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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Staates

Schließlich erklärte in der Kommissionsverhandlung (Protokoll) der Regierungs¬
vertreter, daß das Bestreben der Regierung in erster Linie nicht auf Beschränkung
des Jntestaterbrechts gerichtet sei; daß vielmehr finanzielle Rücksichten zuförderst
in Frage kämen. Das war ehrlich gesprochen!

Der Hinweis darauf, daß unser derzeitiges Erbrecht, hinsichtlich der
Unbeschränktheit des Erbrechts, auf dem Justinianischen Gesetz beruht, während
das ältere römische Recht und moderne außerdeutsche Gesetze keine schrankenlose
Verwandtenerbfolge anerkennen, wie die Erklärung, daß in den weiteren Ver¬
wandtschaftsgraben das Gefühl des Familienzusammenhanges sich schnell ver¬
flüchtige, können nicht als eigentliche Begründung angesehen werden: lag
zweifellos kein Anlaß vor, das Erbrecht unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs nach
der Rechtsansicht eines vor eineinhalb Jahrtausend lebenden byzantinischen
Herrschers einzurichten, so ist anderseits auch kein zwingender Grund vorhanden,
das vor mehr als zweitausend Jahren geltende römische Recht oder ein fran¬
zösisches Gesetzbuch zum Muster zu nehmen.

Wir dürfen getrost bei Einrichtung unseres Erbrechts unsere eigenen Wege gehen.

Die vorerwähnte Erklärung über das Schwinden des Familiensinnes ist
eine Ansicht, deren Richtigkeit schwer zu erweisen ist, die auch nicht unwider¬
sprochen geblieben ist, in den Kommissionsberatungen (104. Sitzung vom
10. Juni 1913) wie in wissenschaftlichen Werken.

Zweck und Grund der im Entwurf von 1913 vorgesehenen Erbrechts¬
änderung sind, zufolge der Begründung des Entwurfs, rein finanztechnische:
der Staat leidet Geldnot, und, um dieser Not abzuhelfen, fühlt die Regierung
sich berechtigt und verpflichtet, den Entwurf vorzulegen.

Den finanziellen Zweck des staatlichen Erbrechts erkennen auch Justizrat
Georg Bamberger (1908), Exzellenz Adolf Wagner und Professor Dr. Hans
Delbrück in Berlin an.

Schon der Titel der Bambergerschen Schrift drückt dies aus: "Erbrechts¬
reform. Ein sozialpolitischer Vorschlag zur Befestigung der Reichsfinanzen 1908."
"Die Finanznot des Reiches steigt", heißt es dort (Seite 44), und deshalb
müsse ein Vorschlag wie der Erbrechtsentwurf sorgfältig geprüft werden.
Daß Justizrat Bamberger neben den finanziellen noch gleichwertige andere Gründe
anerkennt, werden wir weiter unten sehen.

Professor Dr. Wagner tritt nur kurz für eine Beschränkung des Erbrechts
ein in einer Schrift, die er "Die Reichsfinanznot" benennt. ("Ein Mahnwort
eines alten Mannes" 1908.) Der Titel der Schrift scheint uns zu der An¬
nahme zu berechtigen, daß ihr Verfasser den (finanziellen) Standpunkt der Re¬
gierung teilt.

Professor Dr. H. Delbrück schließlich sagt (Preußische Jahrbücher 1906.
123. Band), indem er zugleich davor warnt, die Steuer- und Erbrechtsfrage
vom parteipolitischer Standpunkt aus zu betrachten: "Es ist schließlich doch wohl
kaum anzunehmen, daß der Bundesrat das Reich in Schulden versinken lasse..."


Das Erbrecht des Staates

Schließlich erklärte in der Kommissionsverhandlung (Protokoll) der Regierungs¬
vertreter, daß das Bestreben der Regierung in erster Linie nicht auf Beschränkung
des Jntestaterbrechts gerichtet sei; daß vielmehr finanzielle Rücksichten zuförderst
in Frage kämen. Das war ehrlich gesprochen!

Der Hinweis darauf, daß unser derzeitiges Erbrecht, hinsichtlich der
Unbeschränktheit des Erbrechts, auf dem Justinianischen Gesetz beruht, während
das ältere römische Recht und moderne außerdeutsche Gesetze keine schrankenlose
Verwandtenerbfolge anerkennen, wie die Erklärung, daß in den weiteren Ver¬
wandtschaftsgraben das Gefühl des Familienzusammenhanges sich schnell ver¬
flüchtige, können nicht als eigentliche Begründung angesehen werden: lag
zweifellos kein Anlaß vor, das Erbrecht unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs nach
der Rechtsansicht eines vor eineinhalb Jahrtausend lebenden byzantinischen
Herrschers einzurichten, so ist anderseits auch kein zwingender Grund vorhanden,
das vor mehr als zweitausend Jahren geltende römische Recht oder ein fran¬
zösisches Gesetzbuch zum Muster zu nehmen.

Wir dürfen getrost bei Einrichtung unseres Erbrechts unsere eigenen Wege gehen.

Die vorerwähnte Erklärung über das Schwinden des Familiensinnes ist
eine Ansicht, deren Richtigkeit schwer zu erweisen ist, die auch nicht unwider¬
sprochen geblieben ist, in den Kommissionsberatungen (104. Sitzung vom
10. Juni 1913) wie in wissenschaftlichen Werken.

Zweck und Grund der im Entwurf von 1913 vorgesehenen Erbrechts¬
änderung sind, zufolge der Begründung des Entwurfs, rein finanztechnische:
der Staat leidet Geldnot, und, um dieser Not abzuhelfen, fühlt die Regierung
sich berechtigt und verpflichtet, den Entwurf vorzulegen.

Den finanziellen Zweck des staatlichen Erbrechts erkennen auch Justizrat
Georg Bamberger (1908), Exzellenz Adolf Wagner und Professor Dr. Hans
Delbrück in Berlin an.

Schon der Titel der Bambergerschen Schrift drückt dies aus: „Erbrechts¬
reform. Ein sozialpolitischer Vorschlag zur Befestigung der Reichsfinanzen 1908."
„Die Finanznot des Reiches steigt", heißt es dort (Seite 44), und deshalb
müsse ein Vorschlag wie der Erbrechtsentwurf sorgfältig geprüft werden.
Daß Justizrat Bamberger neben den finanziellen noch gleichwertige andere Gründe
anerkennt, werden wir weiter unten sehen.

Professor Dr. Wagner tritt nur kurz für eine Beschränkung des Erbrechts
ein in einer Schrift, die er „Die Reichsfinanznot" benennt. („Ein Mahnwort
eines alten Mannes" 1908.) Der Titel der Schrift scheint uns zu der An¬
nahme zu berechtigen, daß ihr Verfasser den (finanziellen) Standpunkt der Re¬
gierung teilt.

Professor Dr. H. Delbrück schließlich sagt (Preußische Jahrbücher 1906.
123. Band), indem er zugleich davor warnt, die Steuer- und Erbrechtsfrage
vom parteipolitischer Standpunkt aus zu betrachten: „Es ist schließlich doch wohl
kaum anzunehmen, daß der Bundesrat das Reich in Schulden versinken lasse..."


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[0603] Das Erbrecht des Staates Schließlich erklärte in der Kommissionsverhandlung (Protokoll) der Regierungs¬ vertreter, daß das Bestreben der Regierung in erster Linie nicht auf Beschränkung des Jntestaterbrechts gerichtet sei; daß vielmehr finanzielle Rücksichten zuförderst in Frage kämen. Das war ehrlich gesprochen! Der Hinweis darauf, daß unser derzeitiges Erbrecht, hinsichtlich der Unbeschränktheit des Erbrechts, auf dem Justinianischen Gesetz beruht, während das ältere römische Recht und moderne außerdeutsche Gesetze keine schrankenlose Verwandtenerbfolge anerkennen, wie die Erklärung, daß in den weiteren Ver¬ wandtschaftsgraben das Gefühl des Familienzusammenhanges sich schnell ver¬ flüchtige, können nicht als eigentliche Begründung angesehen werden: lag zweifellos kein Anlaß vor, das Erbrecht unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs nach der Rechtsansicht eines vor eineinhalb Jahrtausend lebenden byzantinischen Herrschers einzurichten, so ist anderseits auch kein zwingender Grund vorhanden, das vor mehr als zweitausend Jahren geltende römische Recht oder ein fran¬ zösisches Gesetzbuch zum Muster zu nehmen. Wir dürfen getrost bei Einrichtung unseres Erbrechts unsere eigenen Wege gehen. Die vorerwähnte Erklärung über das Schwinden des Familiensinnes ist eine Ansicht, deren Richtigkeit schwer zu erweisen ist, die auch nicht unwider¬ sprochen geblieben ist, in den Kommissionsberatungen (104. Sitzung vom 10. Juni 1913) wie in wissenschaftlichen Werken. Zweck und Grund der im Entwurf von 1913 vorgesehenen Erbrechts¬ änderung sind, zufolge der Begründung des Entwurfs, rein finanztechnische: der Staat leidet Geldnot, und, um dieser Not abzuhelfen, fühlt die Regierung sich berechtigt und verpflichtet, den Entwurf vorzulegen. Den finanziellen Zweck des staatlichen Erbrechts erkennen auch Justizrat Georg Bamberger (1908), Exzellenz Adolf Wagner und Professor Dr. Hans Delbrück in Berlin an. Schon der Titel der Bambergerschen Schrift drückt dies aus: „Erbrechts¬ reform. Ein sozialpolitischer Vorschlag zur Befestigung der Reichsfinanzen 1908." „Die Finanznot des Reiches steigt", heißt es dort (Seite 44), und deshalb müsse ein Vorschlag wie der Erbrechtsentwurf sorgfältig geprüft werden. Daß Justizrat Bamberger neben den finanziellen noch gleichwertige andere Gründe anerkennt, werden wir weiter unten sehen. Professor Dr. Wagner tritt nur kurz für eine Beschränkung des Erbrechts ein in einer Schrift, die er „Die Reichsfinanznot" benennt. („Ein Mahnwort eines alten Mannes" 1908.) Der Titel der Schrift scheint uns zu der An¬ nahme zu berechtigen, daß ihr Verfasser den (finanziellen) Standpunkt der Re¬ gierung teilt. Professor Dr. H. Delbrück schließlich sagt (Preußische Jahrbücher 1906. 123. Band), indem er zugleich davor warnt, die Steuer- und Erbrechtsfrage vom parteipolitischer Standpunkt aus zu betrachten: „Es ist schließlich doch wohl kaum anzunehmen, daß der Bundesrat das Reich in Schulden versinken lasse..."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/603>, abgerufen am 28.12.2024.