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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Staates

mit Rücksicht auf das Familiengefühl energisch ein. "Die entferntesten Zweige
des Baumes sind Baumzweige," heißt es dort.

Von höchstem Interesse sind für die Beurteilung einer Berechtigung des
beschränkten Erbrechts zugunsten der Allgemeinheit die Worte des Leipziger
Rechtslehrers Professor Dr. Sohm. Er sagt in seinen Institutionen zum
römischen Recht: "In der Urzeit ist die Familie die einzige Eigentümerin --
es gibt nur Gesäme- nicht Einzeleigentum. Das Familienerbrecht ist die Nach¬
wirkung jenes ursprünglichen Familieneigentums auf das Privateigentum."
Privatim fügte Herr Professor Sohm hinzu: "Alles Erbrecht beruht auf ehe¬
maligem Gesamteigentum, das der Familie auf dem ehemaligen Gesamt¬
eigentum der Familie, das des Staates auf dem früheren Gesamteigentum des
Volkes. Die Familie muß dem Staat vorgehen, aber nur soweit sie wirklich
ein Familienverhältnis begründet."

Professor Dr. Conrad (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik
1908) sagt: "Die Maßregel (Beschränkung des Erbrechts) an sich ist ent¬
sprechend und absolut notwendig."

Professor Dr. W. Gerloff (Matrikularbeiträge und direkte Reichssteuer
1908) äußert sich ähnlich: "Die Erbberechtigung in infimtum des Bürgerlichen
Gesetzbuchs ist widersinnig."

Der verstorbene Präsident des Kaiserlichen statistischen Amtes, Professor
Dr. Hans von Scheel, tritt in seiner außerordentlich gründlichen Arbeit "Erb¬
schaftssteuern und Erbrechtsreform Jena 1877" ebenfalls für eine Beschränkung
des Erbrechts ein; mit ihm der (berühmte) Nationalökonom Wirklicher Geheimer
Rat Professor Dr. Wagner ("Die Reichsfinanznot" 1908 und "Finanzwissen¬
schaft" 1890) und der Herausgeber der Preußischen Jahrbücher Professor
Dr. Hans Delbrück (123. Band) und schließlich der eifrigste Verfechter des
beschränkten Erbrechts, Justizrat Georg Bamberger ("Erbrechtsreform 1908" und
"Für das Erbrecht des Reiches" 1912). "Ganz ungerechtfertigt ist es," äußert
Prof. Dr. Bernhöft in Ur. 131 des Tag (7. Juni 1913), "wenn der Staat
noch ferneren Verwandten, die überhaupt in keinem persönlichen Verhältnisse zum
Erblasser standen . . ., die Erbschaft zuwendet."

Die Anregung zu einer Einschränkung des privaten Jntestaterbrechts ist
also gegeben und von Autoritäten ersten Ranges befürwortet, ihre Berechtigung
an sich von der Mehrheit der Kommission nicht bestritten.

Was aber ist ihr Zweck und Grund?

Einfach und klar gibt die Reichsregierung ihren Standpunkt zu erkennen
(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über das Erbrecht des Staates 1913).

"Der außerordentliche Bedarf, der sich jetzt zur Deckung der fortlaufenden
Ausgaben für die Stärkung unserer Wehrmacht ergibt, läßt es daher geboten
erscheinen, auf den früheren Gesetzentwurf (1908) zurückzukommen." Weiter:
"Da dem Gegenstande jetzt unter dem Gesichtspunkt der Erschließung einer
neuen Einnahmequelle für das Reich von neuem näher getreten werden soll . . ."


Das Erbrecht des Staates

mit Rücksicht auf das Familiengefühl energisch ein. „Die entferntesten Zweige
des Baumes sind Baumzweige," heißt es dort.

Von höchstem Interesse sind für die Beurteilung einer Berechtigung des
beschränkten Erbrechts zugunsten der Allgemeinheit die Worte des Leipziger
Rechtslehrers Professor Dr. Sohm. Er sagt in seinen Institutionen zum
römischen Recht: „In der Urzeit ist die Familie die einzige Eigentümerin —
es gibt nur Gesäme- nicht Einzeleigentum. Das Familienerbrecht ist die Nach¬
wirkung jenes ursprünglichen Familieneigentums auf das Privateigentum."
Privatim fügte Herr Professor Sohm hinzu: „Alles Erbrecht beruht auf ehe¬
maligem Gesamteigentum, das der Familie auf dem ehemaligen Gesamt¬
eigentum der Familie, das des Staates auf dem früheren Gesamteigentum des
Volkes. Die Familie muß dem Staat vorgehen, aber nur soweit sie wirklich
ein Familienverhältnis begründet."

Professor Dr. Conrad (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik
1908) sagt: „Die Maßregel (Beschränkung des Erbrechts) an sich ist ent¬
sprechend und absolut notwendig."

Professor Dr. W. Gerloff (Matrikularbeiträge und direkte Reichssteuer
1908) äußert sich ähnlich: „Die Erbberechtigung in infimtum des Bürgerlichen
Gesetzbuchs ist widersinnig."

Der verstorbene Präsident des Kaiserlichen statistischen Amtes, Professor
Dr. Hans von Scheel, tritt in seiner außerordentlich gründlichen Arbeit „Erb¬
schaftssteuern und Erbrechtsreform Jena 1877" ebenfalls für eine Beschränkung
des Erbrechts ein; mit ihm der (berühmte) Nationalökonom Wirklicher Geheimer
Rat Professor Dr. Wagner („Die Reichsfinanznot" 1908 und „Finanzwissen¬
schaft" 1890) und der Herausgeber der Preußischen Jahrbücher Professor
Dr. Hans Delbrück (123. Band) und schließlich der eifrigste Verfechter des
beschränkten Erbrechts, Justizrat Georg Bamberger („Erbrechtsreform 1908" und
„Für das Erbrecht des Reiches" 1912). „Ganz ungerechtfertigt ist es," äußert
Prof. Dr. Bernhöft in Ur. 131 des Tag (7. Juni 1913), „wenn der Staat
noch ferneren Verwandten, die überhaupt in keinem persönlichen Verhältnisse zum
Erblasser standen . . ., die Erbschaft zuwendet."

Die Anregung zu einer Einschränkung des privaten Jntestaterbrechts ist
also gegeben und von Autoritäten ersten Ranges befürwortet, ihre Berechtigung
an sich von der Mehrheit der Kommission nicht bestritten.

Was aber ist ihr Zweck und Grund?

Einfach und klar gibt die Reichsregierung ihren Standpunkt zu erkennen
(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über das Erbrecht des Staates 1913).

„Der außerordentliche Bedarf, der sich jetzt zur Deckung der fortlaufenden
Ausgaben für die Stärkung unserer Wehrmacht ergibt, läßt es daher geboten
erscheinen, auf den früheren Gesetzentwurf (1908) zurückzukommen." Weiter:
„Da dem Gegenstande jetzt unter dem Gesichtspunkt der Erschließung einer
neuen Einnahmequelle für das Reich von neuem näher getreten werden soll . . ."


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[0602] Das Erbrecht des Staates mit Rücksicht auf das Familiengefühl energisch ein. „Die entferntesten Zweige des Baumes sind Baumzweige," heißt es dort. Von höchstem Interesse sind für die Beurteilung einer Berechtigung des beschränkten Erbrechts zugunsten der Allgemeinheit die Worte des Leipziger Rechtslehrers Professor Dr. Sohm. Er sagt in seinen Institutionen zum römischen Recht: „In der Urzeit ist die Familie die einzige Eigentümerin — es gibt nur Gesäme- nicht Einzeleigentum. Das Familienerbrecht ist die Nach¬ wirkung jenes ursprünglichen Familieneigentums auf das Privateigentum." Privatim fügte Herr Professor Sohm hinzu: „Alles Erbrecht beruht auf ehe¬ maligem Gesamteigentum, das der Familie auf dem ehemaligen Gesamt¬ eigentum der Familie, das des Staates auf dem früheren Gesamteigentum des Volkes. Die Familie muß dem Staat vorgehen, aber nur soweit sie wirklich ein Familienverhältnis begründet." Professor Dr. Conrad (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1908) sagt: „Die Maßregel (Beschränkung des Erbrechts) an sich ist ent¬ sprechend und absolut notwendig." Professor Dr. W. Gerloff (Matrikularbeiträge und direkte Reichssteuer 1908) äußert sich ähnlich: „Die Erbberechtigung in infimtum des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist widersinnig." Der verstorbene Präsident des Kaiserlichen statistischen Amtes, Professor Dr. Hans von Scheel, tritt in seiner außerordentlich gründlichen Arbeit „Erb¬ schaftssteuern und Erbrechtsreform Jena 1877" ebenfalls für eine Beschränkung des Erbrechts ein; mit ihm der (berühmte) Nationalökonom Wirklicher Geheimer Rat Professor Dr. Wagner („Die Reichsfinanznot" 1908 und „Finanzwissen¬ schaft" 1890) und der Herausgeber der Preußischen Jahrbücher Professor Dr. Hans Delbrück (123. Band) und schließlich der eifrigste Verfechter des beschränkten Erbrechts, Justizrat Georg Bamberger („Erbrechtsreform 1908" und „Für das Erbrecht des Reiches" 1912). „Ganz ungerechtfertigt ist es," äußert Prof. Dr. Bernhöft in Ur. 131 des Tag (7. Juni 1913), „wenn der Staat noch ferneren Verwandten, die überhaupt in keinem persönlichen Verhältnisse zum Erblasser standen . . ., die Erbschaft zuwendet." Die Anregung zu einer Einschränkung des privaten Jntestaterbrechts ist also gegeben und von Autoritäten ersten Ranges befürwortet, ihre Berechtigung an sich von der Mehrheit der Kommission nicht bestritten. Was aber ist ihr Zweck und Grund? Einfach und klar gibt die Reichsregierung ihren Standpunkt zu erkennen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über das Erbrecht des Staates 1913). „Der außerordentliche Bedarf, der sich jetzt zur Deckung der fortlaufenden Ausgaben für die Stärkung unserer Wehrmacht ergibt, läßt es daher geboten erscheinen, auf den früheren Gesetzentwurf (1908) zurückzukommen." Weiter: „Da dem Gegenstande jetzt unter dem Gesichtspunkt der Erschließung einer neuen Einnahmequelle für das Reich von neuem näher getreten werden soll . . ."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/602>, abgerufen am 28.12.2024.