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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Kleist ein Klassiker?

das zu einem beträchtlichen Teil auf derzeit bekannten Motiven aufgebaut ist,
das mit dem nachgötzischm Ritterdrama zusammenhängende "Käthchen" das
einzige von Kleists Dramen ist, das sich für die nächste Zeit auf der Bühne
hielt und zwar auch nur in einer Bearbeitung, die spezifisch Kleistische Züge ab¬
schwächte oder vernichtete.

Man berufe sich nicht auf die ungünstige Zeit, man jammere nicht über
Henriette Vogel, über Raumer, die den Dichter in den Tod getrieben hätten
zwei Jahre bevor die "Hermannsschlacht" eine allgemeine Wirkung hätte ausüben
können, und den Verfasser mit einem Schlage berühmt gemacht hätte. Ich
glaube vielmehr, daß eine solche Annahme auf absoluter Täuschung beruht.
Auch der "Hermannsschlacht" wäre kein rauschender und sicher kein nachhaltiger
Erfolg beschieden gewesen, so wenig wie Kleists Kampflieder trotz ihrer wunder¬
baren Pracht und Gewalt ein Echo fanden. Ist denn dieser Realpolitiker
Hermann, diese hinterlistige Katze, dieser humorvoll zurückhaltende überlegene
Gatte das Ideal der damaligen Deutschen gewesen? Wer die Teutschen vom
Schlage der Maßmann und Jahr, die doch sicher den allgemeinen Typus dar¬
stellen und deren Gebahren auch Goethe verstimmte, kennt, wird diese Frage
ernsthaft und bestimmt verneinen müssen. Und atmet etwa die Politik der Zeit,
die sich, wenn auch nicht auf die Brauseköpfe der Freiheitskriege, doch auf einen
sicherlich nicht minder geringen Teil der Bevölkerung stützen konnte, eben jenen
Teil, der später die Restauration möglich machte, atmet diese Politik etwa im
geringsten jenen unbedingten, maßlosen Franzosenhaß, der in jeder Zeile von
Kleists Dichtung lebt? Woher hätte da ein Echo allgemeiner Begeisterung
kommen sollen?

Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich predige kein juste milieu
und sage nicht, Kleist hätte sich den Anforderungen seiner Zeit, des Publikums
fügen sollen. Er tat, was er nicht lassen konnte und erntete die Früchte seines
Tuns. Ich will nur betonen, daß man Kleist dein: besten Willen nicht zum
Klassiker machen kann. Er ist ein Eigenbrötler. Das spricht nicht gegen seine
dichterische Größe, wohl aber gegen seine Bedeutung für uns. Man meine nicht,
alles Große könne Gemeingut werden. Kunstwerke leben fort -- ich rede von
wirklichem Leben, nicht von dem in Literaturgeschichten, und prächtig aus¬
gestatteten Neuausgaben --, solange sie aktuell sind oder aktuell gedeutet werden
können. Volkstümlich aber werden sie nur durch den Stoff, das ist nun
einmal nicht anders, und nur ein Phantast kann darüber klagen oder trübselige
Betrachtungen anstellen. Kleist konnte Dichtern und Kritikern eine Zeitlang als
Schild dienen, eine modische, rein auf das Artistische gerichtete Schätzung fand
in ihm mit Recht einen ganz Großen, die Literaturgeschichte stürzte sich auf das
noch unbebaute Feld und literarhistorische Bänkelsänger stellten die unglückliche
Natur des Einsamen und Verläumder in das bengalische Licht des Melodramas;
das sind die Faktoren, die die Kleist-Begeisterung hervorgebracht haben, welche, man
täusche sich darüber nicht, eine Mode ist und kein Erwachen zu besserer Erkenntnis.


Kleist ein Klassiker?

das zu einem beträchtlichen Teil auf derzeit bekannten Motiven aufgebaut ist,
das mit dem nachgötzischm Ritterdrama zusammenhängende „Käthchen" das
einzige von Kleists Dramen ist, das sich für die nächste Zeit auf der Bühne
hielt und zwar auch nur in einer Bearbeitung, die spezifisch Kleistische Züge ab¬
schwächte oder vernichtete.

Man berufe sich nicht auf die ungünstige Zeit, man jammere nicht über
Henriette Vogel, über Raumer, die den Dichter in den Tod getrieben hätten
zwei Jahre bevor die „Hermannsschlacht" eine allgemeine Wirkung hätte ausüben
können, und den Verfasser mit einem Schlage berühmt gemacht hätte. Ich
glaube vielmehr, daß eine solche Annahme auf absoluter Täuschung beruht.
Auch der „Hermannsschlacht" wäre kein rauschender und sicher kein nachhaltiger
Erfolg beschieden gewesen, so wenig wie Kleists Kampflieder trotz ihrer wunder¬
baren Pracht und Gewalt ein Echo fanden. Ist denn dieser Realpolitiker
Hermann, diese hinterlistige Katze, dieser humorvoll zurückhaltende überlegene
Gatte das Ideal der damaligen Deutschen gewesen? Wer die Teutschen vom
Schlage der Maßmann und Jahr, die doch sicher den allgemeinen Typus dar¬
stellen und deren Gebahren auch Goethe verstimmte, kennt, wird diese Frage
ernsthaft und bestimmt verneinen müssen. Und atmet etwa die Politik der Zeit,
die sich, wenn auch nicht auf die Brauseköpfe der Freiheitskriege, doch auf einen
sicherlich nicht minder geringen Teil der Bevölkerung stützen konnte, eben jenen
Teil, der später die Restauration möglich machte, atmet diese Politik etwa im
geringsten jenen unbedingten, maßlosen Franzosenhaß, der in jeder Zeile von
Kleists Dichtung lebt? Woher hätte da ein Echo allgemeiner Begeisterung
kommen sollen?

Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich predige kein juste milieu
und sage nicht, Kleist hätte sich den Anforderungen seiner Zeit, des Publikums
fügen sollen. Er tat, was er nicht lassen konnte und erntete die Früchte seines
Tuns. Ich will nur betonen, daß man Kleist dein: besten Willen nicht zum
Klassiker machen kann. Er ist ein Eigenbrötler. Das spricht nicht gegen seine
dichterische Größe, wohl aber gegen seine Bedeutung für uns. Man meine nicht,
alles Große könne Gemeingut werden. Kunstwerke leben fort — ich rede von
wirklichem Leben, nicht von dem in Literaturgeschichten, und prächtig aus¬
gestatteten Neuausgaben —, solange sie aktuell sind oder aktuell gedeutet werden
können. Volkstümlich aber werden sie nur durch den Stoff, das ist nun
einmal nicht anders, und nur ein Phantast kann darüber klagen oder trübselige
Betrachtungen anstellen. Kleist konnte Dichtern und Kritikern eine Zeitlang als
Schild dienen, eine modische, rein auf das Artistische gerichtete Schätzung fand
in ihm mit Recht einen ganz Großen, die Literaturgeschichte stürzte sich auf das
noch unbebaute Feld und literarhistorische Bänkelsänger stellten die unglückliche
Natur des Einsamen und Verläumder in das bengalische Licht des Melodramas;
das sind die Faktoren, die die Kleist-Begeisterung hervorgebracht haben, welche, man
täusche sich darüber nicht, eine Mode ist und kein Erwachen zu besserer Erkenntnis.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/132>, abgerufen am 22.07.2024.