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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Symbol in der Kunst

Man wäre dennoch allerdings nicht berechtigt, ihn lediglich wegen dieses
extrem persönlichen Charakters abzulehnen, mag er deshalb auch noch so wenigen
Menschen verständlich sein. Diese extrem subjektiven und höchst persönlichen
Kunstrichtungen sind notwendig für die Entwicklung der Kunst, denn in ihnen
allein liegt die Möglichkeit des Fortschrittes, der Bereicherung der Kunst.

Die Kunst, die das typisch Menschliche in ihren Symbolen ausdrückt, die die
Summe der bisherigen menschlichen Erfahrung zum Ideal symbolisiert, sie
registriert eigentlich nur, sie sammelt die Früchte zur Erntezeit.

Die individualistische Kunst dagegen ist diejenige, die den Acker mit schwerer
Mühe umwirft und die Saat in die Furchen streut. Wenn sie auf die feinsten
Regungen der Seele lauscht und die leisesten Zuckungen des Gefühls beobachtet,
so erobert sie Neuland für die Kunst. Wenn sie diese neue Erfahrung symbolisch
zu erfassen und zu gestalten versucht, so erweisen sich vielfach die bisherigen
Kunstformen als unzulänglich, und in schwerem Ringen muß die individua-
istische, muß die extrem subjektive Kunst neue Mittel sich dienstbar machen,
neue Symbole zu schaffen suchen. Gelingt ihr das, so erfährt der Formenschatz
der Kunst jene Bereicherung, jene Ausstattung mit Ausdrucksmitteln für neue
und reichere Erfahrungen, die der idealisierenden Kunst gestatten, aufs neue
ans Werk zu gehen.

Die neuen Mittel, die die subjektive, individualistische Kunst anwendet,
sind aber nur dann geeignet, wirkliche Symbole, d. h. allgemeinverständliche
Ausdrucksmittel zu werden, wenn sie eine gewisse objektive Gesetzmäßigkeit auf¬
weisen, auf Grund deren sie übersichtlich angeordnet werden können. Diese
ermöglicht es dann dem subjektiven Gefühl, sich ein für allemal in dieser oder
jener bestimmten Form mit dem Kunstmittel, dem Symbol zu verknüpfen. So
erhält das Kunstmittel eine in gewissen Grenzen feststehende symbolische Be¬
deutung in der Kunst, die es dazu geeignet macht, als Mitteilungs-, als Ver¬
ständigungsmittel der Kunst und ihrem sozialen Zwecke zu dienen. Eine solche
objektive Gesetzmäßigkeit erhalten alle darstellenden Künste, die Malerei, Plastik,
Dichtkunst, dadurch, daß sie ihre Mittel in den Dienst der objektiven Gesetz¬
mäßigkeit der Natur stellen, daß sie die Natur und ihre Erscheinungsformen
zur Grundlage ihrer Symbole nehmen. Die Mittel der Musik, die Töne, weisen
an sich eine objektive, nämlich akustisch-physikalische Gesetzmäßigkeit auf, die ihre
Übersicht und Beherrschung durch das Gefühl erleichtert.

Nun verzichtet aber der Expressionismus auf die Gesetzmäßigkeit der Natur
bei seinem Schaffen und will die reinen Mittel der Malerei, Formen und
Farben, als Symbole für die ihnen zugeordneten Gefühle gebrauchen. Dieser
symbolische Formalismus hat nur dann Aussicht, sein Ziel, die Schaffung wirk¬
licher, d. h. allgemeinverständlicher Symbole zu erreichen, wenn es ihm gelingt,
objektive, ein für allemal gültige Gesetze für die Verwendung seiner Mittel, der
reinen Form und der reinen Farbe, aufzustellen. Gesetze, die dann die Grund¬
lage für eine ein für allemal gültige Gefühlssymbolik der Formen und


Das Symbol in der Kunst

Man wäre dennoch allerdings nicht berechtigt, ihn lediglich wegen dieses
extrem persönlichen Charakters abzulehnen, mag er deshalb auch noch so wenigen
Menschen verständlich sein. Diese extrem subjektiven und höchst persönlichen
Kunstrichtungen sind notwendig für die Entwicklung der Kunst, denn in ihnen
allein liegt die Möglichkeit des Fortschrittes, der Bereicherung der Kunst.

Die Kunst, die das typisch Menschliche in ihren Symbolen ausdrückt, die die
Summe der bisherigen menschlichen Erfahrung zum Ideal symbolisiert, sie
registriert eigentlich nur, sie sammelt die Früchte zur Erntezeit.

Die individualistische Kunst dagegen ist diejenige, die den Acker mit schwerer
Mühe umwirft und die Saat in die Furchen streut. Wenn sie auf die feinsten
Regungen der Seele lauscht und die leisesten Zuckungen des Gefühls beobachtet,
so erobert sie Neuland für die Kunst. Wenn sie diese neue Erfahrung symbolisch
zu erfassen und zu gestalten versucht, so erweisen sich vielfach die bisherigen
Kunstformen als unzulänglich, und in schwerem Ringen muß die individua-
istische, muß die extrem subjektive Kunst neue Mittel sich dienstbar machen,
neue Symbole zu schaffen suchen. Gelingt ihr das, so erfährt der Formenschatz
der Kunst jene Bereicherung, jene Ausstattung mit Ausdrucksmitteln für neue
und reichere Erfahrungen, die der idealisierenden Kunst gestatten, aufs neue
ans Werk zu gehen.

Die neuen Mittel, die die subjektive, individualistische Kunst anwendet,
sind aber nur dann geeignet, wirkliche Symbole, d. h. allgemeinverständliche
Ausdrucksmittel zu werden, wenn sie eine gewisse objektive Gesetzmäßigkeit auf¬
weisen, auf Grund deren sie übersichtlich angeordnet werden können. Diese
ermöglicht es dann dem subjektiven Gefühl, sich ein für allemal in dieser oder
jener bestimmten Form mit dem Kunstmittel, dem Symbol zu verknüpfen. So
erhält das Kunstmittel eine in gewissen Grenzen feststehende symbolische Be¬
deutung in der Kunst, die es dazu geeignet macht, als Mitteilungs-, als Ver¬
ständigungsmittel der Kunst und ihrem sozialen Zwecke zu dienen. Eine solche
objektive Gesetzmäßigkeit erhalten alle darstellenden Künste, die Malerei, Plastik,
Dichtkunst, dadurch, daß sie ihre Mittel in den Dienst der objektiven Gesetz¬
mäßigkeit der Natur stellen, daß sie die Natur und ihre Erscheinungsformen
zur Grundlage ihrer Symbole nehmen. Die Mittel der Musik, die Töne, weisen
an sich eine objektive, nämlich akustisch-physikalische Gesetzmäßigkeit auf, die ihre
Übersicht und Beherrschung durch das Gefühl erleichtert.

Nun verzichtet aber der Expressionismus auf die Gesetzmäßigkeit der Natur
bei seinem Schaffen und will die reinen Mittel der Malerei, Formen und
Farben, als Symbole für die ihnen zugeordneten Gefühle gebrauchen. Dieser
symbolische Formalismus hat nur dann Aussicht, sein Ziel, die Schaffung wirk¬
licher, d. h. allgemeinverständlicher Symbole zu erreichen, wenn es ihm gelingt,
objektive, ein für allemal gültige Gesetze für die Verwendung seiner Mittel, der
reinen Form und der reinen Farbe, aufzustellen. Gesetze, die dann die Grund¬
lage für eine ein für allemal gültige Gefühlssymbolik der Formen und


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[0072] Das Symbol in der Kunst Man wäre dennoch allerdings nicht berechtigt, ihn lediglich wegen dieses extrem persönlichen Charakters abzulehnen, mag er deshalb auch noch so wenigen Menschen verständlich sein. Diese extrem subjektiven und höchst persönlichen Kunstrichtungen sind notwendig für die Entwicklung der Kunst, denn in ihnen allein liegt die Möglichkeit des Fortschrittes, der Bereicherung der Kunst. Die Kunst, die das typisch Menschliche in ihren Symbolen ausdrückt, die die Summe der bisherigen menschlichen Erfahrung zum Ideal symbolisiert, sie registriert eigentlich nur, sie sammelt die Früchte zur Erntezeit. Die individualistische Kunst dagegen ist diejenige, die den Acker mit schwerer Mühe umwirft und die Saat in die Furchen streut. Wenn sie auf die feinsten Regungen der Seele lauscht und die leisesten Zuckungen des Gefühls beobachtet, so erobert sie Neuland für die Kunst. Wenn sie diese neue Erfahrung symbolisch zu erfassen und zu gestalten versucht, so erweisen sich vielfach die bisherigen Kunstformen als unzulänglich, und in schwerem Ringen muß die individua- istische, muß die extrem subjektive Kunst neue Mittel sich dienstbar machen, neue Symbole zu schaffen suchen. Gelingt ihr das, so erfährt der Formenschatz der Kunst jene Bereicherung, jene Ausstattung mit Ausdrucksmitteln für neue und reichere Erfahrungen, die der idealisierenden Kunst gestatten, aufs neue ans Werk zu gehen. Die neuen Mittel, die die subjektive, individualistische Kunst anwendet, sind aber nur dann geeignet, wirkliche Symbole, d. h. allgemeinverständliche Ausdrucksmittel zu werden, wenn sie eine gewisse objektive Gesetzmäßigkeit auf¬ weisen, auf Grund deren sie übersichtlich angeordnet werden können. Diese ermöglicht es dann dem subjektiven Gefühl, sich ein für allemal in dieser oder jener bestimmten Form mit dem Kunstmittel, dem Symbol zu verknüpfen. So erhält das Kunstmittel eine in gewissen Grenzen feststehende symbolische Be¬ deutung in der Kunst, die es dazu geeignet macht, als Mitteilungs-, als Ver¬ ständigungsmittel der Kunst und ihrem sozialen Zwecke zu dienen. Eine solche objektive Gesetzmäßigkeit erhalten alle darstellenden Künste, die Malerei, Plastik, Dichtkunst, dadurch, daß sie ihre Mittel in den Dienst der objektiven Gesetz¬ mäßigkeit der Natur stellen, daß sie die Natur und ihre Erscheinungsformen zur Grundlage ihrer Symbole nehmen. Die Mittel der Musik, die Töne, weisen an sich eine objektive, nämlich akustisch-physikalische Gesetzmäßigkeit auf, die ihre Übersicht und Beherrschung durch das Gefühl erleichtert. Nun verzichtet aber der Expressionismus auf die Gesetzmäßigkeit der Natur bei seinem Schaffen und will die reinen Mittel der Malerei, Formen und Farben, als Symbole für die ihnen zugeordneten Gefühle gebrauchen. Dieser symbolische Formalismus hat nur dann Aussicht, sein Ziel, die Schaffung wirk¬ licher, d. h. allgemeinverständlicher Symbole zu erreichen, wenn es ihm gelingt, objektive, ein für allemal gültige Gesetze für die Verwendung seiner Mittel, der reinen Form und der reinen Farbe, aufzustellen. Gesetze, die dann die Grund¬ lage für eine ein für allemal gültige Gefühlssymbolik der Formen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/72>, abgerufen am 28.12.2024.