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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Prag

ragen die spitzen Türme der Teynkirche gen Himmel und sieh da, in der Mitte
des Platzes -- ist es eine Vision -- da schallen aus Nebeln und Regenschauern
dumpfe Schläge gegen Holzbretter, da zimmern sie ein Gerüst. Ja bin ich
denn 300 Jahre zurückversetzt? Zimmern sie dort das Schaffst für die Besiegten
vom weißen Berge? Gespensterspuk dämmernden Abends, dahindämmernder
Altstadt. (Sie bauen natürlich irgendein gleichgültiges Reparaturgerüst.)

Aber nun weiter auf die Suche nach jenem Hause, um dessentwillen ich
vor allem hergekommen, nach dem Sterbehause Scharnhorsts.

Kein Bädeker zeigt es an. kein Fremdenführer weiß es, selbst die Vor¬
standsmitglieder des "Deutschen Hauses" am Graben, jener vom Tschechenpöbel
so oft umtobten Hochburg des Deutschtums in Prag, können mir keinen Anhalt
geben. Es starben so viele hohe Offiziere im Sommer des Jahres 1813; da
war keine Muße, sich die Sterbehäuser zu merken.

So ist in diesem Prag, welches die zwei, drei ja fünf Jahrhunderte zurück¬
liegenden Geschehnisse so treulich in Schlössern und Brücken, in Häusern und
Denktafeln bewahrt, kein Gedenken dafür zurückgeblieben, wo der genialste und
liebenswerteste der Helden von 1813 seine letzten qualvollen Tage verbracht
hat. Sicher steht das Haus, das ihn damals beherbergt hat. noch heut, mit
altem Giebeldache und morschen Holztreppen, aber wir können sie nicht hinan¬
steigen, wir können nicht das Zimmer betreten, in dem er jene rührenden letzten
Briefe an seine Tochter, die Gräfin Dohna, die Vertraute. seines beruflichen
Schaffens, schrieb:

"Liebe Julchen, ich liege seit vierzehn Tagen hier unter den Händen der
Ärzte; einmal haben sie mich geschnitten, heute geschieht es zum zweiten Male,
dann sey aber auch alles ins Reine. Wir wollen hoffen; auch ich habe Ver¬
trauen. Deine Charpien usw. habe ich hier erhalten und sind mir sehr recht
gekommen. Dein Dich innigst liebender Vater


Scharnhorst.

Prag, den 14. Juni 1813.

Meine Verpflegung, Logie und Aufwartung, Greulich, der treue Friedrich
sehr gut."

Zuversichtlich schreibt er noch am 18. Juni:

"Prag, den 18. Juni.

Meine einzige Tochter, es scheint mit meiner Herstellung langsam zu gehen,
doch bezweifle ich dieselbe nicht. Ich hoffe mit den ersten Streitern beim
Wiederausbruch des Krieges seyn zu können und werde dazu alle Mittel an¬
wenden. Allen meine Innigkeit der Donaschen hohen edlen Familie.


Dein zärtlichster Vater Scharnhorst."

Als aber Grolmann an sein Krankenlager eilte, um ihm die frohe Nach¬
richt zu bringen, daß man sich mit Österreich über den künftigen Feldzugsplan


Prag

ragen die spitzen Türme der Teynkirche gen Himmel und sieh da, in der Mitte
des Platzes — ist es eine Vision — da schallen aus Nebeln und Regenschauern
dumpfe Schläge gegen Holzbretter, da zimmern sie ein Gerüst. Ja bin ich
denn 300 Jahre zurückversetzt? Zimmern sie dort das Schaffst für die Besiegten
vom weißen Berge? Gespensterspuk dämmernden Abends, dahindämmernder
Altstadt. (Sie bauen natürlich irgendein gleichgültiges Reparaturgerüst.)

Aber nun weiter auf die Suche nach jenem Hause, um dessentwillen ich
vor allem hergekommen, nach dem Sterbehause Scharnhorsts.

Kein Bädeker zeigt es an. kein Fremdenführer weiß es, selbst die Vor¬
standsmitglieder des „Deutschen Hauses" am Graben, jener vom Tschechenpöbel
so oft umtobten Hochburg des Deutschtums in Prag, können mir keinen Anhalt
geben. Es starben so viele hohe Offiziere im Sommer des Jahres 1813; da
war keine Muße, sich die Sterbehäuser zu merken.

So ist in diesem Prag, welches die zwei, drei ja fünf Jahrhunderte zurück¬
liegenden Geschehnisse so treulich in Schlössern und Brücken, in Häusern und
Denktafeln bewahrt, kein Gedenken dafür zurückgeblieben, wo der genialste und
liebenswerteste der Helden von 1813 seine letzten qualvollen Tage verbracht
hat. Sicher steht das Haus, das ihn damals beherbergt hat. noch heut, mit
altem Giebeldache und morschen Holztreppen, aber wir können sie nicht hinan¬
steigen, wir können nicht das Zimmer betreten, in dem er jene rührenden letzten
Briefe an seine Tochter, die Gräfin Dohna, die Vertraute. seines beruflichen
Schaffens, schrieb:

„Liebe Julchen, ich liege seit vierzehn Tagen hier unter den Händen der
Ärzte; einmal haben sie mich geschnitten, heute geschieht es zum zweiten Male,
dann sey aber auch alles ins Reine. Wir wollen hoffen; auch ich habe Ver¬
trauen. Deine Charpien usw. habe ich hier erhalten und sind mir sehr recht
gekommen. Dein Dich innigst liebender Vater


Scharnhorst.

Prag, den 14. Juni 1813.

Meine Verpflegung, Logie und Aufwartung, Greulich, der treue Friedrich
sehr gut."

Zuversichtlich schreibt er noch am 18. Juni:

„Prag, den 18. Juni.

Meine einzige Tochter, es scheint mit meiner Herstellung langsam zu gehen,
doch bezweifle ich dieselbe nicht. Ich hoffe mit den ersten Streitern beim
Wiederausbruch des Krieges seyn zu können und werde dazu alle Mittel an¬
wenden. Allen meine Innigkeit der Donaschen hohen edlen Familie.


Dein zärtlichster Vater Scharnhorst."

Als aber Grolmann an sein Krankenlager eilte, um ihm die frohe Nach¬
richt zu bringen, daß man sich mit Österreich über den künftigen Feldzugsplan


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[0064] Prag ragen die spitzen Türme der Teynkirche gen Himmel und sieh da, in der Mitte des Platzes — ist es eine Vision — da schallen aus Nebeln und Regenschauern dumpfe Schläge gegen Holzbretter, da zimmern sie ein Gerüst. Ja bin ich denn 300 Jahre zurückversetzt? Zimmern sie dort das Schaffst für die Besiegten vom weißen Berge? Gespensterspuk dämmernden Abends, dahindämmernder Altstadt. (Sie bauen natürlich irgendein gleichgültiges Reparaturgerüst.) Aber nun weiter auf die Suche nach jenem Hause, um dessentwillen ich vor allem hergekommen, nach dem Sterbehause Scharnhorsts. Kein Bädeker zeigt es an. kein Fremdenführer weiß es, selbst die Vor¬ standsmitglieder des „Deutschen Hauses" am Graben, jener vom Tschechenpöbel so oft umtobten Hochburg des Deutschtums in Prag, können mir keinen Anhalt geben. Es starben so viele hohe Offiziere im Sommer des Jahres 1813; da war keine Muße, sich die Sterbehäuser zu merken. So ist in diesem Prag, welches die zwei, drei ja fünf Jahrhunderte zurück¬ liegenden Geschehnisse so treulich in Schlössern und Brücken, in Häusern und Denktafeln bewahrt, kein Gedenken dafür zurückgeblieben, wo der genialste und liebenswerteste der Helden von 1813 seine letzten qualvollen Tage verbracht hat. Sicher steht das Haus, das ihn damals beherbergt hat. noch heut, mit altem Giebeldache und morschen Holztreppen, aber wir können sie nicht hinan¬ steigen, wir können nicht das Zimmer betreten, in dem er jene rührenden letzten Briefe an seine Tochter, die Gräfin Dohna, die Vertraute. seines beruflichen Schaffens, schrieb: „Liebe Julchen, ich liege seit vierzehn Tagen hier unter den Händen der Ärzte; einmal haben sie mich geschnitten, heute geschieht es zum zweiten Male, dann sey aber auch alles ins Reine. Wir wollen hoffen; auch ich habe Ver¬ trauen. Deine Charpien usw. habe ich hier erhalten und sind mir sehr recht gekommen. Dein Dich innigst liebender Vater Scharnhorst. Prag, den 14. Juni 1813. Meine Verpflegung, Logie und Aufwartung, Greulich, der treue Friedrich sehr gut." Zuversichtlich schreibt er noch am 18. Juni: „Prag, den 18. Juni. Meine einzige Tochter, es scheint mit meiner Herstellung langsam zu gehen, doch bezweifle ich dieselbe nicht. Ich hoffe mit den ersten Streitern beim Wiederausbruch des Krieges seyn zu können und werde dazu alle Mittel an¬ wenden. Allen meine Innigkeit der Donaschen hohen edlen Familie. Dein zärtlichster Vater Scharnhorst." Als aber Grolmann an sein Krankenlager eilte, um ihm die frohe Nach¬ richt zu bringen, daß man sich mit Österreich über den künftigen Feldzugsplan

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/64>, abgerufen am 28.12.2024.