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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elisabeth

Hände, rieb sie, richtete den leichten Mädchenkmper in die Höhe, um ihn dann
behutsam wieder auf das weiche Lager zurücksinken zu lassen. Kein Zweifel
möglich: hier war das Leben entflohen ....

Von außen schloß sie die Gemächer der Toten ab und barg die schweren
bronzenen Schlüssel unter ihrem Kleide. --

Das Weinen und Wehklagen im Mägdezimmer verstummte, als die Erzieherin
plötzlich auf der Schwelle erschien. Hell tönte ihr Schelten in den Raum. "Bis
ins Schlafzimmer der Prinzessin ist euer Läriwm gedrungen nur hüt sie beunruhigt!
Euer Geschrei wird der Kranken, die ihr doch alle lieb habt, noch den Tod
bringen I Ihr meint, sie sei tot? Ein törichtes Gerede! Sie lebt! Eden noch
sprach ich mit ihr. Aber sie ist sehr ruhebedürfttg und möchte schlafen. Laßt
darum das Heulen, wenn euch ihr Leben lieb ist! Geh eine jetzt und sage das
auch den Knechten. Und du, Janet, schick mir die Kammerfrau der Prinzessin
hinauf. Ich erwarte sie nach der Abendmahlzeit in meinem Zimmer."

"Mit Umsicht. Tatkraft und Schnelligkeit heißt es jrtzt zu Werke gehen!"
sagte sie halblaut zu sich selbst, als sie über die dunklen Gänge und Treppen
nach ihrem Zimmer eilte. Ihr Gesicht zeigte den gespannten Ausdruck an¬
gestrengter Gedankenarbeit. "Mein Plan ist gut. Aber um ihn durchzuführen,
werde ich männliche Hilfe brauchen . . . ." Ihr Nachdenken währte nicht
lang. Der einzige, dem sie ganz vertrauen konnte, war Hobbs, ein guter, in
kleinen Dingen täppischer Bursche, dessen Verstand und Geschick aber mit der
Größe der zu bewältigenden Aufgaben zu wachsen schienen. "Der soll sich mir
jetzt bewähren!"

Sie kehrte auf ihrem Wege um, hielt vor der Tür des Gartensaales an
und lauschte. Sie verstand ein paar von den Worten des Mädchens, das man
von drüben auf ihr Geheiß zu den Knechten geschickt hatte: "Misireß Ashley
-- Prinzessin nicht tot -- kein Lärm -- ruhebedürftig," sie hörte Ausrufe der
Verwunderung. Dann trat sie ein. Wie am Morgen dieses Tages stand sie
wieder auf den Treppenstufen vor der Saaltür, bleich und übernächtig im Flacker-
Uckt der Pechpfannen. "Ist Hobbs da? Gut, Hobbs, ich erwarte Euch im
Vorzimmer der Prinzessin. Seht zu, ob der junge Neville noch im Schlosse
ist, und bringt ihn mit hinauf."




"Ich wiederhole es Euch: es war Eure Pflicht, zuerst mir zu sagen, was
Ihr von dem Leibarzt der Prinzessin erführe." Noch nie hatte Mary Ashleys
Stimme so hart geklungen. "Keinen Menschen im Schlosse geht das Wohl und
Wehe der Kranken näher an als mich. Da Ihr allein während der Unter¬
suchung im Vorzimmer wendet, war es an Euch, mir den Befund des Arztes
mitzuteilen. Mir allein! Ihr habt Eure Pflicht gröblich vernachlässigt und
eine unglaubliche Verwirrung in allen Gemütern angerichtet -- und das zwei
Tage vor Ankunft des Königs! Wäret Ihr zu mir gekommen, ich hätte Euch


Elisabeth

Hände, rieb sie, richtete den leichten Mädchenkmper in die Höhe, um ihn dann
behutsam wieder auf das weiche Lager zurücksinken zu lassen. Kein Zweifel
möglich: hier war das Leben entflohen ....

Von außen schloß sie die Gemächer der Toten ab und barg die schweren
bronzenen Schlüssel unter ihrem Kleide. —

Das Weinen und Wehklagen im Mägdezimmer verstummte, als die Erzieherin
plötzlich auf der Schwelle erschien. Hell tönte ihr Schelten in den Raum. „Bis
ins Schlafzimmer der Prinzessin ist euer Läriwm gedrungen nur hüt sie beunruhigt!
Euer Geschrei wird der Kranken, die ihr doch alle lieb habt, noch den Tod
bringen I Ihr meint, sie sei tot? Ein törichtes Gerede! Sie lebt! Eden noch
sprach ich mit ihr. Aber sie ist sehr ruhebedürfttg und möchte schlafen. Laßt
darum das Heulen, wenn euch ihr Leben lieb ist! Geh eine jetzt und sage das
auch den Knechten. Und du, Janet, schick mir die Kammerfrau der Prinzessin
hinauf. Ich erwarte sie nach der Abendmahlzeit in meinem Zimmer."

„Mit Umsicht. Tatkraft und Schnelligkeit heißt es jrtzt zu Werke gehen!"
sagte sie halblaut zu sich selbst, als sie über die dunklen Gänge und Treppen
nach ihrem Zimmer eilte. Ihr Gesicht zeigte den gespannten Ausdruck an¬
gestrengter Gedankenarbeit. „Mein Plan ist gut. Aber um ihn durchzuführen,
werde ich männliche Hilfe brauchen . . . ." Ihr Nachdenken währte nicht
lang. Der einzige, dem sie ganz vertrauen konnte, war Hobbs, ein guter, in
kleinen Dingen täppischer Bursche, dessen Verstand und Geschick aber mit der
Größe der zu bewältigenden Aufgaben zu wachsen schienen. „Der soll sich mir
jetzt bewähren!"

Sie kehrte auf ihrem Wege um, hielt vor der Tür des Gartensaales an
und lauschte. Sie verstand ein paar von den Worten des Mädchens, das man
von drüben auf ihr Geheiß zu den Knechten geschickt hatte: „Misireß Ashley
— Prinzessin nicht tot — kein Lärm — ruhebedürftig," sie hörte Ausrufe der
Verwunderung. Dann trat sie ein. Wie am Morgen dieses Tages stand sie
wieder auf den Treppenstufen vor der Saaltür, bleich und übernächtig im Flacker-
Uckt der Pechpfannen. „Ist Hobbs da? Gut, Hobbs, ich erwarte Euch im
Vorzimmer der Prinzessin. Seht zu, ob der junge Neville noch im Schlosse
ist, und bringt ihn mit hinauf."




„Ich wiederhole es Euch: es war Eure Pflicht, zuerst mir zu sagen, was
Ihr von dem Leibarzt der Prinzessin erführe." Noch nie hatte Mary Ashleys
Stimme so hart geklungen. „Keinen Menschen im Schlosse geht das Wohl und
Wehe der Kranken näher an als mich. Da Ihr allein während der Unter¬
suchung im Vorzimmer wendet, war es an Euch, mir den Befund des Arztes
mitzuteilen. Mir allein! Ihr habt Eure Pflicht gröblich vernachlässigt und
eine unglaubliche Verwirrung in allen Gemütern angerichtet — und das zwei
Tage vor Ankunft des Königs! Wäret Ihr zu mir gekommen, ich hätte Euch


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[0185] Elisabeth Hände, rieb sie, richtete den leichten Mädchenkmper in die Höhe, um ihn dann behutsam wieder auf das weiche Lager zurücksinken zu lassen. Kein Zweifel möglich: hier war das Leben entflohen .... Von außen schloß sie die Gemächer der Toten ab und barg die schweren bronzenen Schlüssel unter ihrem Kleide. — Das Weinen und Wehklagen im Mägdezimmer verstummte, als die Erzieherin plötzlich auf der Schwelle erschien. Hell tönte ihr Schelten in den Raum. „Bis ins Schlafzimmer der Prinzessin ist euer Läriwm gedrungen nur hüt sie beunruhigt! Euer Geschrei wird der Kranken, die ihr doch alle lieb habt, noch den Tod bringen I Ihr meint, sie sei tot? Ein törichtes Gerede! Sie lebt! Eden noch sprach ich mit ihr. Aber sie ist sehr ruhebedürfttg und möchte schlafen. Laßt darum das Heulen, wenn euch ihr Leben lieb ist! Geh eine jetzt und sage das auch den Knechten. Und du, Janet, schick mir die Kammerfrau der Prinzessin hinauf. Ich erwarte sie nach der Abendmahlzeit in meinem Zimmer." „Mit Umsicht. Tatkraft und Schnelligkeit heißt es jrtzt zu Werke gehen!" sagte sie halblaut zu sich selbst, als sie über die dunklen Gänge und Treppen nach ihrem Zimmer eilte. Ihr Gesicht zeigte den gespannten Ausdruck an¬ gestrengter Gedankenarbeit. „Mein Plan ist gut. Aber um ihn durchzuführen, werde ich männliche Hilfe brauchen . . . ." Ihr Nachdenken währte nicht lang. Der einzige, dem sie ganz vertrauen konnte, war Hobbs, ein guter, in kleinen Dingen täppischer Bursche, dessen Verstand und Geschick aber mit der Größe der zu bewältigenden Aufgaben zu wachsen schienen. „Der soll sich mir jetzt bewähren!" Sie kehrte auf ihrem Wege um, hielt vor der Tür des Gartensaales an und lauschte. Sie verstand ein paar von den Worten des Mädchens, das man von drüben auf ihr Geheiß zu den Knechten geschickt hatte: „Misireß Ashley — Prinzessin nicht tot — kein Lärm — ruhebedürftig," sie hörte Ausrufe der Verwunderung. Dann trat sie ein. Wie am Morgen dieses Tages stand sie wieder auf den Treppenstufen vor der Saaltür, bleich und übernächtig im Flacker- Uckt der Pechpfannen. „Ist Hobbs da? Gut, Hobbs, ich erwarte Euch im Vorzimmer der Prinzessin. Seht zu, ob der junge Neville noch im Schlosse ist, und bringt ihn mit hinauf." „Ich wiederhole es Euch: es war Eure Pflicht, zuerst mir zu sagen, was Ihr von dem Leibarzt der Prinzessin erführe." Noch nie hatte Mary Ashleys Stimme so hart geklungen. „Keinen Menschen im Schlosse geht das Wohl und Wehe der Kranken näher an als mich. Da Ihr allein während der Unter¬ suchung im Vorzimmer wendet, war es an Euch, mir den Befund des Arztes mitzuteilen. Mir allein! Ihr habt Eure Pflicht gröblich vernachlässigt und eine unglaubliche Verwirrung in allen Gemütern angerichtet — und das zwei Tage vor Ankunft des Königs! Wäret Ihr zu mir gekommen, ich hätte Euch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/185>, abgerufen am 24.08.2024.