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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Rhein-See-Kanal

Gedankens höchstens, erkannt zu haben, daß der Zeitpunkt gekommen ist, wo
die Verhältnisse im rheinisch-westfälischen Industrieoezirk den Gedanken auf den
Boden der Möglichkeit gestellt haben.

Die erste Frage, die der Prüfung der Ausführbarkeit vorangehen muß, ist
die, inwieweit wir aus internationalen Gründen Holland gegenüber derartige
Pläne hegen dürfen. Wir haben in dieser Beziehung nicht die Verpflichtung,
Holland seine jetzige Stellung in der Rheinschiffahrt zu erhalten, weder rechtlich
noch moralisch. Die gewaltigen Summen, die Holland und Belgien aus dem
Umschlagsverkehr deutscher und nach Deutschland bestimmter Güter ziehen, hat
man uns politisch in diesen Ländern durchaus nicht immer entsprechend gedankt.
Aber anderseits dürfen wir nicht die jetzige Schissbarkeit des Rheines auf seinem
holländischen Lauf beeinträchtigen, sind also in einer etwaigen Wasserentnahme
aus dem Rheinbett für den Kanal an enge Grenzen gebunden.

Soweit Holland in Frage kommt, sind zwei einander entgegen¬
arbeitende Gesichtspunkte in den Besprechungen zur Erwägung gelangt, einmal
die Tatsache, daß uns die Möglichkeit eines künstlichen Seeweges Rhein-Nordsee
durch deutsches Gebiet eine Waffe in die Hand gibt, um Holland zu zwingen,
das Fahrwasser auf seiner Rheinstrecke zu verbessern, und der andere, daß ein
Rhein-Seekanal, er mag so leistungsfähig gebaut werden, wie er will, unter
keinen Umständen den Umschlagsverkehr deutscher und für Deutschland bestimmter
Waren in den Niederlanden beseitigen, ja ihn kaum geringer werden lassen
wird. Diese letztere Betrachtung führt zu dem meiner Meinung nach wesent¬
lichen Punkt: wird der Kanal gebaut mit der Absicht, den deutschen Umschlags¬
verkehr aus den niederländischen Häfen abzulenken, dann ist er von vornherein
totgeboren. Niemals wird man die Sammelladungen, die die Schiffsriesen der
Überseelinien in die großen Welthäfen bringen, in den Kanal leiten können,
schon deshalb nicht, weil diese Ladungen kaum jemals einen einzigen Bestimmungs¬
ort haben, sondern aus den großen Häfen wieder nach allen Himmelsrichtungen
sich verteilen. Außerdem sind die großen Liniendampfer zumeist auch Passagier¬
dampfer und würden schon aus diesem Grunde keine tagelangem Fahrten machen,
auf denen Passagierbeförderung nicht in Frage kommt. Auch technisch halte ich
übrigens den weit ins Binnenland reichenden Rhein-See-Kanal mit Abmessungen,
die sür die größten Seeschiffe ausreichen würden, in Bau und Betrieb für so
gut wie unmöglich.

Der Kanal hat nur Zweck und Sinn, wenn seine unmittelbare oder mittel¬
bare Bedeutung gegründet werden kann auf Frachten, die in großer Regel¬
mäßigkeit und in großen Mengen von einem Einzelpunkt nach einem anderen
Einzelpunkt bestimmt sind. Dafür kommen in Betracht Erze, vielleicht auch
Grubenholz im Eingang und vor allem Kohlen im Ausgang. Gerade auf
Kohlen möchteich den größten Wert legen. Wenn der geplante Kanal gestattet,
endlich die Kohlenversorgung der deutschen Küste aus England zu beseitigen,
womöglich die Kohlenversorgung der nordischen Länder zu einem bedeutenden


Rhein-See-Kanal

Gedankens höchstens, erkannt zu haben, daß der Zeitpunkt gekommen ist, wo
die Verhältnisse im rheinisch-westfälischen Industrieoezirk den Gedanken auf den
Boden der Möglichkeit gestellt haben.

Die erste Frage, die der Prüfung der Ausführbarkeit vorangehen muß, ist
die, inwieweit wir aus internationalen Gründen Holland gegenüber derartige
Pläne hegen dürfen. Wir haben in dieser Beziehung nicht die Verpflichtung,
Holland seine jetzige Stellung in der Rheinschiffahrt zu erhalten, weder rechtlich
noch moralisch. Die gewaltigen Summen, die Holland und Belgien aus dem
Umschlagsverkehr deutscher und nach Deutschland bestimmter Güter ziehen, hat
man uns politisch in diesen Ländern durchaus nicht immer entsprechend gedankt.
Aber anderseits dürfen wir nicht die jetzige Schissbarkeit des Rheines auf seinem
holländischen Lauf beeinträchtigen, sind also in einer etwaigen Wasserentnahme
aus dem Rheinbett für den Kanal an enge Grenzen gebunden.

Soweit Holland in Frage kommt, sind zwei einander entgegen¬
arbeitende Gesichtspunkte in den Besprechungen zur Erwägung gelangt, einmal
die Tatsache, daß uns die Möglichkeit eines künstlichen Seeweges Rhein-Nordsee
durch deutsches Gebiet eine Waffe in die Hand gibt, um Holland zu zwingen,
das Fahrwasser auf seiner Rheinstrecke zu verbessern, und der andere, daß ein
Rhein-Seekanal, er mag so leistungsfähig gebaut werden, wie er will, unter
keinen Umständen den Umschlagsverkehr deutscher und für Deutschland bestimmter
Waren in den Niederlanden beseitigen, ja ihn kaum geringer werden lassen
wird. Diese letztere Betrachtung führt zu dem meiner Meinung nach wesent¬
lichen Punkt: wird der Kanal gebaut mit der Absicht, den deutschen Umschlags¬
verkehr aus den niederländischen Häfen abzulenken, dann ist er von vornherein
totgeboren. Niemals wird man die Sammelladungen, die die Schiffsriesen der
Überseelinien in die großen Welthäfen bringen, in den Kanal leiten können,
schon deshalb nicht, weil diese Ladungen kaum jemals einen einzigen Bestimmungs¬
ort haben, sondern aus den großen Häfen wieder nach allen Himmelsrichtungen
sich verteilen. Außerdem sind die großen Liniendampfer zumeist auch Passagier¬
dampfer und würden schon aus diesem Grunde keine tagelangem Fahrten machen,
auf denen Passagierbeförderung nicht in Frage kommt. Auch technisch halte ich
übrigens den weit ins Binnenland reichenden Rhein-See-Kanal mit Abmessungen,
die sür die größten Seeschiffe ausreichen würden, in Bau und Betrieb für so
gut wie unmöglich.

Der Kanal hat nur Zweck und Sinn, wenn seine unmittelbare oder mittel¬
bare Bedeutung gegründet werden kann auf Frachten, die in großer Regel¬
mäßigkeit und in großen Mengen von einem Einzelpunkt nach einem anderen
Einzelpunkt bestimmt sind. Dafür kommen in Betracht Erze, vielleicht auch
Grubenholz im Eingang und vor allem Kohlen im Ausgang. Gerade auf
Kohlen möchteich den größten Wert legen. Wenn der geplante Kanal gestattet,
endlich die Kohlenversorgung der deutschen Küste aus England zu beseitigen,
womöglich die Kohlenversorgung der nordischen Länder zu einem bedeutenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/612>, abgerufen am 19.10.2024.