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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kinematograph und Zeitgeschichte

dürfte, als uns heutzutage jene Zukunftsbilder. Bis die kinematographische
Zeitung in diesem Sinne Wirklichkeit geworden ist, wird freilich noch viel Wasser
die Spree hinablaufen.

In gewissem Sinne gibt es aber, wie bemerkt, auch heute schon eine kine¬
matographische Berichterstattung, die sicherlich noch weiter ausgebaut werden
kann. Die Entwicklung scheint auch, wenn nicht alles trügt, dahin zu gehen,
daß diese Wiedergabe aktueller Ereignisse immer mehr Verbreitung findet. Darauf
deutet insbesondere hin, daß in den letzten Jahren immer mehr Filmfabriken
sich auch mit der Herstellung derartiger aktueller Films befaßt und teilweise eine
ausgezeichnete Organisation geschaffen haben. Wie soll man sich zu dieser Ent¬
wicklung stellen? Soll man sie mit Freuden begrüßen oder soll man die kine¬
matographische Berichterstattung als einen Auswuchs der Kinematographie
bezeichnen, der zwar nicht so arg ist wie die eigentlichen Schundfilms, namentlich
die Dramen, der aber doch keineswegs erwünscht sein kann? Nun, wir haben
oben schon zum Ausdruck gebracht, wie unsere Stellung- zu diesem Problem ist:
wir stehen keinen Augenblick an, dafür einzutreten, daß die Wiedergabe zeit¬
geschichtlicher Ereignisse im Filu uns ein erfreulicher Fortschritt zu sein scheint.
Es dürfte aber nicht genügen, diese Ansicht aufzustellen, ohne sie zu begründen,
da wir davon überzeugt sind, daß dieser oder jener anderen Sinnes sein wird.
In den bekannten Arbeiten, welche sich mit der Reform der Kinematographie
beschäftigt haben, ist dieser Punkt immer sehr stiefmütterlich behandelt, wenn
nicht gar ganz übersehen worden. Dies ist ja auch leicht erklärlich, da vom
Standpunkte der Volksbildung und der Kulturförderung aus der im Beginn
unserer Auseinandersetzungen erwähnten Nutzbarmachung der belehrenden Films
für Bildungszwecke ja zweifelsohne eine ungleich größere Bedeutung zukommt
als der Verwendung aktueller kinematographischer Wiedergaben.

Man wird vielleicht sagen -- und anscheinend nicht so ganz mit Unrecht --
irgendeinen positiven Wert hätten die wenigsten aktuellen Films: Was solle
man im Ernst aus Festzügen, Paradebildern, aus Denkmalseinweihungen und
aus Stapelläufen lernen? Ja noch schlimmer: werde durch das Vorführen der¬
artiger Bilder, das einen tiefen Eindruck nicht hinterlassen könne, durch das
Zeigen laufender Nichtigkeiten nicht die Oberflächlichkeit erst recht großgezogen
und tieferes Interesse für Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft, mit den
sozialen Fragen und den mannigfachsten ernsten Kulturproblemen verhindert und
erschwert?

Sieht man sich die aktuellen Films an, welche allwöchentlich von den er¬
wähnten Filmfabriken in den Handel gebracht werden, so wird man diesem
Einwurf wohl nicht ohne weiteres jede Berechtigung absprechen können. So
brachte eine Nummer des Pathö-Journals folgende Darbietungen:

In München das Wettspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft, sowie die
Überführung der Leiche des erschossenen preußischen Militär-Attachös von Levinsky,
aus Stockholm die Veranstaltungen im Stadion zur Jahrhundertfeier für Ling, den


Kinematograph und Zeitgeschichte

dürfte, als uns heutzutage jene Zukunftsbilder. Bis die kinematographische
Zeitung in diesem Sinne Wirklichkeit geworden ist, wird freilich noch viel Wasser
die Spree hinablaufen.

In gewissem Sinne gibt es aber, wie bemerkt, auch heute schon eine kine¬
matographische Berichterstattung, die sicherlich noch weiter ausgebaut werden
kann. Die Entwicklung scheint auch, wenn nicht alles trügt, dahin zu gehen,
daß diese Wiedergabe aktueller Ereignisse immer mehr Verbreitung findet. Darauf
deutet insbesondere hin, daß in den letzten Jahren immer mehr Filmfabriken
sich auch mit der Herstellung derartiger aktueller Films befaßt und teilweise eine
ausgezeichnete Organisation geschaffen haben. Wie soll man sich zu dieser Ent¬
wicklung stellen? Soll man sie mit Freuden begrüßen oder soll man die kine¬
matographische Berichterstattung als einen Auswuchs der Kinematographie
bezeichnen, der zwar nicht so arg ist wie die eigentlichen Schundfilms, namentlich
die Dramen, der aber doch keineswegs erwünscht sein kann? Nun, wir haben
oben schon zum Ausdruck gebracht, wie unsere Stellung- zu diesem Problem ist:
wir stehen keinen Augenblick an, dafür einzutreten, daß die Wiedergabe zeit¬
geschichtlicher Ereignisse im Filu uns ein erfreulicher Fortschritt zu sein scheint.
Es dürfte aber nicht genügen, diese Ansicht aufzustellen, ohne sie zu begründen,
da wir davon überzeugt sind, daß dieser oder jener anderen Sinnes sein wird.
In den bekannten Arbeiten, welche sich mit der Reform der Kinematographie
beschäftigt haben, ist dieser Punkt immer sehr stiefmütterlich behandelt, wenn
nicht gar ganz übersehen worden. Dies ist ja auch leicht erklärlich, da vom
Standpunkte der Volksbildung und der Kulturförderung aus der im Beginn
unserer Auseinandersetzungen erwähnten Nutzbarmachung der belehrenden Films
für Bildungszwecke ja zweifelsohne eine ungleich größere Bedeutung zukommt
als der Verwendung aktueller kinematographischer Wiedergaben.

Man wird vielleicht sagen — und anscheinend nicht so ganz mit Unrecht —
irgendeinen positiven Wert hätten die wenigsten aktuellen Films: Was solle
man im Ernst aus Festzügen, Paradebildern, aus Denkmalseinweihungen und
aus Stapelläufen lernen? Ja noch schlimmer: werde durch das Vorführen der¬
artiger Bilder, das einen tiefen Eindruck nicht hinterlassen könne, durch das
Zeigen laufender Nichtigkeiten nicht die Oberflächlichkeit erst recht großgezogen
und tieferes Interesse für Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft, mit den
sozialen Fragen und den mannigfachsten ernsten Kulturproblemen verhindert und
erschwert?

Sieht man sich die aktuellen Films an, welche allwöchentlich von den er¬
wähnten Filmfabriken in den Handel gebracht werden, so wird man diesem
Einwurf wohl nicht ohne weiteres jede Berechtigung absprechen können. So
brachte eine Nummer des Pathö-Journals folgende Darbietungen:

In München das Wettspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft, sowie die
Überführung der Leiche des erschossenen preußischen Militär-Attachös von Levinsky,
aus Stockholm die Veranstaltungen im Stadion zur Jahrhundertfeier für Ling, den


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[0626] Kinematograph und Zeitgeschichte dürfte, als uns heutzutage jene Zukunftsbilder. Bis die kinematographische Zeitung in diesem Sinne Wirklichkeit geworden ist, wird freilich noch viel Wasser die Spree hinablaufen. In gewissem Sinne gibt es aber, wie bemerkt, auch heute schon eine kine¬ matographische Berichterstattung, die sicherlich noch weiter ausgebaut werden kann. Die Entwicklung scheint auch, wenn nicht alles trügt, dahin zu gehen, daß diese Wiedergabe aktueller Ereignisse immer mehr Verbreitung findet. Darauf deutet insbesondere hin, daß in den letzten Jahren immer mehr Filmfabriken sich auch mit der Herstellung derartiger aktueller Films befaßt und teilweise eine ausgezeichnete Organisation geschaffen haben. Wie soll man sich zu dieser Ent¬ wicklung stellen? Soll man sie mit Freuden begrüßen oder soll man die kine¬ matographische Berichterstattung als einen Auswuchs der Kinematographie bezeichnen, der zwar nicht so arg ist wie die eigentlichen Schundfilms, namentlich die Dramen, der aber doch keineswegs erwünscht sein kann? Nun, wir haben oben schon zum Ausdruck gebracht, wie unsere Stellung- zu diesem Problem ist: wir stehen keinen Augenblick an, dafür einzutreten, daß die Wiedergabe zeit¬ geschichtlicher Ereignisse im Filu uns ein erfreulicher Fortschritt zu sein scheint. Es dürfte aber nicht genügen, diese Ansicht aufzustellen, ohne sie zu begründen, da wir davon überzeugt sind, daß dieser oder jener anderen Sinnes sein wird. In den bekannten Arbeiten, welche sich mit der Reform der Kinematographie beschäftigt haben, ist dieser Punkt immer sehr stiefmütterlich behandelt, wenn nicht gar ganz übersehen worden. Dies ist ja auch leicht erklärlich, da vom Standpunkte der Volksbildung und der Kulturförderung aus der im Beginn unserer Auseinandersetzungen erwähnten Nutzbarmachung der belehrenden Films für Bildungszwecke ja zweifelsohne eine ungleich größere Bedeutung zukommt als der Verwendung aktueller kinematographischer Wiedergaben. Man wird vielleicht sagen — und anscheinend nicht so ganz mit Unrecht — irgendeinen positiven Wert hätten die wenigsten aktuellen Films: Was solle man im Ernst aus Festzügen, Paradebildern, aus Denkmalseinweihungen und aus Stapelläufen lernen? Ja noch schlimmer: werde durch das Vorführen der¬ artiger Bilder, das einen tiefen Eindruck nicht hinterlassen könne, durch das Zeigen laufender Nichtigkeiten nicht die Oberflächlichkeit erst recht großgezogen und tieferes Interesse für Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft, mit den sozialen Fragen und den mannigfachsten ernsten Kulturproblemen verhindert und erschwert? Sieht man sich die aktuellen Films an, welche allwöchentlich von den er¬ wähnten Filmfabriken in den Handel gebracht werden, so wird man diesem Einwurf wohl nicht ohne weiteres jede Berechtigung absprechen können. So brachte eine Nummer des Pathö-Journals folgende Darbietungen: In München das Wettspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft, sowie die Überführung der Leiche des erschossenen preußischen Militär-Attachös von Levinsky, aus Stockholm die Veranstaltungen im Stadion zur Jahrhundertfeier für Ling, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/626>, abgerufen am 19.10.2024.