die neugierig vom Flur hereingedrängt waren. "Ihr könnt im
Schlosse verbreiten, daß der Zustand der Prinzessin" -- er wandte seine dunklen
schattenumränderten Augen nach dem Erkerfenster, während er das Wort aussprach,
-- "sich erheblich gebessert hat und daß die Hoffnung begründet ist, sie werde
ihrem Vater in voller Gesundheit gegenübertreten können. Wann, sagten Sie


Elisabeth

Und nach einer Pause, sich aufraffend: „Nein doch, ich werde mich zur Klar¬
heit durchringen. Ich muß das Unerhörte fassen und begreifen lernen! — So¬
viel sehe ich: es ist, wenn Sie mich nicht frevelhaft genarrt haben, etwas Außer¬
ordentliches hier geschehen — ein Wunder des Himmels oder — ein Schurken¬
streich, ein unglaublicher. . . Aber sür uns beide wäre das beste, Sie hätten
recht..." —

Diese ganze Nacht kam Mary Asylen nicht zur Ruhe. Und zwei andere
wachten mit ihr, Hobbs und der junge William Neville. Mit ihnen verweilte
sie lange hinter verschlossenen Türen in den Zimmern der Prinzessin. — Dem
in später Abendstunde endlich eintreffenden Physikus aus derHauptstadtder Grafschaft
ließ sie Geld geben und ausrichten, man bedürfe seiner nicht mehr. Auch zu
Nevilles Eltern, in deren Haus im Dorfe sich die Erzieherin selbst, noch vor ihrem
Gespräch mit dem Leibarzt, zu längerer Unterredung begeben hatte, mußte Hobbs,
als alles im Schlosse schon schlief, einen Beutel Goldes tragen. Die schwerste
Arbeit aber hatte der Unermüdliche beim ersten Tagesgrauen zu verrichten,
draußen im Garten, unter den Fenstern der Prinzessin. . .




Am frühen Morgen wurde der Erzieherin gemeldet, daß der Leibarzt sie
zu sprechen wünsche. „Ich nehme an, Mistreß Ashley, Sie haben nichts da¬
gegen einzuwenden, daß ich — wie jeden Morgen — die Prinzessin besuche,"
sagte er höflich, „überdies haben wir es ja gestern Abend so verabredet." Die
Erzieherin glaubte einen ironischen Unterton in seiner Stimme zu vernehmen;
sie versuchte in seinen Mienen zu lesen, konnte aber die Schrift, die ihr da
entgegentrat, nicht entziffern. „Ich bin durchaus damit einverstanden," gab sie
unbefangen zurück. Und während sie mit ihm Elisabeths Gemächer betrat,
fuhr sie in gleichmütigem Tone fort: „Man überbringt mir eben die Nachricht,
daß die Kammerfrau der Prinzessin, die ich gestern Abend aus ihren Diensten
entließ, eine Stunde von hier, bei Stonehope, als Leiche aufgefunden worden
ist. Wir müssen uns nach einem Ersatz natur." Der Arzt zog die Schultern
hoch, als fröstle ihn.

Während der - Untersuchung blieb sie im Vorzimmer; ihre Augen folgten
ihm mit einem eigentümlich lauernden Ausdruck, als er im Schlafgemach der
Kranken verschwand. —

Es währte nicht lange, bis der Arzt wieder in der Tür erschien. Sein
Blick streifte die am Erkerfenster lehnende Erzieherin und blieb dann auf den
Mägden hasten, die neugierig vom Flur hereingedrängt waren. „Ihr könnt im
Schlosse verbreiten, daß der Zustand der Prinzessin" — er wandte seine dunklen
schattenumränderten Augen nach dem Erkerfenster, während er das Wort aussprach,
— „sich erheblich gebessert hat und daß die Hoffnung begründet ist, sie werde
ihrem Vater in voller Gesundheit gegenübertreten können. Wann, sagten Sie


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[0187] Elisabeth Und nach einer Pause, sich aufraffend: „Nein doch, ich werde mich zur Klar¬ heit durchringen. Ich muß das Unerhörte fassen und begreifen lernen! — So¬ viel sehe ich: es ist, wenn Sie mich nicht frevelhaft genarrt haben, etwas Außer¬ ordentliches hier geschehen — ein Wunder des Himmels oder — ein Schurken¬ streich, ein unglaublicher. . . Aber sür uns beide wäre das beste, Sie hätten recht..." — Diese ganze Nacht kam Mary Asylen nicht zur Ruhe. Und zwei andere wachten mit ihr, Hobbs und der junge William Neville. Mit ihnen verweilte sie lange hinter verschlossenen Türen in den Zimmern der Prinzessin. — Dem in später Abendstunde endlich eintreffenden Physikus aus derHauptstadtder Grafschaft ließ sie Geld geben und ausrichten, man bedürfe seiner nicht mehr. Auch zu Nevilles Eltern, in deren Haus im Dorfe sich die Erzieherin selbst, noch vor ihrem Gespräch mit dem Leibarzt, zu längerer Unterredung begeben hatte, mußte Hobbs, als alles im Schlosse schon schlief, einen Beutel Goldes tragen. Die schwerste Arbeit aber hatte der Unermüdliche beim ersten Tagesgrauen zu verrichten, draußen im Garten, unter den Fenstern der Prinzessin. . . Am frühen Morgen wurde der Erzieherin gemeldet, daß der Leibarzt sie zu sprechen wünsche. „Ich nehme an, Mistreß Ashley, Sie haben nichts da¬ gegen einzuwenden, daß ich — wie jeden Morgen — die Prinzessin besuche," sagte er höflich, „überdies haben wir es ja gestern Abend so verabredet." Die Erzieherin glaubte einen ironischen Unterton in seiner Stimme zu vernehmen; sie versuchte in seinen Mienen zu lesen, konnte aber die Schrift, die ihr da entgegentrat, nicht entziffern. „Ich bin durchaus damit einverstanden," gab sie unbefangen zurück. Und während sie mit ihm Elisabeths Gemächer betrat, fuhr sie in gleichmütigem Tone fort: „Man überbringt mir eben die Nachricht, daß die Kammerfrau der Prinzessin, die ich gestern Abend aus ihren Diensten entließ, eine Stunde von hier, bei Stonehope, als Leiche aufgefunden worden ist. Wir müssen uns nach einem Ersatz natur." Der Arzt zog die Schultern hoch, als fröstle ihn. Während der - Untersuchung blieb sie im Vorzimmer; ihre Augen folgten ihm mit einem eigentümlich lauernden Ausdruck, als er im Schlafgemach der Kranken verschwand. — Es währte nicht lange, bis der Arzt wieder in der Tür erschien. Sein Blick streifte die am Erkerfenster lehnende Erzieherin und blieb dann auf den Mägden hasten, die neugierig vom Flur hereingedrängt waren. „Ihr könnt im Schlosse verbreiten, daß der Zustand der Prinzessin" — er wandte seine dunklen schattenumränderten Augen nach dem Erkerfenster, während er das Wort aussprach, — „sich erheblich gebessert hat und daß die Hoffnung begründet ist, sie werde ihrem Vater in voller Gesundheit gegenübertreten können. Wann, sagten Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/187>, abgerufen am 02.10.2024.