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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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einzige Lebensaufgabe, der er sein leider nur
kurzes Leben widmete. Er wollte ein Oswald
für sein Heimatdorf werden, wie ihn Zschokke
im "Goldmacherdorf" schildert.

So trat Felder nach vieljähriger Zurück-
gezogenheit in eifrigen Verkehr mit seinen
Landsleuten; bei den täglichen Zusammen¬
künften lenkte er die Unterhaltung auf allerlei
wichtige Tagesfragen, die dann allgemein be¬
sprochen und verhandelt wurden, und weckte
so das schlummernde Interesse für gemein¬
sames geistiges und wirtschaftliches Streben.
Aber nicht überall wurden seine sozial-Poli¬
tischen Ideen und Pläne mit gleichem Ver¬
ständnis und Wohlwollen aufgenommen. Nach
demi alten Sprichworte "nemo propketa in
patria" blieben ihm arge Enttäuschungen nicht
erspart. Der ehrgeizige Kleingeist mancher
eitlen Bauern, die auch den Dorfpfarrer für
sich zu gewinnen wußten, duldete es nicht,
daß sich einer als Führer und Berater über
die anderen erhebe; am allerwenigsten aber
durfte dies ein junger verspotteter und ver¬
höhnter Sonderling wagen, auf den man
überall mit Fingern zeigte. Man begegnete
daher Felders Bestrebungen nicht nur mit
dem größten Mißtrauen, sondern lehnte sie
von vornherein ab, weil Felder der Anreger
war. Bald standen sich zwei Parteien gegen¬
über, die in den folgenden Jahren jenen er¬
bitterten Kampf führten, in dem die ruhige
Überlegung der blinden Leidenschaft weichen
mußte und das Sachliche dem Persönlichen
geopfert wurde. Ja es kam schließlich so
weit, daß Felder es für gut fand, das Hei¬
matdorf auf einige Zeit zu verlassen, bis sich
die erregten Gemüter wieder etwas be¬
ruhigten.

Daß Felders schriftstellerische Tätigkeit
unter solchen Verhältnissen von seinen eigenen
Landsleuten nicht entsprechend gewürdigt
wurde, ist leicht begreiflich. Seine Werke
durften weder gekauft noch gelesen werden;
dafür sorgten die erfinderischen Gegner, die
in den Schriften neue Angriffspunkte suchten
und entdeckten. So mutzte Felder auf den
Beifall seiner Landsleute verzichten, während
er in Deutschland überraschende Erfolge er¬
zielte und sich rasch den Ehrenplatz neben
Auerbach" und Jeremias Gotthelf in der
deutschen Literatur erwarb. Den Wander¬

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gang in seine eigene Heimat konnte der lang
verkannte und verbannte Dichter erst viele
Jahre nach seinem Tode antreten.

Am ö, März 1910 wurde in Bezau ein
Franz-Michael-Felder-Verein gegründet, der
die durch Anton E. Schönbach angeregte
Volksausgabe von Felders Werken ermög¬
lichte. Hermann Sander, der dem ver¬
storbenen Dichter im neunten Jahresbericht
der Feldkircher Realschule 1869 einen warmen
Nachruf gewidmet und diesen später zu einer
wertvollen Biographie umgearbeitet hat, wurde
mit der Herausgabe betraut und hat seine
Aufgabe glänzend gelöst, indem er den ein¬
zelnen Bänden aufschlußreiche Einleitungen
vorausschickte und dem Texte die notwendigen
sachlichen Erklärungen beifügte. Die Aus¬
gabe umfaßt vier Bände. Der erste Band
enthält die Selbstbiographie "Aus seinem
Leben", die vom Dichter als Manuskript
hinterlassen erst 1904 durch Anton E. Schön¬
bach in den "Schriften des literarischen Ver¬
eins in Wien" veröffentlicht wurde. Die
literarhistorische Einleitung über Felfters
Bedeutung als Dichter wurde aus der Aus¬
gabe Schönbachs in die Volksausgabe über¬
nommen. Der zweite und dritte Band bringt
die Romane "Arm und Reich" und "Sonder¬
linge", während im vierten Band alle kleineren
Erzählungen, Schilderungen, soziale, politische
und biographische Schriften und einige dichteri¬
sche Versuche aufgenommen wurden.

Felder schildert in seinen Werken fast nur
Selbstgeschautes und Selbsterlebtes aus seiner
unmittelbaren Umgebung. Dieser innige Zu¬
sammenhang von Leben und Dichtung weckt
beim Leser das aufrichtige Verlangen, auch
den Menschen Felder genauer kennen zu lernen,
der sich in den Briefen an Rudolf Hildebrand
und Kaspar Moosbrugger, aus denen Sander
manche Stellen anführt, am besten offenbart.
Es wäre daher wünschenswert, wenn dieser
umfangreiche Briefwechsel, der für den Literar¬
historiker einen besonderen Wert hat, im An¬
schluß an die Volksausgabe veröffentlicht würde.
Dann erst können wir die Entwicklung und
den Werdegang Felders verfolgen, der sich
unter den schwierigsten Verhältnissen in einem
abgeschlossenen Bauerndorf, das er zeitlebens
nur zweimal auf kurze Zeit verließ, einzig
und allein durch selbsttätiges Schaffen zu

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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einzige Lebensaufgabe, der er sein leider nur
kurzes Leben widmete. Er wollte ein Oswald
für sein Heimatdorf werden, wie ihn Zschokke
im „Goldmacherdorf" schildert.

So trat Felder nach vieljähriger Zurück-
gezogenheit in eifrigen Verkehr mit seinen
Landsleuten; bei den täglichen Zusammen¬
künften lenkte er die Unterhaltung auf allerlei
wichtige Tagesfragen, die dann allgemein be¬
sprochen und verhandelt wurden, und weckte
so das schlummernde Interesse für gemein¬
sames geistiges und wirtschaftliches Streben.
Aber nicht überall wurden seine sozial-Poli¬
tischen Ideen und Pläne mit gleichem Ver¬
ständnis und Wohlwollen aufgenommen. Nach
demi alten Sprichworte „nemo propketa in
patria" blieben ihm arge Enttäuschungen nicht
erspart. Der ehrgeizige Kleingeist mancher
eitlen Bauern, die auch den Dorfpfarrer für
sich zu gewinnen wußten, duldete es nicht,
daß sich einer als Führer und Berater über
die anderen erhebe; am allerwenigsten aber
durfte dies ein junger verspotteter und ver¬
höhnter Sonderling wagen, auf den man
überall mit Fingern zeigte. Man begegnete
daher Felders Bestrebungen nicht nur mit
dem größten Mißtrauen, sondern lehnte sie
von vornherein ab, weil Felder der Anreger
war. Bald standen sich zwei Parteien gegen¬
über, die in den folgenden Jahren jenen er¬
bitterten Kampf führten, in dem die ruhige
Überlegung der blinden Leidenschaft weichen
mußte und das Sachliche dem Persönlichen
geopfert wurde. Ja es kam schließlich so
weit, daß Felder es für gut fand, das Hei¬
matdorf auf einige Zeit zu verlassen, bis sich
die erregten Gemüter wieder etwas be¬
ruhigten.

Daß Felders schriftstellerische Tätigkeit
unter solchen Verhältnissen von seinen eigenen
Landsleuten nicht entsprechend gewürdigt
wurde, ist leicht begreiflich. Seine Werke
durften weder gekauft noch gelesen werden;
dafür sorgten die erfinderischen Gegner, die
in den Schriften neue Angriffspunkte suchten
und entdeckten. So mutzte Felder auf den
Beifall seiner Landsleute verzichten, während
er in Deutschland überraschende Erfolge er¬
zielte und sich rasch den Ehrenplatz neben
Auerbach" und Jeremias Gotthelf in der
deutschen Literatur erwarb. Den Wander¬

[Spaltenumbruch]

gang in seine eigene Heimat konnte der lang
verkannte und verbannte Dichter erst viele
Jahre nach seinem Tode antreten.

Am ö, März 1910 wurde in Bezau ein
Franz-Michael-Felder-Verein gegründet, der
die durch Anton E. Schönbach angeregte
Volksausgabe von Felders Werken ermög¬
lichte. Hermann Sander, der dem ver¬
storbenen Dichter im neunten Jahresbericht
der Feldkircher Realschule 1869 einen warmen
Nachruf gewidmet und diesen später zu einer
wertvollen Biographie umgearbeitet hat, wurde
mit der Herausgabe betraut und hat seine
Aufgabe glänzend gelöst, indem er den ein¬
zelnen Bänden aufschlußreiche Einleitungen
vorausschickte und dem Texte die notwendigen
sachlichen Erklärungen beifügte. Die Aus¬
gabe umfaßt vier Bände. Der erste Band
enthält die Selbstbiographie „Aus seinem
Leben", die vom Dichter als Manuskript
hinterlassen erst 1904 durch Anton E. Schön¬
bach in den „Schriften des literarischen Ver¬
eins in Wien" veröffentlicht wurde. Die
literarhistorische Einleitung über Felfters
Bedeutung als Dichter wurde aus der Aus¬
gabe Schönbachs in die Volksausgabe über¬
nommen. Der zweite und dritte Band bringt
die Romane „Arm und Reich" und „Sonder¬
linge", während im vierten Band alle kleineren
Erzählungen, Schilderungen, soziale, politische
und biographische Schriften und einige dichteri¬
sche Versuche aufgenommen wurden.

Felder schildert in seinen Werken fast nur
Selbstgeschautes und Selbsterlebtes aus seiner
unmittelbaren Umgebung. Dieser innige Zu¬
sammenhang von Leben und Dichtung weckt
beim Leser das aufrichtige Verlangen, auch
den Menschen Felder genauer kennen zu lernen,
der sich in den Briefen an Rudolf Hildebrand
und Kaspar Moosbrugger, aus denen Sander
manche Stellen anführt, am besten offenbart.
Es wäre daher wünschenswert, wenn dieser
umfangreiche Briefwechsel, der für den Literar¬
historiker einen besonderen Wert hat, im An¬
schluß an die Volksausgabe veröffentlicht würde.
Dann erst können wir die Entwicklung und
den Werdegang Felders verfolgen, der sich
unter den schwierigsten Verhältnissen in einem
abgeschlossenen Bauerndorf, das er zeitlebens
nur zweimal auf kurze Zeit verließ, einzig
und allein durch selbsttätiges Schaffen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/153>, abgerufen am 28.07.2024.