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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Lymbol in der Aunst

Wir möchten versuchen, den Beweis für diese Behauptung an dem Schaffen
einer der neuesten Richtungen moderner Malerei zu führen, nämlich am Schaffen
der Expressionisten, namentlich ihres Führers Kandinski. Wenn man vor den
Erzeugnissen der Expressionisten steht, sei es Kandinski oder Pechstein oder ein
anderer Vertreter, so ist man allerdings zunächst sehr stark versucht, mit einem Lächeln
und Achselzucken vorüberzugehen, ja sogar ein gesunder Ärger fehlt wohl nicht
darüber, daß solche "Schmiererei" sich sür Kunst auszugeben wage. Aber auch
einem solchen unzulänglichen, ja unverständlichen Bemühen gegenüber ist der
Kulturpsychologe nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu fragen:
"Aus welchen geistigen Zusammenhängen heraus ist das entstanden?", und der
Kulturhistoriker fügt die Frage hinzu: "In welche geistigen Zusammenhänge
paßt das hinein?"

Kandinski selbst macht es uns leicht, jene Frage nach den psychologischen
und historischen Wurzeln des Expressionismus zu beantworten. Er legt sie in
seinem Buche "Über das Geistige in der Kunst"*) mit großem Scharfsinn und
Geschick selber bloß.

Übrigens kann hier der nachdenkliche Beobachter die Bemerkung nicht unter¬
drücken, es sei im Grunde doch ein pikantes Paradoxon, daß man sich über
die modernsten Kunstrichtungen -- das gilt für die Futuristen nicht weniger
als für die Expressionisten -- aus Büchern, aus programmatischen Erklärungen
eher Aufklärung holen könne als aus der genießenden Betrachtung und der
Analyse der geschaffenen "Werke".

Dennoch ist es jene Schrift Kandinskis durchaus wert, daß wir auf sie
ausführlicher eingehen. Es zeigt sich nämlich in ihr klar, daß die Expressionisten
die symbolische Kraft der Kunst zielbewußt für den Ausdruck jener Unter¬
strömungen im modernen geistigen Leben nutzbar machen wollen, von denen wir
oben sprachen. Allerdings zeigt es sich dabei auch mit nicht minderer Klarheit,
daß sie dabei einen falschen Weg eingeschlagen haben und in Gefahr geraten
sind, die symbolische Kraft der Kunst zu verkennen und zu überschätzen.

Auch Kandinski findet, daß sich im modernen geistigen Leben eine "geistige
Wendung" vorbereite, daß eine immer größere Zahl von Menschen "keine
Hoffnung mehr setze auf die Methoden der materialistischen Wissenschaft in
Fragen, die mit der Mchtmaterie' oder einer Materie zu tun haben, die unseren
Sinnen nicht zugänglich ist". In einer Art Verzweiflung greifen diese Menschen,
genau so wie sich die Kunst vielfach den Ausdrucksformen der Primitiven zu¬
wendet, von den höchst exakten modernen Methoden der Erkenntnis auf jene
halbvergessenen und in Mißachtung geratenen Erkenntnismethoden vergangener
Zeiten zurück, die noch bei einigen alten Kulturvölker", z. B. den Jndiern,
erhalten geblieben sind. Die Theosophen versuchen auf der rein gefühlsmäßigen und
intuitiver inneren Erfahrung vom Übersinnlichen eine Weltanschauung aufzubauen.



*) Kandinski: "Über das Geistige in der Kunst, insbesondere in der Malerei." Mit
acht Tafeln und zehn Originalholzschnitten. München, R. Pieper u. Co. 1912. Preis 3 Mark.
Das Lymbol in der Aunst

Wir möchten versuchen, den Beweis für diese Behauptung an dem Schaffen
einer der neuesten Richtungen moderner Malerei zu führen, nämlich am Schaffen
der Expressionisten, namentlich ihres Führers Kandinski. Wenn man vor den
Erzeugnissen der Expressionisten steht, sei es Kandinski oder Pechstein oder ein
anderer Vertreter, so ist man allerdings zunächst sehr stark versucht, mit einem Lächeln
und Achselzucken vorüberzugehen, ja sogar ein gesunder Ärger fehlt wohl nicht
darüber, daß solche „Schmiererei" sich sür Kunst auszugeben wage. Aber auch
einem solchen unzulänglichen, ja unverständlichen Bemühen gegenüber ist der
Kulturpsychologe nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu fragen:
„Aus welchen geistigen Zusammenhängen heraus ist das entstanden?", und der
Kulturhistoriker fügt die Frage hinzu: „In welche geistigen Zusammenhänge
paßt das hinein?"

Kandinski selbst macht es uns leicht, jene Frage nach den psychologischen
und historischen Wurzeln des Expressionismus zu beantworten. Er legt sie in
seinem Buche „Über das Geistige in der Kunst"*) mit großem Scharfsinn und
Geschick selber bloß.

Übrigens kann hier der nachdenkliche Beobachter die Bemerkung nicht unter¬
drücken, es sei im Grunde doch ein pikantes Paradoxon, daß man sich über
die modernsten Kunstrichtungen — das gilt für die Futuristen nicht weniger
als für die Expressionisten — aus Büchern, aus programmatischen Erklärungen
eher Aufklärung holen könne als aus der genießenden Betrachtung und der
Analyse der geschaffenen „Werke".

Dennoch ist es jene Schrift Kandinskis durchaus wert, daß wir auf sie
ausführlicher eingehen. Es zeigt sich nämlich in ihr klar, daß die Expressionisten
die symbolische Kraft der Kunst zielbewußt für den Ausdruck jener Unter¬
strömungen im modernen geistigen Leben nutzbar machen wollen, von denen wir
oben sprachen. Allerdings zeigt es sich dabei auch mit nicht minderer Klarheit,
daß sie dabei einen falschen Weg eingeschlagen haben und in Gefahr geraten
sind, die symbolische Kraft der Kunst zu verkennen und zu überschätzen.

Auch Kandinski findet, daß sich im modernen geistigen Leben eine „geistige
Wendung" vorbereite, daß eine immer größere Zahl von Menschen „keine
Hoffnung mehr setze auf die Methoden der materialistischen Wissenschaft in
Fragen, die mit der Mchtmaterie' oder einer Materie zu tun haben, die unseren
Sinnen nicht zugänglich ist". In einer Art Verzweiflung greifen diese Menschen,
genau so wie sich die Kunst vielfach den Ausdrucksformen der Primitiven zu¬
wendet, von den höchst exakten modernen Methoden der Erkenntnis auf jene
halbvergessenen und in Mißachtung geratenen Erkenntnismethoden vergangener
Zeiten zurück, die noch bei einigen alten Kulturvölker», z. B. den Jndiern,
erhalten geblieben sind. Die Theosophen versuchen auf der rein gefühlsmäßigen und
intuitiver inneren Erfahrung vom Übersinnlichen eine Weltanschauung aufzubauen.



*) Kandinski: „Über das Geistige in der Kunst, insbesondere in der Malerei." Mit
acht Tafeln und zehn Originalholzschnitten. München, R. Pieper u. Co. 1912. Preis 3 Mark.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/66>, abgerufen am 28.12.2024.