Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel untergeordnet. Und hiermit tritt das politische Moment in die Wirtschaftskämpfe Die Beschaffenheit der Grundlagen unseres politischen Lebens sollte nun Reichsspiegel untergeordnet. Und hiermit tritt das politische Moment in die Wirtschaftskämpfe Die Beschaffenheit der Grundlagen unseres politischen Lebens sollte nun <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326913"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_392" prev="#ID_391"> untergeordnet. Und hiermit tritt das politische Moment in die Wirtschaftskämpfe<lb/> unserer Zeit, das geeignet wäre, die Geister auch politisch zu scheiden, wenn<lb/> nicht wieder parallele Erscheinungen in den beiden großen produktiven Zweigen<lb/> des nationalen Wirtschaftslebens, in Industrie und Landwirtschaft, die nationalen<lb/> Gesichtspunkte zu eng mit sozialen verknüpften: der immer stärker werdende<lb/> Gegensatz zwischen Großbetrieb und Persönlichkeit, zwischen Kapital und Mensch.<lb/> Die wirtschaftliche Gruppe, der es gelänge diesen Gegensatz ohne Erschütterung<lb/> des Staates auszugleichen, schiene mir berufen das deutsche Volk zu führen<lb/> und das bürgerliche Parteileben wieder zu beleben. Noch sehe ich sie<lb/> nicht. Noch gelten die Kämpfe, trotz großer sozialer Lasten, nicht sozialem<lb/> Ausgleich, sondern wirtschaftlicher Macht und so mußten auch die Worte des<lb/> preußischen Landwirtschaftsministers erfolglos verhallen, mit denen er kürzlich<lb/> zu Essen a. d. Ruhr die gewerblichen Stände zur Eintracht ermunterte.<lb/> Seinen Bemühungen steht bei dem städtischen gewerblichen Bürgertum, das sich<lb/> liberal nannte, der tiefe Antagonismus entgegen, der die Gefolgschaft des Re¬<lb/> gierungsrath Schweighoffer von der des Dr. Stresemann trennt. Solange<lb/> keine Formel gefunden ist, die diese beiden Gruppen einigt, darf auf Frieden<lb/> unter den bürgerlichen Parteien in der praktischen Politik nicht gerechnet werden,<lb/> da auch für den Bund der Landwirte, der Anlehnung an den Zentralverband<lb/> deutscher Industrieller sucht, keine Veranlassung vorliegt, sich mit dem Hansa¬<lb/> bunde zu verständigen. Nicht politische Anschauungen trennen das Bürgertum,<lb/> sondern wirtschaftliche Gegensätze. Vielleicht bringen die bevorstehenden Kämpfe<lb/> um den neuen Zolltarif dennoch eine Annäherung.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_393" next="#ID_394"> Die Beschaffenheit der Grundlagen unseres politischen Lebens sollte nun<lb/> Anlaß genug sein, um die Regierung von allen Schritten zurückzuhalten, die<lb/> geeignet sind, die Zerrissenheit zu vermehren und die einzelnen Organisationen<lb/> auf die Bahn der Selbsthilfe zu drängen. Vertrauen heischende Stetigkeit ist in<lb/> solchen Zeiten die beste Regierungsmethode, größte Zurückhaltung unausgereiften<lb/> Fragen gegenüber. Konsequenz in der Verfolgung einmal als richtig erkannter<lb/> Ziele. Wenn wir in diesem Zusammenhange mit Herrn von Bethmann ein¬<lb/> verstanden sein können, so ist es im Hinblick auf die Behandlung der Wahl¬<lb/> rechtsfrage durch die preußische Regierung. Man hat nach dem Scheitern<lb/> des ersten Gesetzentwurfs von einem uneingelösten Königswort gesprochen, weil<lb/> die Regierung nicht sogleich mit neuen Vorschlägen an den Landtag heran¬<lb/> getreten ist. Davon kann keine Rede sein. Die Verhandlungen im preußischen<lb/> Landtage haben so deutlich bewiesen, wie wenig die Fraktionen selbst ein Bild<lb/> von dem künstigen Wahlrecht in Preußen hatten, daß nur ein unmögliches Gesetz<lb/> zustande gekommen wäre. Da war es denn nur verständig und den Aufgaben<lb/> der Zeit angemessen, wenn die Regierung ihren Entwurf zurückzog und es jetzt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Reichsspiegel
untergeordnet. Und hiermit tritt das politische Moment in die Wirtschaftskämpfe
unserer Zeit, das geeignet wäre, die Geister auch politisch zu scheiden, wenn
nicht wieder parallele Erscheinungen in den beiden großen produktiven Zweigen
des nationalen Wirtschaftslebens, in Industrie und Landwirtschaft, die nationalen
Gesichtspunkte zu eng mit sozialen verknüpften: der immer stärker werdende
Gegensatz zwischen Großbetrieb und Persönlichkeit, zwischen Kapital und Mensch.
Die wirtschaftliche Gruppe, der es gelänge diesen Gegensatz ohne Erschütterung
des Staates auszugleichen, schiene mir berufen das deutsche Volk zu führen
und das bürgerliche Parteileben wieder zu beleben. Noch sehe ich sie
nicht. Noch gelten die Kämpfe, trotz großer sozialer Lasten, nicht sozialem
Ausgleich, sondern wirtschaftlicher Macht und so mußten auch die Worte des
preußischen Landwirtschaftsministers erfolglos verhallen, mit denen er kürzlich
zu Essen a. d. Ruhr die gewerblichen Stände zur Eintracht ermunterte.
Seinen Bemühungen steht bei dem städtischen gewerblichen Bürgertum, das sich
liberal nannte, der tiefe Antagonismus entgegen, der die Gefolgschaft des Re¬
gierungsrath Schweighoffer von der des Dr. Stresemann trennt. Solange
keine Formel gefunden ist, die diese beiden Gruppen einigt, darf auf Frieden
unter den bürgerlichen Parteien in der praktischen Politik nicht gerechnet werden,
da auch für den Bund der Landwirte, der Anlehnung an den Zentralverband
deutscher Industrieller sucht, keine Veranlassung vorliegt, sich mit dem Hansa¬
bunde zu verständigen. Nicht politische Anschauungen trennen das Bürgertum,
sondern wirtschaftliche Gegensätze. Vielleicht bringen die bevorstehenden Kämpfe
um den neuen Zolltarif dennoch eine Annäherung.
Die Beschaffenheit der Grundlagen unseres politischen Lebens sollte nun
Anlaß genug sein, um die Regierung von allen Schritten zurückzuhalten, die
geeignet sind, die Zerrissenheit zu vermehren und die einzelnen Organisationen
auf die Bahn der Selbsthilfe zu drängen. Vertrauen heischende Stetigkeit ist in
solchen Zeiten die beste Regierungsmethode, größte Zurückhaltung unausgereiften
Fragen gegenüber. Konsequenz in der Verfolgung einmal als richtig erkannter
Ziele. Wenn wir in diesem Zusammenhange mit Herrn von Bethmann ein¬
verstanden sein können, so ist es im Hinblick auf die Behandlung der Wahl¬
rechtsfrage durch die preußische Regierung. Man hat nach dem Scheitern
des ersten Gesetzentwurfs von einem uneingelösten Königswort gesprochen, weil
die Regierung nicht sogleich mit neuen Vorschlägen an den Landtag heran¬
getreten ist. Davon kann keine Rede sein. Die Verhandlungen im preußischen
Landtage haben so deutlich bewiesen, wie wenig die Fraktionen selbst ein Bild
von dem künstigen Wahlrecht in Preußen hatten, daß nur ein unmögliches Gesetz
zustande gekommen wäre. Da war es denn nur verständig und den Aufgaben
der Zeit angemessen, wenn die Regierung ihren Entwurf zurückzog und es jetzt
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